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Rattarium  

Socken und Sandalen

Judging Socks in Sandals is shame culture

Content Notes: Sexismus, Bodyshaming, Lookismus, Klassismus, Ableismus, Fatshaming.
(Abwertung/Häme in Zusammenhang mit Geschlecht, Körperform, Aussehen, gesellschaftlichem Status, Diskriminierung von Menschen mit Behinderung – hier als angenommene Unterstellung von behindert sein; Stigmatisieren von dicken Menschen.)
Religions- und Islamfeindlichkeit, Misogynie, Queerfeindlichkeit.

Eine kurze Frage

Habt ihr Respekt und Achtung vor Personen, die Socken in Sandalen tragen? Findet ihr Personen sexy, die nach eurer Ansicht, falsch gekleidet sind?
Nein?
Dann überlegt mal bitte, ob ihr hier nicht aus Versehen ganz tief Abwertung, vielleicht sogar Ableismus betreibt, indem ihr der Person geistiges, kulturelles und modisches Niveau absprecht. Ich sage zwar ihr, aber so ganz frei von Vorurteilen bin ich da auch nicht, habe ich gemerkt und arbeite daran.

Seid ihr, die ihr darüber lacht und euch aufregt, weil „man“ das so nicht trägt, etwa die selbsternannte Style-Police? Ok, die Leute, die das absichtlich und genüsslich machen, werde ich ohnehin nicht erreichen. Vielleicht kann ich trotzdem einige – wie mich selbst – zum reflektieren bringen.

Wieso wollen wir Menschen vorschreiben, wie sie auszusehen haben und was sie in unseren Augen tragen dürfen? Wie kann einerseits ein Schottenrock cool sein und andererseits wird es in diesem Land lächerlich gefunden, wenn Menschen sich unüblich (im Sinne von nicht normativ/konventionell) kleiden.

Warum ist es problematisch?

Wir kennen die Leute nicht, die wir mit unserem oberflächlichen Lookismus beschämen, aber denken doch vielleicht: das sind Proleten, Unwissende in Sachen Mode; zu stur, um Geschmack zu haben, oder zu arm, um sich Markenkleidung zu kaufen.
Zu den internalisierten Vorurteilen kommt eine gute Portion Klassismus, wenn es um Armutsästhetik geht. Und ganz sicher, bei einigen der diffamierenden Aussagen, die ich bei der Recherche lesen musste, eine Menge Sexismus.

Weitere Beispiele

Ich habe mal ein wenig herumgefragt, ob Leuten weitere Begriffe über vermeintliche Modesünden einfielen – und es sind etliche zusammengekommen. Leute werden über ihre Kleidung beurteilt und abgewertet. Das ist nicht in Ordnung.
Es macht mich wütend, diese folgenden Vorurteile betreffend Kleidung überall lesen zu müssen, weil Menschen glauben, sich dafür fremdschämen zu müssen:

