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Rattarium  

Valys – Als die Mauern fielen

„Die Stadt der tausend Geschichten“
https://hybridverlag.de/index.php/anthologie-ausschreibungen

Inhalt, Vorbemerkung, Klappentext: Es handelt sich um eine Kurzgeschichte, die für oben genannte Ausschreibung entstanden ist, jedoch nicht in die Anthologie aufgenommen wurde. Da die KG wegen der speziellen Vorgaben nirgends anders eingereicht werden kann, veröffentliche ich sie hier auf meiner Homepage.
Ely Themba wird nach Valys geschickt, um einen wertvollen Gegenstand zu suchen. Allerdings findet Ely so viel mehr als das Gesuchte. Valys ist ein gefährlicher Ort für alle Wesen. Doch es gibt Hoffnung.
Kann Spuren von Drachen enthalten.

Personen

Ely Themba (trans nicht-binär. Keine Pronomen)
Finn Walker, Fremdenführer (trans masculine, Pronomen: er),
Jill Molan, Gardistin am Stadttor, (sie)
Tempel-Angehöriger, ein Frater, Name nicht bekannt
Shaka, ein Vanvan.

Content Notes

Fremdenfeindlichkeit (impliziert), Versklavung von Tieren, Feindlichkeit (explizit, eine Szene im 3. Kapitel), Gewalt (explizit im 4. Kapitel), Blut, Verbrennung, Versagensgefühle, Kennzeichnung von Fremden (othering).

Positive Tags

Kein Sex. Keine Romanze. Sprechende Drachen. Abenteuer mit einem sowohl unerwartbarem als auch gutem Ende. Es wird nicht getötet. Beide Haupt-Charaktere sind queer.

[Weitere Hinweise: Der Text ist aus der „Ersten Person Singular“-Perspektive geschrieben und hauptsächlich im Präsenz, lediglich in einem Kapitel (es gibt fünf) habe ich die Vergangenheitsform gewählt, der Wechsel ist absichtlich.
Es ist weitestgehend genderneutral geschrieben, wobei Begriffe wie zB. der Mandat, oder Gauklergilde in der Ausschreibung vorgegeben waren, bzw. ich keine neutrale Entsprechung nahm.
Elys Gender ist nichtbinär, durch die Ich-Erzählweise kommt es nicht wirklich klar zum Ausdruck. Finn ist trans maskulin, bevorzugt keine oder er-Pronomen.]

Valys – Als die Mauern fielen

Mein Name ist Ely Themba und ich finde Dinge.
Im letzten Licht des Tages stelle ich mich an das Ende einer Kolonne, die vor Einbruch der Dunkelheit und vor dem nächtlichen Schließen der Tore in die Stadt Valys gelassen werden möchte. Wenn die Wachen am Stadttor mit den Handeltreibenden, die mit den Booten den Fluss heraufkamen, fertig sind, so hoffe ich, dass sie müde genug sind, mich nicht zu sehr zu überprüfen. Sonnenuntergang bedeutet Wachwechsel. Soviel habe ich herausgefunden, als ich das Kommen und Gehen über Tage beobachtete. Auch mit den Bootsleuten sprach ich und mit den Leuten bei den Bleichhütten am Fluss. Schlimme Dinge wurden mir berichtet, leise, verstohlen. Der Mandat hat seine Spitzel überall, hieß es. Ich muss vorsichtig sein.
Der Riemen meines Gepäcks, das ich über der Schulter trage, drückt unangenehm, aber ich will es nicht absetzen, hier ist es zu schlammig am Boden. Ich trete schließlich in den düsteren Torbogen. Hinter mir werden die riesigen Türflügel geschlossen, von zwei Wachen, die ich erst jetzt bemerke. Sie müssen in Nischen dahinter gestanden haben. Das Donnern, als der Balken auf die Riegel schlägt, fährt mir durch alle Glieder. Nun gibt es kein Zurück mehr. Ein beklemmendes Gefühl.

Vor mir sind zwei weitere Wachen, die damit beschäftigt sind, im Fackelschein des Torhauses die Papiere der vor mir Eingetretenen zu prüfen. Ich ziehe meine Kapuze tiefer ins Gesicht und schaue genau hin: Zwei Münzen werden gegeben, verlangt wird nur eine, die in eine bewachte Truhe der Garde gesteckt wird, die andere verschwindet verstohlen in den Taschen der Gardisten. Dafür werden die Leute nicht weiter behelligt, bekommen etwas ausgehändigt, von dem ich glaube, dass es die in Valys für alle Fremden vorgeschriebene Erkennungsmarke ist, von der mir das Bootvolk berichtete.
Endlich bin ich an der Reihe.

»Papiere!«, werde ich barsch angeschnauzt. Mein Blick fällt auf ein Schild, das auf dem Tisch liegt, hinter der die Person sitzt.

