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Rattarium  

Ein Riss im Universum

Ausschreibungstext für eine Anthologie-Trilogie

Personen: Palu (sey, ser, sem)
Mandy (sie, ihr)
Fips (er, ihm)
Akbar (er, ihm)

Die Lautlosigkeit, mit der das Universum auseinanderbrach, war wie ein Schrei im Weltenraum zwischen zwei Planeten. Unerhört, ungehört. Und doch riss vor ihrer aller Augen der Himmel auseinander, jeden Tag ein Stück mehr.
Palu hastete im rötlichen Schein des klaffenden Spaltes durch die Schatten der engen Gassen, bemüht, den plündernden Horden auszuweichen. Den Blick hielt Palu gesenkt, als würde sey dadurch unsichtbar für das Chaos, die Randale und die Feuer um sem herum werden. Lange bevor überhaupt feststand, was der Riss war, oder ob es wirklich das Ende der Welt sein könnte, war die Zivilisation auseinandergebrochen. War abgeplatzt von der Menschlichkeit wie der Lack der in den Straßen verrottenden Autos. Wer konnte, nahm sich, was noch da war. Leben wurde zum Überleben. Die Bestie Mensch war entfesselt.

Die Umhängetasche mit dem kostbaren Werkstück, unter dem langen Mantel verborgen, eingetauscht für Bücher, die wohl anschließend zum Feuer machen anstatt zum Lesen verwendet würden, was wohl das deutlichste aller Zeichen für den Zerfall sein mochte, fand Palu.
Mit einer Hand die Gasmaske fester an das Gesicht drückend, die nicht nur mögliche Sporen abhielt, von denen gewarnt worden war, als letzte Handlung der Regierung, als es noch Kommunikation gab, sondern auch die giftigen Rauchschwaden filterte, bewegte sich Palu aus der Stadt hinaus. Nur noch durch die Lücke im Bauzaun, zwischen aufgebrochenen Baumaschinen hindurch, die hingeworfen aussahen, wie etwas, das ein Tsunami in einer Bucht vergessen hatte. Kurz hielt Palu inne, spähte umher, lauschte, ob sem verfolgt wurde und schlüpfte endlich durch eine halb verdeckte Tür in der Betonruine, die nun wohl für die Ewigkeit, oder bis zum Weltenende, Ruine bleiben würde.

