T.C. Boyle und die Frauen
15.3.2009 | Im Hannoverschen Schauspielhaus, der zweiten Etappe seiner Lesereise, die nach den USA nun auch durch Deutschland führt, stellte der Schriftsteller sein neuestes Buch vor.
Er hat einen Roman geschrieben. Den Zwölften von zwanzig bisher erschienenen Büchern, um genau zu sein. Der amerikanische Autor und Literaturprofessor Tom Coraghessan Boyle hat einmal mehr eine historische Figur des letzten Jahrhunderts in den Mittelpunkt seiner Recherchen gestellt.
In The Woman, Anfang Februar in Deutschland in der Übersetzung von Dirk van Gunsteren und Kathrin Razum unter dem Namen Die Frauen erschienen, beleuchtet T.C. Boyle das Privatleben des amerikanischen Stararchitekten Frank Lloyd Wright und dessen Verhältnis zu vier Frauen. Und das dadurch geprägte Bild in der Öffentlichkeit, an dem die Medien der Neunzehnhundertzwanziger einen beträchtlichen Anteil haben.
Über F. L. Wright gäbe es tausende Biografien, die seine berühmten Bauwerke beleuchten, sagt Boyle. Er hätte nun die historischen Fakten aufgegriffen und den beteiligten Personen nach seinem Gutdünken Dramatik und Charakter gegeben. Was haben die Leute gefühlt, gedacht, gesagt?
Und wieder gibt der Autor seiner Zielperson einen fiktiven Protagonisten zur Seite, den Japaner Tadashi Sato, der aus seiner Sicht die Dinge erzählt. Auch den beteiligten Frauen übergibt Tom C. Boyle diese Rolle, und aus der gemeinsamen Anstrengung dieser Personen und des Schriftstellers entsteht für den Leser das Bild des egozentrische Sonderlings Wright.
Ein Buch zu schreiben sei seine Art, sich den Dingen anzunähern, die ihn interessieren, sagte T. C. Boyle im Gespräch mit Kulturjournalist Dr. David Eisermann, der durch die Lesung moderierte. Jede Recherche mache ihn dann zum Experten über das betreffende Thema. Im Gegensatz zum Architekten Wright hätte seine Art, den Aufbau des Buches zu planen zwar auch etwas architektonisches, jedoch habe er als Schreiber keinerlei Blaupausen – alles ergäbe und entwickele sich beim Schreiben wie von selbst.
Und überhaupt sei er ein hart arbeitender Mann, müsse an sieben Tagen in der Woche schreiben, und dann noch hinter Frau Boyle herräumen, witzelte der 60-jährige, dem man sein Alter kaum ansieht. Vielleicht liegt das auch an seiner Art, sich zu kleiden, die schon fast zu seinem Markenzeichen geworden ist. Im Schauspielhaus trug er neben seinen berühmt-berüchtigen roten Schuhen („Chucks“) ein beigefarbenes Sakko zu einem Motiv-T-Shirt, das nur am Día de los Muertos in Mexiko kaum Aufsehen erregt hätte.
Möglicherweise aber ist die individuelle Kleidung der einzige Freiraum, der dem dürren, schlaksigen Autor aus Übersee bleibt. Die Lesereise ist terminlich eng gepackt, der Ablauf in jeder Stadt ähnlich, die Örtlichkeiten wechseln: Mal ist er in einem TV-Interview, mal auf einer Buchmesse oder Buchhandlung, mal auf einer Bühne. Wieder und wieder werden die gleichen Themen behandelt. Der Star antwortet auf vorher abgesprochenen Stichpunkte, die nur in der Art der Satzstellung variieren, nicht aber im Inhalt.
Ansage, Auftritt, Vorstellung, Moderation. Der Autor liest, jemand interpretiert die deutsche Übersetzung. Noch ein wenig Unterhaltung und dann wird der Autor zur langen Schlange der Wartenden geführt, die sich ihr Buch noch schnell vom Meister höchstselbst unterschreiben lassen wollen.
Wer kein eigenes Exemplar mitgebracht hat, findet am wie zufällig aufgebauten Stand des Verlages (Boyle steht bei Hanser unter Vertrag) jede Menge Auswahl. Artig tut der Autor unter den Augen der Verlagsbetreuung und der Organisatoren ( Lehmanns Buchhandlung und Die Zeit) seine Pflicht, ist über Stunden charmant, witzig und höflich. Fast scheint er den Rummel um seine Person zu genießen. Oder?
Nur selten fällt die Maske und zeigt die Erschöpfung des Geplagten, der vermutlich gerade lieber in seiner Hütte in den kalifornischen Bergen wäre – oder in dem beinahe 100-jähren Haus des Architektengenies Frank Lloyd Wright, das er seit 16 Jahren bewohnt. Dort würde er sicher an der nächsten Kurzgeschichte arbeiten, anstatt hier wieder und wieder den Friedrich-Wilhelm zu malen.
Nach Stunden disziplinierten Abarbeitens der Warteschlange geht es hurtig zum Bahnhof, wo auf den Gleisen schon der Zug in die nächste Stadt (hier: Berlin) dieses Promotions-Zirkus wartet. Um auch dort Leuten das neue Buch vorzustellen, die es noch nicht kennen. Und wem die Show doch schon bekannt ist, der lässt es sich nicht anmerken.
So sind die ungeschriebenen Regeln.
Geschrieben aber wird weiter. Als Nebenprodukt von Boyles letztem Roman Talk Talk wartet schon Wild Child auf Veröffentlichung und am übernächsten, When the Killing’s done, wird auch schon gearbeitet. Alles Routine – und doch immer wieder neu und spannend. Auch die Lesereisen. Für die Leserschaft jedenfalls.
Für die Eindrücke aus dem Schauspielhaus in Hannover wurde eine Fotsoseite eingerichtet, in der Navigation als Unterpunkt zu Bildern.