»Torwächterin Jill Molan? Ist das ihr Name? Was für ein schöner Klang«, sage ich mit meiner freundlichsten Stimme. Ihr Gesicht, immer noch mürrisch, entfaltet sich etwas. Und noch mehr, als ich meine in Wachstuch eingeschlagenen Papiere zusammen mit der verlangten Münze auf den Tisch lege, einen zählenden Blick auf die umstehen Wachen werfe und für jede eine kleinere Münze extra dazulege. »Heute ist mein Ehrentag. Mögen Sie in meinem Namen feiern? Ist das üblich in Valys?«

Jill nickt, mustert mich aber wieder misstrauischer. Hoffentlich habe ich mit der Großzügigkeit nicht zu viel Aufmerksamkeit auf mich gelenkt, das kann ich gar nicht gebrauchen. Ich lächele so verbindlich wie es meine angespannten Gesichtsmuskeln zulassen, dafür entspannt Jills Gesicht zunehmend. Ich danke der Schöpfung für diese meine Gabe, jedwedes Wesen freundlich zu stimmen. Und ich bekomme endlich einen Stempel auf den Ausweis und einen abgegriffenen weißen Anhänger an einer Schnur in die Hand gedrückt.

»Umhängen, nie ablegen, nicht verlieren. Verlust kostet das Doppelte und sofortige Ausweisung. Verstanden?«

Es klingt nicht halb so unfreundlich, wie es ohne die Gabe gemeint sein könnte.

Jill und die anderen Wachen packen zusammen. Ihr Dienst endet für Heute. Meine Beobachtung mit dem Dienstwechsel war korrekt, sie haben nicht einmal mehr meinen Beutel durchsucht, so eilig haben sie es nun. Mit einer scheuchenden Handbewegung und der strikten Anweisung, mich an der Harlunden-Station zu melden, wie alle Lunden – so nennen sie hier Leute von außerhalb der Stadt – werde ich weiter in den Gang gewiesen. Ich verbeuge mich artig und eile aufatmend davon. Hinter mir höre ich, wie die Wachleute sich verabreden, wo sie die pekuniäre Ausbeute des Tages verprassen wollen, nachdem sie die Truhe mit den Torgeldern bei der Stadtkasse abgegeben haben würden. Anscheinend sind die meisten Wachhabenden dieser Welt gleich, denke ich bei mir, was es Findenden wie mir einfacher macht, hinter die Mauern zu gelangen.

Es muss wohl mindestens einen zweiten Gang geben, denn weder die Wachablösung begegnet mir auf meinem Weg nach Valys hinein noch überholen mich die Wachen vom Torhaus. Ihre Stimmen verklingen, als ich zwei Kehren weiter auf die Harlunden-Station treffe.
Und auf Finn Walker.

-2-
Der enge, ansteigende Torgang erweitert sich zu einem Oval. An den Seiten gerahmt von nun leeren Stallungen zur Linken und einer Art Wachstube zur Rechten. Vor der Wachstube steht unter der Lampe, die neben der geschlossenen Tür einen gelben Schein auf die verdreckten Steinquader leuchtet, ein riesiges Tier, davor ein Mensch. Falls es ein Mensch ist, darüber bin ich unsicher, denn es sollen in Valys auch Kloffen wohnen, von denen ich allerdings nicht weiß, wie sie aussehen. Nein, denke ich im Näherkommen, ich habe mich bei den Größen verschätzt, denn die Person ist überaus klein, kleiner als ich, und geradezu zierlich. Das Tier daneben ist jedoch nur in etwa so groß wie die vierbeinigen Zugtiere, die bei uns daheim helfen, Karren zu ziehen.
Doch im Gegensatz zu jenen hilfsbereiten, freundlichen Geschöpfen macht dieses Tier einen gequälten, mürrisch-müden Eindruck. Mühsam unterdrücke ich die Wut, die in mir aufsteigt, als ich die Metall-Klammer sehe, die sich um die Schnabel-Schnauze des armen Wesens windet.
Auf dem Rücken trägt es eine Art hölzernes Gestell, das nicht sehr bequem ausschaut. Das Bauchgefieder hängt feucht und dreckig herunter, die Schuppen an beiden Beinen sind glanzlos. Doch ich darf mir nichts anmerken lassen, jetzt noch nicht. Aber eines nehme ich mir doch vor: Wenn mein Auftrag erledigt ist und ich nicht, das heißt, wenn ich noch am Leben sein sollte, dann werde ich alles dafür tun, diese arme Kreatur zu befreien.
Meinen Blick richte ich nun auf die Gestalt daneben, die den Anstand hat, ob des geschundenen Tieres schuldbewusst die Augen niederzuschlagen. Ich sollte nicht werten, ermahne ich mich erneut, noch weiß ich nicht genug über die Stadtstrukturen.

»Finn Walker, zu Diensten«, sagt die kleine Person mit überraschend tiefer Stimme.

»Ihr seid mir zugewiesen als …?« Wie war noch der Ausdruck, den mir die Gardistin genannt hat? »Harlunde?«, fällt mir wieder ein.

Finn Walker verbeugt sich. Ich erwidere die Geste.

