Film-Review Kinky Boots
Ich sah eine Vorschau auf diesen Film auf einer anderen DVD und beschloss spontan: den Film will ich sehen.
Leider bekam ich nur eine Ausgabe mit englischer Audiospur und zum Glück englischen Untertiteln. Denn der nordenglische Dialekt, der am Set gesprochen wurde, ist für meine Schul-Englischkenntnisse relativ unverständlich.
Der Film lässt mich nach dem Anschauen etwas ratlos zurück. Ich erkläre nachfolgend, warum – soweit es mir selber klar ist. Aber zunächst kurz die Handlung, die auf einer wahren Begebenheit beruht:
Der biedere Charly erbt eine Schuhfabrik in Northampton, die kurz vor dem Bankrott steht, weil handgefertigte Qualitäts-Schuhe keinen Markt mehr haben.
Lola ist eine DRAG-Queen, groß, Schwarz, schön. Sie tritt singend und tanzend in einem Club auf. Der talentierte Schauspieler Chiwetel Ejiofor füllt diese Rolle mit einer eigenen Eleganz und Eloquenz, die der Figur eine gewisse Tiefe gibt.
Die Lebenslinien der beiden Protagonisten überschneiden sich, als Lola von einer Gruppe Betrunkener belästigt wird und Charly der vermeintlichen „Damsel in Distress“ zu Hilfe kommt, dabei jedoch aus Versehen von Lola niedergeschlagen wird. Er erwacht aus seiner Ohnmacht in Lolas Umkleide, die sich für ihren Auftritt fertig macht.
Hier kann ich schon meine erste Kritik einfügen. Charly sieht im Spiegel, dass es sich bei Lola nicht um eine Frau handelt, jedenfalls nicht so, was sich Charly darunter vorstellt. Später schaut er noch durch den Vorhang, wie Lola performt und flieht geradezu aus dem Lokal. Scheint seine erste Begegnung mit dem Millieu gewesen zu sein.
Was mir daran missfällt ist die offensichtliche Abneigung von Charly, der sich ängstlich nicht einmal von Lola berühren lassen möchte. Totales Klischee eines cis hetero Mannes, der sich vor einem queeren Menschen „fürchtet“, als wäre die Person irgendwie ansteckend. Ernsthaft? Wer glaubt heutzutage noch so einen Mist?
Ich dagegen saß hingerissen vor meinem Bildschirm, bewunderte die endlos langen Beine, die Highheels, das rote Glitzerkleid, die fantastische Perücke und die unnachahmliche Eleganz der Bewegungen Lolas und der anderen Tänzer_innen. Wunderschön. Oh, und der Filmsound, die gesungenen Songs, einfach nur „wow“.
Jedenfalls hatte sich der Plot nun soweit verflochten, dass es für Zuschauende plausibel wird, Lola, die sich im Verlauf als Simon vorstellt, als Designer_in in der Schuhfabrik Modelle für Drag-Queens entwerfen zu lassen, und Charly die Modellreihe für die Schuhmesse in Mailand produziert, bzw die Produktion von biederem Schuhwerk auf stabile Hochschäfter umstellt, „die das Gewicht eines Mannes in Frauenschuhen“ tragen kann (Zitat aus dem Film). Die eleganten hochhackigen Stiefel sollten so aussehen wie Schuh-gewordener purer Sex. Das erste Modell ist schreiend rot-schwarz, geht weit über das Knie hoch und hat turmhohe Absätze, zudem ein Seitenfach für eine farblich passende Gerte. Dies ist dann leider so ziemlich das Einzige, das „kinky“ an diesem Film ist.
Im Wikipedia-Artikel zu „Kinky Boots (2005)“ wird von Fetisch-Schuhwerk für Männer gesprochen. Der Begriff verstört mich ein wenig. Für mich sah es völlig normal aus, diese Schuhe an den Personen zu sehen, egal welches Geschlecht impliziert wurde.