»Hast du das Teil?« Mandy sah kaum von ihrem Werkzeugtisch auf, als Palu, die Maske in der Hand, durch den Vorhang trat, der ihrem Versteck als Tür diente. Ihre rötlich schimmernden Haare wurden vom Licht gleich mehrerer Monitore angestrahlt. Auch wenn sie alle hier zu existieren aufhörten, in ein paar Tagen, oder Wochen, diesen Anblick versuchte Palu in sich abzuspeichern. Wie etwas normales, wie eine alltägliche Situation, nicht wie etwas Besonderes kurz vor dem Untergang.
Als Palu nicht antwortete, widmete Mandy sem nun doch einen langen Blick. »So schlimm da draußen? Du siehst aus, als müsstest du mal wieder gedrückt werden.«
»Als ob«, grinste Palu, zog den knielangen Mantel aus und nahm die schwere Tasche von den Schultern. Mandy war zwar das technische Gehirn ihrer kleinen Gemeinschaft, aber Anfassen oder gar Umarmen war niemals eine Option. Sey nahm die Apparatur aus der Tasche und stellte sie vor Mandy auf eine halbwegs freie Fläche auf die Arbeitsplatte.
Durch den Vorhang kamen Fips und Akbar herein. Sie hatten wohl nebenan den Alarm gehört, als Palu den gesicherten Zugang betreten hatte. Sie standen einen Moment andächtig um das Werkstück herum. Schauten, hofften. Mandy nickte schließlich und sagte: »Das sollte funktionieren.« Behutsam, wie wenn etwas sehr kostbares und fragiles getragen würde, nahm sie das Teil auf den Arm, trug es in die verborgene Werkstatt, die an das Flugfeld angrenzte und würde wohl für den Reste des Abends mit dem Einbau beschäftigt sein.
»Ich koche uns was, Henkersmahlzeit«, sagte Akbar, der Große genannt, wegen seiner Körperlänge, die ihn unter Türstürzen den Kopf einziehen ließ. Er klemmte den schleifenden Zipfel seines Kleides unter den Gürtel, in dem das Messer steckte, von dem er sich nicht mal im Schlafraum trennte und ging vor zum Zimmer, dass sie zum Kochen und ausruhen nutzten.
Sie aßen schweigend das kärgliche Mahl, saßen am Boden, hingen den Gedanken nach. Alles hing von Mandy ab. Und von so vielen anderen Faktoren.
Es musste gegen Mitternacht sein, Palu hielt Wache, während Akbar und Fips unruhig im Nebenraum auf viel zu dünnen Decken Schlaf suchten, als Mandy in den Wachraum trat, die Hände immer wieder an einem ölverschmierten Lappen abwischend. Sie strahlte.
»Geschafft, wir können los«, flüsterte sie, als müsse sie sich beinahe ungläubig von ihrer eigenen Aussage überzeugen. Mit einer Handbewegung hielt sie Palu davon ab, die anderen zu wecken. »Ich brauche zwei Stunden Schlaf, sonst kippe ich um«, prophezeite sie. Hinter dem Tisch mit den Monitoren waren alte Decken aufgeschichtet. Palu beobachtete Mandy, wie sie sich hinlegte, an ein verlebtes Kuscheltier schmiegte, das wohl mal ein Hai gewesen sein mochte und beinahe Sekunden später eingenickt war.
Wie konnte sie das, so in Ruhe Pause machen, wo doch alles bereit war, worauf sie monatelang unter unglaublichsten Bedingungen hingearbeitet hatten? Palu jedenfalls zitterte vor Aufregung, was sem nicht davon abhielt, aufmerksam die Umgebung im Auge zu behalten, die von versteckten Kameras auf die Bildschirme projeziert wurde. Morgen früh also, dachte sey pathetisch, werden wir vielleicht die Welt retten, oder bei dem Versuch sterben.

Zu viert stemmten sie die schweren Hangartore auf. Das Morgenlicht kämpfte sich durch tarnende Rauchschwaden aus Feuern, die sie zusätzlich zu den Smog angezündet hatten, der aus der Stadt herüberwehte, beleuchtete die metallisch schimmernde Monstrosität in der Halle. Wieso ausgerechnet diese Maschine bei den allgemeinen Plünderungen übersehen worden war, blieb ein wunderbares Rätsel. Womöglich vermuteten die enthemmten Menschen in der Stadt keine Kostbarkeiten an einem nie fertig gebauten Flugplatz oder dachten nicht, dass hier ein halb fertiggestellten Flugapparat verborgen sein könnte. Der Rauch verdeckte auch den Riss über ihnen, nur manchmal blitzte es rötlich auf, wenn sich da oben seitlich neue Spalten vom Hauptarm trennten. Es war surreal, es war alltäglich.
Palu kam es so vor, als würde die Luft dünner werden, mit jedem neuen Spalt am Himmel über ihnen. Sey beginnt zu hecheln, hyperventilierte, bis Fips sem liebevoll einen Ellenbogen in die Rippen rammte und »Atme!« befahl.
»Aufsitzen, wenn ihr mitwollt«, forderte Mandy ihre Crew auf.
Fips kletterte schweigsam die Leiter zur Luke der Maschine hoch, die anderen folgten. Fips würde fliegen, Mandy die Motoren im Auge behalten und Palu und Akbar hielten sich bereit. Akbar war am Vortag noch einmal die Startbahn abgelaufen, um sicherzustellen, dass keine herumliegenden Teile dem Abflug ein jähes Ende setzen würden.
Ob sie hier noch einmal landen können würden, stand in den Sternen. Wenn sie diese hinter dem Riss fanden.