Erschreckt schaut Finn um sich, als ob wir beobachtet würden und erklärt mir: »Bitte nicht vor Harlunden verbeugen. Wir dienen, Ihr befehlt.«

Was ist das nur für eine Stadt, frage ich mich schon wieder. Hier regieren anscheinend Angst, Misstrauen und Gewalt.
Verstohlen mustert mich Finn. Die haben hier vermutlich nicht oft Besuch aus den Südländern, denke ich. Ich muss in dieser Stadt sehr fremd aussehen, vielleicht sollte ich mich alsbald ähnlich kleiden. Auch ich betrachte neugierig-verstohlen den Harlunden, dessen Aussehen und Kleidung mir ebenso fremd erscheint.

»Bitte, Lunde, wie ist Euer Name? Habt Ihr einen Titel, wie darf ich Euch anreden? Gebt mir bitte Euer Gepäck, das Vanvan wird es für Euch tragen.«
Finn bemerkt meinen Unwillen, als die Rede auf das Tier kommt – ich sollte meinen Ausdruck wirklich besser unter Kontrolle behalten – und sagt mit der Finn-eigenen melancholischen Stimme, die ich noch nicht einordnen kann: »Das ist eine Anweisung des Mandaten. Stadtbesuch darf sich ausschließlich nur in Begleitung von Harlunden in Valys bewegen. Und deren Gepäck muss auf die Vanvans, ohne Ausnahme.«

Nicht auffallen, ermahne ich mich erneut, nicke und nenne Finn meinen Namen. »Themba, Ely Themba. Aber bitte nennt mich Ely, ohne Titel, ohne Anrede.«

Finn nickt und ist erstaunlich wenig erstaunt. Später werde ich den Grund dafür herausfinden. Während Finn mir scheinbar mühelos den schweren Umhängesack abnimmt und geschickt auf dem Rückengestell des Vanvan befestigt, das sich dafür tief an den von Stroh und Unrat bedeckten Boden drückt und von Finn heimlich etwas Fressbares in das seitlich offene Maul geschoben bekommt, schaue ich mir die Person aufmerksamer an. Ich habe noch nie so weiße Haut bei Menschenwesen gesehen. Verdreckte Stiefel, ein Hut, der an der Krempe abgegriffen wirkt. Falls Haar darunter ist, ist es verborgen. Das Gesicht selbst ist völlig haarlos, nicht einmal Augenbrauen bemerke ich. Die Kleidung wirkt verschlissen, ärmlich und zu dünn für die kühle Gegend hier, wie ich finde. Ich selber fröstele allmählich.
Trotz der zunehmenden Dunkelheit sehe ich, wie sich unter dem Stoff Muskeln abzeichnen – und ein viel zu magerer Körper. Ich schließe schon wieder von Merkmalen auf Fakten, deren Hintergrund ich noch nicht kennen kann, merke ich. Vielleicht sollte ich einfach nur weiter beobachten und meine Gedanken im Zaum halten, insbesondere zu Körpermerkmalen, bis ich mehr Informationen als nur einen vagen Verdacht habe, beschließe ich. Ich darf und will mir zum jetzigen Zeitpunkt kein Urteil anmaßen.

»Wohin darf ich Euch führen, Ely?«

Unschlüssig drehe ich die Marke, die ich mir gleich hinter dem Torhaus umgehängt hatte. Mein Plan wäre eigentlich gewesen, vorzugeben, irgendeine erdachte Person besuchen zu wollen, oder Flöte spielend durch die Gassen zu laufen, damit ich mich frei und unauffällig in Valys bewegen konnte. Aber mit aufgezwungenen Harlunden und Vanvans am Hacken, brauche ich neue Ideen.
»Für heute Nacht ein Quartier? Und morgen eine Stadtführung? Ich hörte, Valys sei eine Stadt der Wunder.« Am Wachhaus ist der Tagessatz für Harlunden notiert, ich hole die mehrfache Anzahl der erforderlichen Münzen aus meinem Gürtel und drücke sie Finn in die Hand. Damit ist der Handel abgemacht. Ich brauche Freundschaften in dieser Stadt – oder mindestens Harlunden, die auch mal wegsehen konnten. Vermutlich versuche ich gerade, Vertrauen zu erkaufen, und alles in mir windet sich deswegen vor Abscheu vor mir selber.
Aber Lor war eindeutig gewesen. »Tu, was immer nötig ist. Finde meinen Schatz!«
Ich beiße die Zähne zusammen und folge Finn und dem Vanvan tiefer in die Stadt, die sich nach der engen Passage zu einem weiten, bebauten Tal öffnet. Wir tauchen in das verwinkelte Gaukler-Viertel ein. Finn zeigt mir mehrere Herbergen dort, die mir nicht zusagen, und ich bekomme schließlich ein sowohl akzeptables als auch erschwingliches Quartier im Stadtviertel der Meuchelgilde, in das sich die Garde weniger oft traut. Das ist mir mehr als recht.