Da komme ich gleich zu meinem zweiten Kritikpunkt. Lola sieht in ihren Kleidern und Perücken beim Auftritt wunderbar authentisch aus. Selbst zerknautscht am frühen Morgen, im Bademantel, ihrer Wirtin vorspielend, sie eine Frau, ist sie hinreißend. Warum wird Lola im Laufe des Films zu Simon, der in Jeans, Turnschuhen und Herrenpullover plötzlich überall als Mann herumläuft.
Ich kann mir nur vorstellen, dass es filmisch so dargestellt werden soll, dass Lola/Simon in keine Kategorie, in kein Schema passt, da sie/er weder in der einen noch in der anderen Form akzeptiert wird. Dies ändert sich im Laufe des Film zum Glück, weil der Charakter durch seine warmherzige, schlagfertige Art die Herzen des gesamten Fabrikpersonals gewinnt, auch die der schlimmsten Rüpel. Ja, natürlich konnten sich die Filmemacher nicht verkneifen, ein paar unschöne Szenen mit Mobbing einzubauen. Lola kontert zwar gewitzt, aber es war schmerzhaft, bei der Reproduktion dieser Diskriminierungen zusehen zu müssen.
In einer anderen Rezension las ich, dass die Rolle Lolas nicht nur ein Mann als Crossdresser, oder eine Frau im falschen Körper sei, sondern einfach eine verinnerlichte Verkörperung einer rund um die Uhr gelebten Drag-Queen, eine Art eigenes Gender, ein Drag-Geschlecht. Das ist in etwa das, was ich dabei auch empfunden habe. Es gab kein Entweder-Oder, da war nur Simon, der ebenso Lola ist, egal in welcher Aufmachung und ganz und gar ein Selbstverständnis von sich selbst darstellt. Das mochte ich sehr.
Unnötig produzierte Schmerz, mein dritter Kritikpunkt. Es kam mir sehr konstruiert vor, wie es in der dramatischen letzten halben Stunde (Filme sind anscheinend immer so aufgebaut, dass es sich da nochmal zuspitzt) zu einem Streit zwischen … nein, Entschuldigung, das Ganze war einseitig, denn nur Charly, der gerade emotional angeschlagen ist, beschimpft Lola, die im Fummel (en = Frock) zu einer Verabredung in einem Lokal erscheint. Dies sei eine spießige Stadt, die Leute würden starren und Simon sei ja nur ein halber Mann (ja, er nennt die Frau vor ihm in absichtlich verletzender Weise Simon, er solle sich mal entscheiden, wen und was er darstellen will). Am Ende weint Lola. Die ganze Szene mitzuerleben ist sehr schmerzhaft. Es hatte etwas von gezieltem Deadnaming und Absprechen des Geschlechts.
Es sollte wohl als Erklärung im Plot dienen, damit das Ende in Mailand um so glorioser werden konnte. Ich für meinen Teil hätte gerne auf diese Darstellung verzichtet. Am Ende des Films ist nämlich alles wieder Friede-Freude-Eierkuchen, aber hätte mir mein bester Kumpel solche fiesen, verletzenden Sätze an den Kopf geworfen, ich hätte von Stunde an einen kleineren Freundeskreis, ohne diese Krampe!
Mein Fazit: Es ist alles in allem ein 3 Sterne von 5-okay, ein lässt sich schauen-Film. Abgesehen von den anscheinend unverzichtbaren Klischees war es ein Augenschmaus, die Kostüme, die Musik und nicht zuletzt dieses extraordinäre Schuhwerk zu bewundern, zudem die schauspielerischen Leistungen aller Beteiligten, sofern sie auftreten durften. Viele Nebencharaktere dienten nur als Hintergrundbild, ohne Interaktionen oder Text. Dem Film hätte insgesamt mehr Diversität gutgetan, mehr Kinkyness, mehr Akzeptanz. So bleibt ein leises Unbehagen, auch wenn zumindest einer der Hauptcharaktere Schwarz und queer sein durfte. In einer weißen, spießigen Welt.
Plus: es gibt von der Story auch ein gleichnamiges Musical, und ich glaube, das würde ich wirklich gerne sehen. Schon im Film begeisterten die Musikszenen, wie etwa der Auftritt in Mailand, „These Boots Are Made For Walking“ mit Glitter und Gerte und den Angels aus Charlys Club war berauschend.