zum Text springen ·  zur Suchform springen. (Achtung! nicht auf allen Unterseiten vorhanden)

Rattarium  

Schildmaid Rezension

Review Schildmaid (J. und C. Vogt, Piper-Verlag)

Meine ganz und gar persönliche Meinung.
Kurzfassung: Handlung, Negatives, Positives.

Content Notes, Warnungen in diesem Artikel:
Blut, (brutale) Gewalt, Misgendern, Feminismus (Verächtlichmachung alles »Weibischen«)

Nachdem das Buch von vielen Seiten so gehypt wird, habe ich es mir auch gekauft und gelesen. Ich habe es gestern Nacht beendet und ich weiß noch nicht genau, wie ich mich danach fühle.
Es gäbe viel über den Inhalt zu sagen. Fange ich mit der Handlung an: Eine Gruppe von Wikinger-Frauen und anderen Personen tut Männerdinge, in göttlichem Auftrag. Zum Beispiel ein Schiff zu bauen, und damit auf Held*innen-Fahrt zu gehen, kämpfen zu lernen. Sie werden auf eine Quest geschickt und erleiden widrigste Umstände.

Was mir nicht gefiel:

Das Patriarchat wird karikiert dargestellt. Es reicht nicht, dass fast alle vorkommenden Männer brutal sind und von Geburt an stark sein müssen, um am Ende im Kampf den Heldentod zu sterben, damit sie als Unsterbliche in Odins Halle enden. Nein, damit sie noch gruseliger erscheinen, sind sie Berserker, die mehr Tier als Mensch sind, wenn sie wütend kämpfen. Die wenigen Figuren, die diesem Bild nicht entsprechen, sterben dann auch recht bald. Oder werden als »weibisch« bezeichnet, ich denke da an das Eifersuchtsopfer des Berserkers, die Mönche in weibischen Kleidern (Zitat) oder die wiederholte Misgenderung und Verächtlichmachung der trans Person an Bord von jenen Männern des Patriarchats. Wobei da zeitweise auch noch die Götter an körperlichen Merkmalen rumfummel und ihr die Weiblichkeit nehmen. Wtf? Bei dieser Person hat es richtig weh getan, wenn nach zwei Dritteln des Buches immer noch solche Sachen, Bezeichnungen und Beschreibungen kamen. Ja, herrje, ich weiß allmählich, dass wir es hier mit einer trans Person zu tun haben. Reichte dann eigentlich für mich.

Physikalische Unmöglichkeiten. Wenn etwas nicht passte, wurde es durch göttliches Zutun erklärt. Ich bin ja eigentlich Fan der nordischen Götterwelt, aber irgendwie war mir das alles too much am Ende. Der Schmerz über körperliche Verletzung? Tut nichts zur Sache, heilt unirdisch schnell, Odin wollte das so. Hast ja ne Seelen-Krähe dafür bekommen, also beklage dich nicht …. Verstümmelte (Frauen) sind ab da hässlich und nicht mehr attraktiv (für Männer)? Uh, diese Klischees außerhalb des Bootes. Leute werden getötet? Wurde irgendwie langweilig, dass die meisten nicht tot blieben, egal, wie brutal sie abgeschlachtet worden waren.
Ja, das Buch ist zeitweilig sehr blutig und an vielen Stellen bewusst auf Ekel erzeugen geschrieben. Auch nicht so meins.

Die Figuren – welche davon ist eigentlich Prota? Es gab die paar Hauptfiguren im wechselnden Fokus, aber ich konnte keiner gedanklich wirklich folgen, weil ständig ein Perspektivwechsel passierte. Was in Sullivans Elfenmagierin für mich funktionierte, hat mich hier allein gelassen.

Dekonstruktion des Patriarchats. Wenn das heißt, alle brutalen Männer zu tilgen, ist das irgendwie nicht so ganz der Weg, denke ich. Ein Umdenken, ein Zulassen, ein mehr Miteinander hätte ich mich gewünscht. Nicht nur auf der Schildmaid, sondern auch bei den Antagonisten. Nun ja, wenigstens einer hat die Seiten gewechselt, aber reicht das aus, um ein ganzes System an Ungerechtigkeit zu stürzen? Und was soll dieser Mystikkram am Ende? Das war mir um Etliches zu seltsam und scheint mir reichlich unnötig. Aber das ist hier mein ganz eigenes Empfinden, nichts anderes.

Das Beste zum Schluss

Ok, genug (sehr persönliches) Gemecker, nun zu dem, was mir wirklich gut gefallen hat an dem Buch:
Da findet eine Gruppe von Ausgestoßenen, Vertriebenen, nicht normativ lebenden Menschen zusammen auf einem Schiff. Sie erobern sich ein Stück der allgegenwärtigen dominanten Männerwelt und stellen deren Regel ad absurdum.
Sie sind alle auf einem Weg – und nicht nur dem des von der Götterwelt geforderten Quests, auch zu sich selber und zu Gefühlen für andere in der Gruppe. Es passiert unter ihnen ein ständiges Hinterfragen. Wer bin ich, wer will ich sein, wie will ich leben, wen will ich lieben? Großartig!
Und das alles unter dem übermächtigen Druck, zu leisten, was andere da draußen, Menschheit und Gottheiten, von ihnen erwarten. Sich selbst überwinden, über Grenzen gehen, Regeln dekonstruieren, eigene Wege finden. Mochte ich sehr, diese Prozesse mitzuerleben.

Die Akzeptanz gegenüber der behinderten Person ist selbstverständlich, nicht nur das, am Ende profitieren alle davon und diese Person ist, aber nicht nur deshalb, ein Zugewinn der Gemeinschaft.

Großartig ist auf dem Schiff auch das absolute Nicht-hinterfragen jeglicher Aussagen über Geschlecht. Eine Frau ist eine Frau. Und darf sein, wie sie ist. Die nichbinäre Person darf heißen wie sie will und auf dem Schiff ist es humpe, dass bei der Person ab und an das Gender wechselt. Einfach so.
Das sind Inhalte, wie ich sie lesen mag!

Hatte ich die beiden Schwarzen Personen erwähnt? Null Rassismus, die Wikingergesellschaft machte da, oder jedenfalls in diesem Buch, keine von Rassismus geprägten Unterschiede. Wobei ich als weiße Person das nicht wirklich beurteilen mag, aber es war auffallend, dass hier ein Sensitivity Reading sehr wohlgetan hat.

Das System Familie wird auf der Schildmaid völlig auf den Kopf gestellt. Es gibt am Ende Beziehungen untereinander, Mehrfachbeziehungen (Polykül) und das völlige Abkoppeln von Strukturen des Patriarchats. Fast alle an Bord wachsen an ihrem Selbst.

Allein wegen der ganzen Beziehungs- und Herzgeschichten untereinander hätte sich es gelohnt, das Buch zu lesen. Es war spannend und teils überraschend, zu oft schmerzhaft – und so ganz bin ich noch nicht raus aus der Geschichte.
Fragt mich in ein paar Tagen noch einmal.

Kommentarfunktion ist deaktiviert

top ▲

impressum · M@il · XHTML · © Oktober_2001-2007 Rat Ed Home. Rattarium is powered by » WordPress | » WPD