-3-
Aus dem ‚Geheimen Atlas für Weitreisende‘:
Valys ist strategisch gut angelegt. Die Stadt besetzt die einzige Stelle, die vom Fluss her durch die Berge eine Passage ins Hinterland gestattet. Alle Reisenden, die weiter zur Hauptstadt wollen, müssen hier entlang, durch die streng bewachte Engstelle der Unterstadt.
Nur, wer keine Flügel hat, denke ich. Schmunzelnd lege ich das Buch beiseite und schiebe meine Flöte in die Halterung auf meinem Rücken, da es gleich Zeit ist, aufzubrechen. Und alle Lunden bringen Münzen in die Stadtkassen von Valys. Sicher nicht freiwillig, dafür sorgt die Garde des Mandaten, weiß ich inzwischen. Und auch, dass, wer nicht in der Oberstadt wohnt, jederzeit Ziel von Übergriffen der Garde werden kann. Unter der Oberfläche der Unterstadt gärt es. Wir würden dafür sorgen, dass es eskaliert. Buchstäblich. Die Zeit des Tyrannen wird heute enden.

Auf dem Weg durch die Hinterhöfe zu unserem Treffpunkt wandern meine Gedanken ganz von allein durch die jüngsten Ereignisse der letzten Tage.
Von Finn hatte ich erfahren – natürlich erst später, als ein Vertrauen zwischen uns gewachsen war –, dass die Harlunden in Valys ebenfalls drangsaliert werden. Sie müssen von ihren spärlichen Einnahmen über die Hälfte abgeben, einen Teil an den Tempel, einen an den Mandaten. Und von dem Rest, der kaum zum Leben reicht, auch noch die Vanvans verpflegen, die eigentlich der Stadt gehören. Allein bei diesem Wort ballen sich meine Fäuste. Als ob Lebewesen einander gehören könnten. Kein Wunder also, dass Finn so abgerissen aussieht. Aber es war ein Glücksfall, unter allen möglichen Harlunden, ausgerechnet Finn zugeteilt bekommen zu haben. Finn hat unglaublich viele Kontakte in Valys. Aber auch Finn schien ein Geheimnis zu haben. Mindestens eins.

Wir hatten eine Abmachung getroffen und mit Blut besiegelt, schon an Tag drei meiner Suche. Zwei Ereignisse hatten uns zu einem verschworenen Gespann geschmiedet.
Es war ein Tag der Reinigung, wie Finn mir berichtete, während wir im Gespräch versunken von einer Sehenswürdigkeit der Stadt zu nächsten schritten. Das Vanvan hatte Finn noch am Abend zuvor zu den Stallungen zurückgebracht, und ich hatte wohl bemerkt, wie Finn die eigene kärgliche Brotzeit mit dem Tier geteilt hatte. Wir waren kurz davor, ein Speisenhaus zu betreten, um dort die Reinigung abzuwarten.

»An Reinigungstagen beschwören die Magischen aus dem Dunkelstadt-Viertel ab mittags ein örtliches Gewitter. Die stinkenden Straßen, die kniehoch von Abfällen und Fäkalien bedeckt sind, werden alle paar Tage von einem gewaltigen Gewitterguss gesäubert. Der Schlamm spült hinunter in den Fluss«, erklärte Finn. »Lass uns so lange hier einkehren«, schlug Finn vor, auf eine hölzerne Tür deutend, über der ein bemaltes Schild Nahrung versprach.

Vor uns wurde die Tür des Speisenhauses aufgerissen und zwei Mitglieder des Tempels drängten rücksichtslos an uns vorbei. Ich hatte schon davon gehört, dass diese Leute sehr arrogant seien, aber die Art wie sie mit ihren Stäben Finn und mich beiseite schubsten, die Mienen angeekelt, das war doch sehr dreist.

»Aus dem Weg, Kloffe«, zischte eine der beiden Personen gehässig. »Und sag deinen dreckigen Lunden, er soll uns nicht den Weg versperren, sonst passiert ihm das gleiche wie dir.«
Mit diesen ungeheuerlichen Worten und einem weiteren Stoß wurde Finn beinahe vor das nächste Vanvan geworfen, das kreischend auswich. Drohend hob der Tempelmensch seinen Stab, wollte Finn augenscheinlich damit schlagen.
Finn knickte regelrecht zusammen, machte sich klein und versuchte zugleich, einem Schlag des Stabes auszuweichen, der unweigerlich Finns Kopf getroffen hätte.

Ich war in Kriegskunst ausgebildet worden, mein Körper übernahm, bevor ich die Situation überdenken konnte. Meine Hand schoss vor und hielt den Stab auf. Der Ärmel war mir dabei hochgerutscht und ich sah aus den Augenwinkeln, wie Finns Augen sich weiteten, als Finn das eingebrannte Symbol, das zweiköpfige Drachenmal sah und in dem Moment erkannte, was ich eigentlich war.
»Ihr solltet besser enteilen, bevor euch der Blitz … trifft«, grollte ich, mit letztem Rest Anstand den ungesagten Teil des Zitates – beim Scheißen erwischt – verschluckend. Meine Gabe war nicht nur Besänftigung, ich konnte auch Furcht in Herzen säen. Insbesondere, wenn ich wütend war. Und was ich hier miterleben musste, hatte mich sehr, sehr wütend gemacht. Dies und die Tatsache, dass der bevorstehende Wolkenbruch, mit drohendem Donnern und grellen Blitzen über der Schlucht näherrückte, ließ die Tempel-Angehörigen erst zögerlich, dann schneller in Richtung der roten Mauern ihres Tempelbezirks aufbrechen.