Mandy gab das Zeichen, als alle angeschnellt waren. Fips startete die Motoren. Sie würden aus der Halle heraus starten müssen, es gab keine funktionierenden Zuggeräte in der Nähe dieses Hangars. Die Maschine des Flugapparates erwachte mit einem grollen, das ihnen in die Eingeweide fuhr. Als würde eins von diesen Sauriern brüllend zum Leben erwachen, dachte Palu, der früher, als die Welt noch normal gewesen war, gerne Filme mit dieser Tierart gesehen hatte. Werden wir die nächste ausgestorbene Spezies sein, verlor sey sich kurz in Gedanken.
Fips rollte das Flugzeug mit dem Antrieb aus dem Hangar, fädelte sich auf der Rollbahn ein und startete gegen Wind. Sie wurden in die Sitze gedrückt. Steil durchstieß das Flugzeug die Rauchschwaden, durchbrach kurz darauf eine verirrte Wolke und nahm, immer noch steigend, direkten Kurs auf den größten Spalt.
Was würde sie dahinter erwarten? Gab es überhaupt ein Dahinter, oder würden sie am Riss zerschellen?
Immer näher kam das rötliche Wabern. Nein, korrigierte sich Palu, wir sind es, die auf den Riss zufliegen. Und dann tauchten sie ein, in das Licht, in ein anderes Sein, das Rot klebte am Flugzeug wie Götterspeise. Wieso musste Palu ausgerechnet jetzt an Götterspeise denken? Sie wurden nur von ihren Sitzgurten gehalten, als sie die Erdanziehung hinter sich gelassen hatten. Ein nicht akkurat festgezurrtes Gepäckstück tanzte durch die Kabine. Akbar fing es ein und klemmte es unter seinem Sitz fest. Überall knackte es in den metallischen Verbindungen. Ihre Atemluft schlug sich an den Wänden als Eis nieder. Es war alles in allem faszinierend, aber erinnerte auch drastisch daran, wie möglicherweise tödlich es außerhalb der Atmosphäre der Erde war.

»Es reagiert nicht mehr«, schrie Fips plötzlich, der hektisch auf Knöpfe drückte, bis Mandy ihre Hand über seine legte und sagte: »Ich glaube, ich weiß, warum. Schaut mal raus.«
Rötliche Energiefäden umspannten sie wie ein gigantisches Netz, das sich immer enger schloss. Sie wurden zu etwas sehr Großem gezogen. Ein Raumschiff? Die Fäden liefen an einem Punkt zusammen, etwas wie eine Höhlung entstand in dem Giganten, in die sie allmählich hineingezogen wurden. Das Netz legte sich mehrfach um sie, bis sie eingesponnen waren wie in einem Kokon. Ihre Maschine kippte zur Seite weg, als die Tore geschlossen waren und eine künstliche Schwerkraft zu wirken begann. Das Brechen des Flügels, auf den sie fiel, beendete jegliche Hoffnung, je wieder starten zu können.
Mandy schaltete das Außenmikrofon ein. Dass sie Geräusche hörten, war ein Zeichen, dass da draußen wieder so etwas wie Atmosphäre war. Dies war definitiv ein extraterrestrisches Raumschiff. Aber würden die Wesen, die es steuerten, dieselbe Luft atmen?

»Da tut sich etwas«, sagte Akbar, schnallte sich los, stand auf und deutete auf ein Licht-Dreieck, das sich gegenüber den Toren zum Inneren des Schiffs geöffnet hatte. Eine Hand hatte er Fips beruhigend auf die Schulter gelegt. Jetzt würden sie die Wesen zu sehen bekommen, die für all das verantwortlich waren. Sie hatten so viele Fragen. Würden sie Antworten bekommen?
»Dreieckige Türen, wie cool«, sagte Mandy. Dass ihre Stimme dabei nicht bebte, bewunderte Palu zutiefst. Sere Nerven jedenfalls lagen blank.
Aus dem Licht des Dreiecks traten … krochen? Wesen. Palu zählte Beine: zwei, drei Beinpaare. Wie Ameisen aus einem Bau bewegten sich immer mehr Aliens mit rötlichem Chitinpanzer auf ihr Schiff zu.
Sie sahen hungrig aus.

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