Das Dampfbein schwingen – Rezensionen
Ein Anthologie-Review mit meiner persönlichen Punktevergabe (Höchstzahl 6 Punkte).
Die Punkte sind nach Gefühl vergeben, sie haben nicht wirklich etwas mit dem Können der Autor_innen zu tun, sondern rein nach meinen Gedanken, die ich beim Lesen dazu hatte.
Die Kurzgeschichten sind einzelnen Begriffen zugeordnet, etwa Atemtakte, Tempo, Ferne, Nebel, Freiheitslieder etc. Sehr charmant. Allen gemeinsam ist das Grundthema Musik in einer Fantasy/Steampunk-Welt. Die Anthologie ist 2/2021 im Verlag ohne ohren erschienen.
Nachfolgend die einzelnen Kurzgeschichten, meine zwei Sätze dazu (manchmal mehr) und meine intuitiv vergebene Punktezahl.
Die Entdeckung der Rima Hadley, Sarah Malhus
Eine SF-Story, wie ich sie mir als Kind erträumt hätte, als ich die Mondlandungen verfolgte. Kontaktaufnahme mittels Musik, hier: ein altes Grammophon. Sehr nice! (6)
Singender Sand, Roxane Bicker
Oha, Lese-Euphorie im ersten Satz, weil … Wüstendrachen! Und Neopronomen. Spoiler: der Sand singt gar nicht, aber es ist nah dran. Verlorene Schätze auf dem Mars und eine überraschende Berührung. (6)
Der Jungfernflug der Aurora, Iva Moor
Gewohnt herzerwärmend, mit einer Prise queerer Romantik. Es schimmert vielleicht ein wenig „Rostiges Herz“ durch, aber das mag Zufall sein. Ich mochte die Käfer! (6)
Euphonias Rache – Ein Fall für Shirley Houmes und Jane Wadsen, Meara Finnegan
Wie der Titel es schon andeutet, eine Hommage an berühmte Detektive. Allerdings mit sehr viel Okkultismus. Und einer Beziehung. (5)
Pina Parasol und der Tanz der Suizidfürsten, Tino Falke
Wenn ein Tanz zum Duell ausartet, oder wie Bratenspieße zur Waffe werden. Einmal mehr war ich dankbar für die CN vor der Kurzgeschichte. Die Parade muss sich angehört haben, wie die Probe eines Schul-Orchesters, das zum ersten Mal spielt. Tödliche Spiele, aber niemand wurde verletzt, gefällt mir. (5)
Der Mull des Kanzlers, Ramon M. Randle
Eine Story, die von Pflichterfüllung und Aufopferung handelt, und die, wie im Märchen, unerwartet belohnt wird. Feine Gedankenspielerei mit einer unterschätzten Tierart, hier ein wenig magisch. (5)
Vollmondnacht in D-Moll, Alex Prum
Interessanterweise sind viele Geschichten mit Attentaten in dieser Antho. Auch geht es um Zielpersonen. Leichtfertiges Töten von Mooks für das höhere Ziel. Und visualisierte Musikstücke. (5)
Die Liebe zur Musik, Katja Rocker
Der Geist der Musik, hier einmal seltsam wörtlich zu nehmen. Irgendwie bedauere ich, von der Musik nur zu lesen, ich wüsste gerne, wie die hier beschrieben Instrumente (Waterophon und Phonogeige) zusammen klingen würden. (5)
Das Element Wasser, Christina Wermescher
Hm. Bin unsicher. Es sollte wohl ein romantisches Ende werden – aber möchte man jemandes Heiratsantrag zustimmen, von dem man eben noch dachte, er wolle einen vor versammeltem Publikum bloßstellen? Ich verstehe solche Wendungen in Storys nicht. (4)
Nebelsilber, Julia Winterthal
Eine Stadt im Nebel, eine Erinnerung, eine verbindende Melodie, magisch. Spannender Weltenbau, von dem ich mehr erfahren möchte. (6)
Dein tönendes Herz, Anna Zabini
Musik, Geister, ein Verlust und etwas Eingeschlossenes manifestiert sich, oder sollte ich sage reinkarniert sich. Kluge Analyse einer Beziehung. (6)
Das überlebensgroße Orchester, Cathrin Kühl
Uffz, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Naiv, wie ich bin, erwarte ich in einer Anthologie mit Hauptthema Musik irgendwie nicht so wirklich, über einen geisteskranken Mörder (dieser Tropus, einfach nein) zu lesen, zumal die Tat noch genüsslich blutig geschildert wird. Sehr emotional und mit überraschenden Wendungen, aber… uffz.
Darf ich bitte vor solch gewaltvollen Kapiteln CN haben? (4)
Fenice, Kornelia Schmid
Als singende Putzfrau im Opernhaus in Venedig. So weit so gut. Interessante Geschichte, aber auch wieder ohne Warnungen für Gewalt, Charaktertod und psychische Befinden. Nur (5) Punkte daher. Die Idee an sich war nicht schlecht.
Herztakt, Tanja Rast
Wundervoll! Eine sehr durchdachte Geschichte. Walzer zum Takt der Kolben. Das genau richtige Tempo der Erzählweise. Behutsame Dekonstruktion von sogenannten Klassenunterschieden. Gay Romance. Eine behinderte Person als Hauptfigur, aber kein Ableismus dabei, einfach nur zwei Menschen, die sich wertschätzen und ineinander verlieben. Voller Respekt in jeder Textzeile. Ich hachze mit gerührt-feuchten Augen vor mich hin.
Ich liebe alles an dieser Story! (6+*)
Androiden können nicht tanzen, Cel Silen
Spoiler: Doch! Eine dystopische Welt voller Regeln, und doch gibt es Menschlichkeit, /*ausgerechnet* von einem Androiden ausgeübt. (6)
Aufgespielt, Alexa Pukall
Erinnert mich an die Goldenen Zwanziger Jahre in unserer Welt. Hier wird eine Beziehungsebene geschildert, die zwischen Luxus und Heiterkeit des feudalen Systems die Vereinsamung der verkauften Braut und die Ausbeutung des Hausmädchens durchschimmern lässt. Sympathien für den Chauffeur, aber auch für das Fräulein. (6)
Tanz in den Wolken, Peter Michael Meuer
Der letzte Tanz der Prinzessin. Kreative Bezeichnungen für Instrumente, das mochte ich. Das düstere Bild dieser Welt, die fast folgerichtig zu dem Ende führte, nun ja. Ich mag mich wiederholen, aber so eine kleine CN, dass hier Suizid passieren konnte und Mord, wäre nach meiner Meinung nicht zu viel verlangt. (5)
Chrom und Bronze, Marius Kuhle
Sehr schön geschildert, dass in einer perfekten Welt eben doch nicht alles mechanisch ersetzt werden kann, aber auch Menschen zerbrechlich sind. Eine Welt des Zerfalls, womöglich, aber irgendwie hat mich hier nicht nur die Absurdität, sondern auch die Schönheit des Schadhaften angesprochen. (6)
Die Erinnerung des Grammomädchens, Sarah König
Trauma, Verdrängung und Erinnerung. Eine Mär über die Fehlbarkeit von Maschinen und die Endlichkeit des Lebens. Sehr traurig, irgendwie, diese verlorene Lebenszeit. (5)
Das Mädchen vom Riesenrad, Janika Rehak
Was las ich hier? Eine Geistergeschichte? Ein Leben, das ‚trotzdem‘ gelebt wurde? Es ist sehr geheimnisvoll jedenfalls. Sogar ein wenig traurig. (5)