»Das wird uns der Frater nie verzeihen, der ist nachtragend wie nur was«, hörte ich Finn besorgt murmeln.

Ich sah den beiden Fratern nach und bemerkte mit Unbehagen wie sie im Vorbeigehen laut schimpfend eine Gruppe patrouillierender Gardisten ansprachen.

»Davon sollte Hauptmann Kuflinger erfahren«, hörte ich und sah sie auf uns deuten.

Aus der Gruppe löste sich eine mir bekannte Gestalt. Ich erkannte Jill Molan, die Gardistin. Das würde die Sache entschärfen. Ich atmete erst auf, dann meine Wut weg und setzte mein einschmeichelndstes Besänftigungslächeln auf.
»Jill Molan, wie schön, Euch wiederzusehen«, rief ich der Gardistin entgegen und sah mit Genugtuung, wie sich ihre finstere Miene sofort aufhellte. Die Gabe wirkte. »Darf ich Euch auf einen Becher Fliedersaft einladen?«

War nur noch das Problem mit Finn geblieben. Wie viel hatte der Harlunde gesehen, was wusste Finn über das geheime Symbol? Würde Finn mich den Gardisten ausliefern? Aber meine Sorgen waren unbegründet gewesen. Ab diesem Moment hatte ich mit Finn ein Vertrauensverhältnis erworben, das wir später, nachdem wir die halbe Nacht in meinem Quartier geflüstert und Geheimnisse geteilt hatten, mit einer scharfen Klinge, einem Schwur und Heilkräutern auf den Schnitten besiegelt hatten. Inzwischen wusste ich durch Finns zahlreiche Kontakte auch, wo Lors Schatz zu finden war. Und vor allem hatten wir zusammen einen Plan entwickelt, wie wir an den Schatz kommen würden. Finn sei Dank hatten wir etliche Verbündete gefunden.

Meine Gedanken kommen wieder in der Gegenwart an.
Hinter dem Palast in der Oberstadt schiebt sich allmählich die morgendliche Sonne in ihre Vormittagsposition. Sie würde nicht lange dort zu sehen sein, heute ist wieder ein Tag der Reinigung. Schon kriechen dunkle Wolken aus der Flussniederung herauf, schwer von Feuchte, gerufen von magischen Beschwörungen.
Wir haben etwa eine Stunde.

-4-
»Sind alle bereit?«, frage ich Finn, der leise neben mich getreten ist. Finn nickt. Vom Rücken des Vanvans führen Stangen, auf denen, von einer Plane verhüllt, ein kleines Boot geschnallt ist, dessen Gurte Finn jetzt löst. Ich hatte erst einen Wäschebottich vorgeschlagen, aber Finn hat mich überzeugt, dass ein Boot die bessere Wahl wäre. Das Vanvan legt sich entspannt neben uns, als die Last von seinem Rücken ist. Es ist dasselbe Tier, das mein Gepäck getragen hat, als ich Valys erstmals betreten hatte. Wieder sehe ich, wie Finn die Klemme an der Schnabel-Schnauze beiseite drückt und dem Tier etwas ins Maul schiebt. Vermutlich wieder ein Teil des Essens, das Finn sich nun, dank meiner zusätzlichen Münzen, eher leisten konnte.

»Nur noch ein wenig durchhalten, Shaka, dann rennt ihr alle hinunter zum Fluss.« Finn streicht dem Vanvan über das grün schimmernde Halsgefieder, zögert kurz und nimmt dann doch mit einer fließenden Bewegung die Maulkorb-Spange vom Kopf des Vanvan. Unser Pakt beinhaltet die Befreiung der Vanvans. Wenn, ja wenn alles nach Plan verlaufen würde. Es könnte noch so vieles daran scheitern. Nervös reibe ich über das wulstige Brandmal unter meinem Ärmel.

Finn Walker ist eine interessante Person: Finn gehört tatsächlich zu den Kloffen aus dem Viertel der Felskloffen, ist zudem Mitglied der Meuchelgilde, des Heilens kundig und befreundet mit der halben Stadt, unter anderem mit Leuten von den Bleichhütten. Und ebenso wie ich es bei mir bin, ist sich Finn seines Geschlechts sehr sicher, wobei Finn es mag, wenn die Leute, wenn sie über ihn reden, dies mit ‚er, sein und ihm‘ tun, ich dagegen ausschließlich mit meinen Namen erwähnt werden möchte, gänzlich ohne Pronomen.

Nicht wenige der Kloffen haben eine so geringe Körpergröße wie Finn, was in den Tunneln unter dem Sonnenfelsen von Vorteil sein kann. Aber die meisten Kloffen sind groß wie Menschen. Finn ist der einzige in seiner Familie, der als Harlunde arbeitet.
All das habe ich von Finn selbst innerhalb der letzten Tage und Nächte erfahren. Wenn ein Wesen in dieser Stadt mir bei der Suche nach dem Schatz helfen konnte, dann Finn. Der Mandat hat seine Spitzel überall, bekanntlich. Was er, hoffentlich, nicht weiß: Auch die Leute in Valys, die lange genug unter all den Ungerechtigkeiten zu leiden hatten und nicht länger bereit sind, dies alles hinzunehmen, hatten insgeheim Leute beim Mandaten einschleusen können.