  • Sandalen mit Socken. Ich las jüngst in einem Kommentar, dies würde als natürliche Verhütung funktionieren. Dieser Shame ist mindestens Lookismus und – hier fehlt mir noch der richtige Ausdruck für diese Abwertung – Sexismus vielleicht? Diskriminierung! Es wird einem Menschen sexuelle Attraktivität abgesprochen, nur weil da Socken in Sandalen sind? Ernsthaft?
  • Kurzarmhemden, gerne kariert oder in sogenannten Hawaii-Hemd-Mustern. Was ist gegen Farben und Formen einzuwenden? Oder sichtbare Arme, wenn es warm ist?
  • Rentnerweste, in Trendfarbe beige. Wenn die das mögen, lasst sie doch.
  • Baggy-Jeans (Karottenschnitt, Röhrenhosen). Vielleicht ist ja auch die Modeindustrie Schuld, die immer schneller, immer neue Wechsel im angesagten Trend fordert. Wer ist privilegiert genug, da mitzuhalten? Kapitalismus heißt auch, sich nicht jede Saison neu einkleiden zu können.
  • Hosen: Was wird hier nicht alles angeprangert: Shorts (als Steigerung in Kombination mit Sandalen und Socken oder Hotpants mit Strumpfhosen), Kordhosen (liebe ich, genau wie ich meine Samthose liebte), Schlaghosen (die waren mal richtig modern), Jeans mit Reißverschluss an den Beinen, um sie zu Shorts zu kürzen (also, ich finde das praktisch), Jogginghosen (schon gar nicht eng anliegend, las ich. Warum denn nicht?)
  • Trainingsanzug aus Ballonseide, wird als Unterschicht-Kleidung gesehen, Ballonseide sei zudem aus der Mode. Es gibt Menschen, die aufgrund von Krankheit nur relativ einfach anzuziehende Teile tragen / tragen können, also obacht mit vorschnellen Urteilen. Und vielleicht ist es ja einfach nur bequem.
  • Schulterpolster in Pullovern und leichten Jacken. War in den 19HundertAchtigern modern, hat jede Anzugjacke.
  • weiße Unterhemden. War für mich als Arbeiterkind ein gewohnter Anblick.
  • Keine weißen Strumpfhosen, weil das die Beine optisch dick macht? Auch dicke Menschen dürfen das tragen. Überraschung – Menschen mit Kurven sind nicht automatisch krank und nachlässig, wie uns das eine Industrie einreden will, die ihr Geld mit künstlich erzeugten Schlankheitsidealen, Fitness-Diktat und Sportmaschinerie verdient.
  • Netzstrumpfhose. Weil … die verrucht wirken? Bin mir nicht sicher. Hatte die mal gerne an, als ich jünger war und femme spielte, mit Highheels.
  • Gürteltaschen, Handgelenktaschen. Nichts gegen Gürteltaschen, sie sind sehr praktisch. Wenn Personen mit Handgelenktaschen als „schwul“ beschimpft werden, ist das mindestens queerfeindlich, die Taschen wurden von homofeindlichen Personen als „Klaus-Dieter“ bezeichnet.
  • Handwerkerdekolleté (der Teil am Körper, der als Poritzenansatz sichtbar wird, wenn die arbeitende Person sich über die Arbeit beugt). Je nun, passiert bei der Arbeit. Wegschauen bitte, wer’s nicht sehen mag.
  • Partnerlook. Ich kenne Zwillingskinder, die nicht gleich gekleidet sind. Partnerpersonen im gleiche Outfit sind durchaus auffällig. Aber wenn sie das als Zeichen ihrer Zusammengehörigkeit mögen, warum nicht.
  • Arschgeweih (breites Tattoo am unteren Rücken). Das finde ich richtig tragisch. Zu Zeiten meiner Großmutter wurde mir erzählt, Tätowierungen würden nur Seeleute und Verbrecher tragen. Mode mäandert, wie alles auf dieser Welt, und plötzlich war es „woke“ ein solches zu haben. Als der Modegeschmack wechselte, waren die immer noch da, nun aber mit Spott und Häme zusätzlich.
  • Hoodie. Leute, Kapuzenpullover sind Liebe und womöglich eine Lebenseinstellung.
  • T-Shirts: untailliert, tailliert, bedruckte Band/Motiv-Shirts, zu kurz, zu lang – Leute haben immer etwas zu meckern. Ich lasse mir schon lange nicht mehr vorschreiben, was ich angeblich altersgemäß zu tragen hätte.
  • geringelte Kleider Diese beschissene Aussage, dass (Längs)Streifen schlank machten. Hier wir also nicht nur die Kleidung bewertet, sondern auch Körperform. Macht. Das. Nicht.
  • Ringelsocken. Nur, weil Pippilotta solche trug, ist das noch lange nicht kindisch. Ja, manchmal habe ich zwei verschieden farbige an und auch in Regenbogen. Programmierer Socken gibt es auch. Und welche mit Katzen und Fischen drauf. Deal with it.
  • Faltenröcke. Hier tue ich mich tatsächlich schwer, etwas Positives zu schreiben. Schatten aus der eigenen Vergangenheit. Aber auch hier wieder: Kein Mensch sollte gezwungen werden etwas zu tragen, was nicht gemocht wird. Auch wenn es anderen Menschen unverschämt gut steht.
  • Ich durfte keine Stiefel zu Kleidern tragen. Frage mich bis heute: Warum. Einerseits sollte ich teils auch im Winter Kleider tragen, andererseits sollte ich dazu mit dünnen Schuhen durch den Schnee laufen? Ist das nur bei mir so gewesen, oder kennt ihr das auch?
  • Flipflops – zu langer Jeans getragen. Warum genau regen sich Leute darüber auf? Wer dies trägt, fühlt sich offensichtlich wohl damit.
  • farbige Turnschuhe. Meine neuen sind grell-rot. Hell yesss!
  • Gummistiefel/Schirme/Regenkleidung. Schulkinder sagen, sie wollen das nicht benutzen, weil sie dafür ausgelacht werden. Es ist so krass, dass Vernunft und Funktionalität sich bereits bei Kindern einem Modediktat unterordnen müssen, das möglicherweise krank macht.
  • Lederhosen und Dirndl. Das sieht hier im Norden komisch aus, ich weiß das, man hatte mich ins Dirndl gezwungen. Robuste Lederhosen trug ich gerne, es gab allerdings leider keine neuen, als ich rausgewachsen war. Aber nun, beides wird anderswo im Land täglich getragen, so what? Kein Grund, Menschen deswegen auszulachen, weil sie ihre gewohnte Kleidung auch anderswo tragen.
  • Farben, gelb und schwarz kombiniert. Warnfarben. Vielleicht möchte ich diese Person genau deswegen kennenlernen?
  • hautenge Kleidung zu beanstanden ist pures Bodyshaming in manchen Fällen.
  • Kombi aus Jeanshose mit Jeansjacke. Was ist da bitte falsch dran?
  • Jackett zu Jeans. Das hat Stil, finde ich, so als Antitrend und gewollter Stilbruch.
  • Kopftuch. Wird erbittert diskutiert von Leuten, die das so gar nichts anzugehen hat. Es ist einfach beschissene Religions- und Islamfeindlichkeit. Muslimas das Tragen zu verbieten wird immer wieder diskutiert und teils tatsächlich verboten, was ich als übelst übergriffig finde, darüber fremdbestimmen zu wollen. Kein Minister würde wagen, dies von Nonnen in der Öffentlichkeit zu fordern.
    Mich hat meinerzeit schon genervt, dass Lehrkräfte in der Schule verlangten, Lernende hätten im Unterricht die Mütze abzulegen. Und mindestens meine Großmutter trug ein Kopftuch, wenn sie in die Stadt ging. Oder schaut euch mal alte Filme an, da haben die Divas im offenen Auto so etwas um den Kopf, ebenso viele „Trümmerfrauen“ auf alten Fotos. Dies alles ist jedoch kein Vergleich zu dem Druck und den Anfeindungen, denen eine Muslima wegen ihres Kopftuchs ausgesetzt ist!
  • Glitzer ist für alle da. Wer das aus bestimmten Gründen verbieten will, muss sich gefallen lassen, als queerfeindlich und sexistisch eingestuft zu werden.
  • Goth, wer sich dies als Richtung zu eigen macht, ist nicht „seltsam“ oder so etwas. Let them be – lasst Leute doch einfach sein, auch wenn ihr kein Verständnis habt. Es ist deren Entscheidung, schwarze Kleidung zu tragen, nicht eure. Geht niemand etwas an.
  • Emo Emotional Hardcore, ist ein Subgenre des Hardcore-Punk. Der Kleidungsstil ist absolut individuell und sehr kreativ.

