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Rattarium  

Chamsin

Jamal war ein Kamel. Nicht irgendein Kamel, nein. Er war das Lieblingstier von Hamida. Und er konnte sprechen. Jedoch nur Hamida wusste davon. Waren andere Menschen in der Nähe, verstummte er und schien beinahe ein Kamel zu sein, wie alle anderen.

Hamida besaß eine kleine Herde und ein wenig Zauberkraft. Sie liebte alle Tiere darin – aber Jamal liebte sie besonders. Sie hatte ihn als Geschenk von ihrem Vater erhalten, als Jamal noch ein kleiner Kamelhengst war und gerade von der Milch seiner Mutter entwöhnt. Hamida hatte ihn täglich gebürstet, ihm heimlich Datteln zu essen gegeben, die er sehr liebte, und sie hatte ihm jeden Abend ein Märchen erzählt, damit er einschlafen konnte. Er schlief nämlich am Fußende ihres Bettes. Zumindest, solange er klein war. Nun nächtigte er auf einem großen weichen Kissen gleich neben ihrem Bett.

Jeden Morgen wurde er von Hamida prächtig aufgezäumt. Er meinte zwar jedes mal, er sei nicht eitel und dass es doch gar nicht nötig wäre, aber insgeheim bewunderte er sich mit diesem kostbaren Zaumzeug schon sehr, wenn er sein Spiegelbild in den reflektierenden Kacheln betrachtete. Tagsüber wanderte er frei in ihrem großen Haus umher, wie er mochte oder er spazierte mit ihr durch die weitläufigen Gärten, wobei sie sich angeregt unterhielten.

„Wünschst du dir, ein Mensch zu sein?“, fragte Hamida.
Jamal überlegte eine Weile, dann schüttelte er sein Haupt.
„Ich mag mich, wie ich bin. Und du“, fragte er zurück, „möchtest du ein Kamel sein?“
Hamida war ein wenig sehr verblüfft. Darüber hatte sie noch nie nachgedacht. Sie bewunderte Jamals lange Beine, die samtweichen Lippen, das flauschige Fell und die verträumt wirkenden Augen mit den langen Wimpern. Er war schön.
„Vielleicht für eine kleine Weile“, meinte sie dann ehrlich. „Wir würden gemeinsam über den Sand der Wüste jagen, schnell, wie der Chamsin, der heiße Wind, bis zur Küste hinunter und das Meer sehen. Als Mensch würde ich den langen Weg nie schaffen.“

Jamal sah sie aufmerksam an, und obwohl er um so vieles größer war, als sie, war es doch kein auf sie Herabschauen, wie es seiner Art nachgesagt wurde.
Er sagte leise:“Ich würde dich auf meinem Rücken tragen, bis ans Ende der Welt, mein Herz, und du wärest mir kein Gewicht, sondern ein Teil von mir.“

Hamida sah ernst hinauf in sein pelziges, ehrliches Gesicht und legte ihre Hand an seinen Hals.
„Wann brechen wir auf?“ fragte sie.

– – –

Diese kleine Geschichte ist – wie so viele – auf Twitter entstanden, weil @KGemuese ein wunderschönes Bild mit uns teilte, das eine Frau und ein Kamel zeigt. Und fragte, ob jemand dazu eine Story klöppeln wolle. Das Bild berührt mich sehr. Ja, ich wollte.
Damit war der Keim für diese Idee gesponnen und hier habe ich sie nun aufgeschrieben – als Hommage an die Geschichten aus Tausend und einer Nacht, die mir die Kindheit versüßten.

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