Ein Kind hüpft singend an unserem Versteck vorbei, ein Stück Holz an einer Schnur durch den übel riechenden Schlamm hinter sich herziehend. Ohne anzuhalten ändert es auf Höhe unseres Verstecks eine Liedzeile in: Sie gehen los, los, los, was eindeutig nicht in den Text des bekannten Kinderlieds passt.

Finn nickt, zieht einen kleinen Kristallspiegel aus seiner Tasche und lenkt ein paar der letzten Sonnenstrahlen an verschiedene Punkte auf den Dächern. Es blitzt zurück, alle sind auf ihren Posten.

Und da kommt die Gruppe, der wir alle auflauern, auch schon um die Ecke. Vier Wachen der Garde sind dabei und zwei Leute in Tempelkleidung. Einer davon ist der Widerling, der Finn und mich vor ein paar Tagen beleidigt hat. Das Vanvan hinter mir zischt wütend. Zwei Personen, Bedienstete des Mandaten, tragen eine Art kleiner Sänfte mit einem geschlossenen Kasten darauf.
Endlich.

Wir hatten rechtzeitig erfahren, dass der Mandat heute heimlich Lors Schatz, den er an sich gebracht hatte, als Schenkung ebenso heimlich an den Tempel überstellen will, kurz vor dem geplanten Gewitter, weil da die Straßen menschenleer wären.

Auf meine Frage, warum der Mandat den Schatz nicht selber behalten würde, hatte Finn eine plausible Erklärung: »Der Mandat muss sich mit dem Tempel gut stellen. Als eine Art Bestechung. Mich würde ja interessieren, was die Gegenleistung ist.«

Sie sind schon fast an uns vorüber. Ich schaue unruhig zu Finn. Warum gibt er nicht endlich das Zeichen? Was, wenn … ? Meine zweifelnden Gedanken gehen in einem Donnergrollen unter, das nicht von dem nahenden Gewitter stammt. Der Boden zu unseren Füßen bebt. Das Vanvan hebt den Kopf und kräht durchdringend. Es klingt triumphierend. Aus der gesamten Stadt ertönen Antwortrufe der Horde wie versetzte Echos.

Die Gruppe auf der Straße ist stehen geblieben, schaut mit offenen Mündern hoch zur Oberstadt, wo der Palast des Mandaten gerade in sich zusammenfällt und dann hinüber zu den Mauern des Tempelbezirks, deren Rot zerbröselnd inmitten grauer Staubwolken versinkt. Der gesamte Sonnenfels, auf dem der Komplex steht, wird von einem gewaltigen Beben erschüttert.

»Es ist vollbracht«, höre ich Finns Stimme mit einer Genugtuung darin sagen, deren kalter Klang mir Schauer über meine Haut jagt.
Finns Leute, die Kloffen, haben unbemerkt in jahrelanger Mühe das Stadtviertel Felskloffen bis unter die verhassten Mauern getrieben, unter denen sie ihre verlorene Heimstätte vermuten. Die Magiegilde half, die oft von der Garde kontrollierten Tunnel zu verschleiern. Der heutige Tag der Rache ist genau die Ablenkung, die wir brauchen. Wir treten aus dem Schatten.

Von den Dächern schwingen sich Leute herunter, Mitglieder der Gauklergilde. Magie fließt in die Seile, die sich daraufhin wie lebendige Schlangen winden, auf die Sänfte zu, gewirkt von unseren Verbündeten aus der Dunkelstadt, dem Viertel der Magischen Gilde. Die vier Wachen und zwei Tempel-Angehörigen baumeln im Nu gefesselt und hilflos an den Wänden der umliegenden Häuser. Ihre erschrockenen Schreie gehen im Grollen des einsetzenden Gewitterregens unter.
Die Abläufe sind von uns perfekt aufeinander abgestimmt worden. Finn hat großartige Vorarbeit geleistet. Eine Stunde früher als angekündigt prasselt der Regen hernieder. In der Stadt herrscht Chaos. Die Straßen verwandeln sich in rutschigen Schlamm.
In der Mitte des Szenarios stehen die beiden verängstigten Bediensteten mit der Bahre. Ich ziehe meinen Dolch, gehe auf sie zu und hoffe, bedrohlich genug auszusehen, um sie einzuschüchtern, aber nicht zu bedrohlich, dass sie den Schatz fallen lassen würden. Auch die Gabe der Wut wage ich nicht einzusetzen, damit die Büttel des Mandaten nicht in Panik ausbrechen. »Langsam abstellen, aber ganz vorsichtig!«, sage ich. Meinem Befehl wird gehorcht. Mit einer auffordernden Bewegung des Dolchs scheuche ich die beiden davon, und zum Glück für ihre Gesundheit rennen sie ohne Wenn und Aber von Dannen.

Ich trete an den Kasten, öffne mit zitternden Händen die Verschlüsse und klappe den Deckel zurück. Darin liegt, auf polsterndes Stroh gebettet, der Schatz, den ich für Lor finden sollte: das geraubte Ei. Rot und leuchtend ist die Oberfläche, und als ich eine Hand auf die Schale lege, fühle ich Wärme und Pulsieren. Erleichtert atme ich aus. Nun müssen wir noch heile aus der Stadt gelangen.