Fazit

Es geht uns verdammich noch eins einen Scheißdreck an, was andere Leute anziehen oder wie sie (damit) aussehen. Wenn wir uns das nicht ansehen mögen, schauen wir halt woanders hin. Und nein, es ist mitnichten lustig, sich darüber lustig zu machen oder Kommentare dazu gut zu finden. Sollten die social media friends das ebenso feiern, wenn wir Personen für die oben genannten Dinge verunglimpfen, dann sind sie nicht besser als wir mit unserem Verhalten.

Socken-Outro

Um noch einmal auf die Socke des Anstoßes zurückzukommen: Gute Gründe, Socken in Sandalen (oder überhaupt Sandalen) zu tragen, sind ja wohl in heißen Sommertagen, dass die Textilien Schweiß aufnehmen, das Schuhwerk dadurch länger tragbar ist. In Sommerhitze mit geschlossenem Schuhwerk laufen zu müssen, kann sehr unangenehm sein. An der Sandale festzukleben, weil die Mode vorschreibt, keine Socken tragen zu dürfen, ist mindestens unangenehm. Schlimmstenfalls bilden sich üble, schmerzhaft Blasen.

Lasst uns tragen, was uns gut tut und gut fühlen lässt – hierbei schließe ich explizit kulturell Angeeignetes und verhetzende Symbolik aus.

Und ihr anderen: Haltet die Klappe, bitte!

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