Das Vanvan und Finn ziehen das Boot heran. Die Wachen und Mönche, die an der gegenüberliegenden Hauswand baumeln, rufen wüste Beschimpfungen in unsere Richtung. Ich werde nachlässig und achte nicht darauf. Ich will Finn helfen, das Boot in Position zu ziehen, jetzt muss es schnell gehen.

»Obacht!«, schreit Finn plötzlich und deutet auf den einen Mönch, der es irgendwie geschafft hat, gefesselt seinen Stab in der Hand zu behalten. Den Stab, den er gerade schwungvoll mit dem Fuß in unsere Richtung kickt.
Ich sehe das Holz fliegen, werfe mich in die Bahn, bekomme den Stab beinahe zu fassen, aber er streift nur meine Fingerkuppen, fliegt weiter, fliegt auf die Sänfte zu, auf die Kiste darauf und schrammt über das rote Ei darin. Zu spät. Das Knacksen der Eihülle dröhnt in meinen Ohren, mein Entsetzen blendet alle anderen Geräusche aus. Ich bin unfähig, mich zu bewegen. Lor, denke ich entsetzt. Dann beginnt mein Blut zu rauschen und zügellose Wut überwältigt mein Denken.
Wie betäubt hebe ich den Stab auf, schwinge ihn wie eine Keule und dresche auf den baumelnden Mönch ein, dem das fiese Grinsen vergeht, als das Holz sein Gesicht trifft. »Elender Mörder«, schreie ich. Blut schießt aus den aufplatzenden Wunden. Das Rot vermischt sich mit dem Unrat, der den Berg hinuntergespült wird. Unter meinen Schlägen höre ich Knochen brechen. Es ist mir egal.
An mir vorbei rast ein gefiederter Schatten auf den Stecken zu. Das Vanvan. Tief gräbt es den Schnabel in das Holz des Stabes, hält ihn eisern fest, während ich daran reiße, um mein Werk zu vollenden. Ich spüre Finns Hand auf meinen Arm, die andere legt er leicht auf meine verkrampften Fäuste, die den Stock halten.

»Ely«, sagt Finn, nichts weiter, nur dieses eine Wort. Es genügt.

Ich komme wieder zu mir. Beinahe hätte ich einen wehrlos Gefesselten erschlagen, wird mir bewusst. Finn lässt mich los und auch Shaka öffnet den Schnabel. »Danke«, sage ich, meine beide damit und werfe den Stab weit von mir. Ein blutiger Stofffetzen, der daran haftet, wird davongeschleudert.

Wieder kräht das Vanvan. Shaka schaut noch einmal zu uns herüber, wirft auch dem angeschlagenen Ei einen Blick zu den ich nicht deuten kann und rennt zum Fluss hinunter, wo seine Horde sich versammeln wird. Sie sind frei. Wenigstens dieses Versprechen konnte ich halten.

Weinend hebe ich das Ei, das einen langen Riss hat, aus der Kiste und lege es behutsam auf ein weiches Tuch im mit Stroh gepolsterten Boot, ganz wie es geplant war. Finn hilft mir dabei. Eigentlich eine sinnlose Tätigkeit, denke ich verbittert, mich selbst für den unverschuldeten Unfall verantwortlich machend, denn ich glaube, versagt zu haben. Das Ei ist verloren.
Ich werde es trotzdem zu Lor bringen, damit sie entscheidet, was weiter damit geschieht. Es ist viel zu kostbar, auch in diesem Zustand, um es dieser verfluchten Stadt zu überlassen. Und ich werde später darüber nachdenken, ob ich das Unglück hätte verhindern können. Mich nun darüber zu grämen, bringt gerade keine Erkenntnisse, ermahne ich mich und kann mich doch nicht aus den kreisenden Gedanken lösen.

Durch meine dumpfe Trauer dringt Finns immer drängender werdende Stimme: »Ely! Gib das Signal. Jetzt, Ely. Ruf Gila!«

Ich ziehe endlich die Flöte aus dem Rückenholster. Mit aller Kraft blase ich die verabredete Tonfolge und, nur um ganz sicherzugehen, noch einmal. Dann drehen Finn und ich das Boot in Position, schieben es, immer schneller werdend auf die glitschige Mitte der Straße und springen hinein, als es Fahrt aufgenommen hat. Das angebrochene Ei halte ich, so gut es geht, mit den Knien fest, während wir mit dem Dreck der Stadt im strömenden Regen gefährlich schlingernd durch die gewundenen Gassen rasen, dem Fluss entgegen.
Ich höre uns schreien.

-5-
Gila, der Drache, der mich hergebracht hat, hatte geduldig während der letzten Tage vor der Stadt ausgeharrt. Oder eigentlich über der Stadt. Gila hatte mich abgesetzt und sich anschließend in den Felsen oberhalb von Valys versteckt und bereitgehalten, bis meine Mission beendet wäre. Auf die eine oder andere Art. Um Lor von unserem Scheitern und meinem Tod zu berichten, oder mich und den Schatz erfolgreich zurückzubringen. An diese dritte Möglichkeit hatte ich niemals denken wollen.

Mit einem schabenden Geräusch läuft unser Boot auf der Fläche am Ufer bei den Bleichhütten aus. Heute, am Tag der Reinigung, ist keine Wäsche auf den Wiesen ausgebreitet. Wir leben noch.

Finn dreht sich mit einem breiten Grinsen um, von der Krempe des Hutes tropft Regenwasser. »Ich hätte nicht gedacht, dass das mit dem Boot klappen würde.«
Dann deutet Finn in den Himmel hinter mir. »Da. Sieh nur. Ist das Gila? Meine Güte, ist das ein großer Drache!«

Ich drehe mich erst zu Gila um, als er mir seinen warmen Atem in den Nacken bläst. »Es ist schlimm, tut mir leid«, würge ich hervor. Ich hatte das Ei, das Lor als ihren Schatz bezeichnet, zwar gefunden, aber es war kaputtgegangen. Mein Versagen brennt tiefe Spuren der Scham in mein Inneres.

Gila bleckt, unbeeindruckt von meiner Trauer, seine großen, spitzen Zähne und drückt sie vorsichtig in den Riss in der Eierschale, erweitert ihn zu einem Spalt.
»Hilf mir lieber, anstatt Trübsal zu blasen«, befiehlt Gila und spuckt ein Stück Schale zur Seite. Aus dem kaputten Ei kommen glucksende Geräusche und eine kleine Pfote fingert durch die Öffnung.

Endlich verstehe ich und beginne eifrig ebenfalls am Spalt herumzubrechen. Vor Erleichterung lache ich auf, während meine Wangen noch nass von Tränen sind.

An uns vorbei laufen die Menschen aus den Bleichhütten zur Stadt hinauf, die wegen des Reinigungstags offenen Tore der Stadt stürmend. Sie sind bewaffnet mit Schöpfpaddeln und Wäschepfählen und sie wissen vermutlich, gut damit umzugehen. In Valys oben sind Kämpfe ausgebrochen, ich merke wie Finn unruhig wird. Die zuvor geheimen Felskloffen-Tunnel sind nun offen und es laufen noch zu viele von der Garde frei herum. Der Mandat, falls er den Einsturz des Palastes überlebt hat, darf nicht entkommen. Was die Rebellion vom Tempel zu erwarten hat, ist ebenfalls offen. Dort hatten wir keine Spitzel unterbringen können. Die Aufständischen brauchen Führung, Koordination, sie brauchen Finn. Jetzt, und in Zukunft.

»Geh nur«, fordere ich also Finn auf, »sie brauchen dich da oben.« Ich reiße an fest sitzenden Schalenstücken. »Und Danke für alles. Ohne dich hätte ich es nicht geschafft. Wie kann ich das je wiedergutmachen?«

Finn lächelt mich an, legt mir eine Hand auf die Schulter. »Schreib auf, was du hier erlebt hast, Ely. Das genügt.«

Plötzlich liegen wir uns in den Armen, drücken uns beinahe gegenseitig die Luft aus den Rippen. Und dann sind meine Arme leer. Finn eilt von dannen, einer eigenen Geschichte und der Rebellion entgegen. Über Valys steigt Rauch auf.

Das empörte Fiepen eines Drachenkükens, das mir gerade sehr unelegant aus dem Rest der Schale vor die Füße purzelt, schreckt mich auf. »Es ist ganz blass, nur grau, und überall Flaum«, sage ich überflüssigerweise zu Gila, der das niedliche Küken ja ebenfalls sehen kann. Ich schmelze dahin. Ich habe Elter-Gefühle, bemerke ich unerwartet.

Gila brummt, ebenso entzückt über unser flauschiges Küken: »Die bunten Schuppenfarben bekommt es, wenn es älter ist, du wirst sehen.«

Behutsam wickele ich das Kind in die Decke, die bisher das Ei geschützt hatte und stecke das niedliche Wesen vorsichtig in meinen Gepäckbeutel, den ich mir schon vorhin umgeschnallt hatte, vor wenigen Minuten, vor einer Ewigkeit, als ich noch dachte, ein Ei retten zu können. Nun rette ich also Lors Kind. Schatz bleibt Schatz, denke ich, als ich schützend einen Arm um die Tasche lege.

»Steig auf«, sagt Gila und hält mir einen Flügel hin, damit ich bequemer mit dem kostbaren Gepäck auf seinen Hals klettern kann. »Wir fliegen heim.«

Unter uns bleibt eine Stadt zurück, die sich gerade Freiheit und Rechte zurückerobert. Mit Menschen, und vor allem Kloffen, die mein Herz berührt haben. Vielleicht werde ich eines Tages wiederkehren können, wie auch immer die Rebellion ausgehen mag, sage ich hoffnungsvoll zu dem zufrieden vor sich hin fiepsenden Wesen in meiner Tasche, als ob es mich schon verstehen könnte. Aber auch das ist etwas, das ich herausfinden würde.

Ich bin Ely Themba, ich finde Dinge.
Und ich habe in dieser Stadt Valys mehr gefunden, als ich gesucht hatte.

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