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Rattarium  

Pride-Kurztexte

Im #PrideMonth und anschließendem #DisabilityPrideMonth gibt der Verlag ohneOhren (auf instagram etc) wöchentlich Themen vor, zu denen kurze Texte geschrieben werden können. Als Starthilfe werden erste Sätze genannt, zu einigen fielen mir kleine Geschichten ein, die nachfolgend gelesen werden können (wip).

  1. Queer meet cute
  2. Ace of Hearts
  3. Loved in Transition
  4. Was wäre das für eine Welt, wenn Geschlecht gar keine Rolle spielte?
  5. Schöner Scheitern
  6. Raumstation
  7. Die Löffel-Schublade ist leer
  8. Die wunderbare Welt der Hilfsmittel
  9. The joy of missing out

Texte:

1. Thema: Queer meet cute

Erster Satz: Unsere Blicke trafen sich über dem Regal mit dem Glitzer.

„Dich hätte ich hier nicht erwartet.“ Ich sagte es leise.

Dein Mund verzog sich zu einem verlegenen Lächeln. „Na ja. Eigentlich ist es ein Geheimnis. Wir Feen haben gar keinen unbegrenzten Vorrat an Zauberglitter. Aber das soll nicht bekannt werden. Verrätst du mich bitte nicht?“

Ich öffnete für dich den Tiegel mit dem besonders feinen Glitzerstaub. „Natürlich nicht, Cutie. Diese Sorte? Nimm dir, so viel, wie du brauchst.“

Einen Flügelschlag später hast du dir die Taschen deines Kleides mit dem goldigen Glitzerstaub gefüllt. Etwas Glitter hatte sich in deinem Bart verfangen. So bezaubernd.

„Du aber auch“, sagtest du kichernd und da merkte ich erst, dass ich das aus Versehen laut gesagt hatte.

An der Ladentür drehtest du dich noch einmal um, deine zarten Flügel reflektierten die Neonlichter des Werbebanners am Eingang. „Darf ich wiederkommen?“

Mein queeres Herz purzelbaumte vorfreudig. „Jederzeit!“

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2. Ace of Hearts

Ein Pop-up auf dem Tablet: Bist du schon vergeben?

Ich schnaubte. Was für eine dreiste Frage! Ich wollte sie ignorieren, ausblenden, aus meinem Gedächtnis streichen.
Zu spät.
Schon rotierten meine Gedanken wie eine Herde enthemmter Hamster. Nein, das konnte ich so nicht stehenlassen.

Entschlossen tippte ich meine Antwort in die Tastatur auf dem Bildschirm: „Hör mal, deine Frage empfinde ich als derbe unverschämt. Vergeben zu sein – das bedeutet doch, jemandem gegeben worden zu sein, gebunden, jemandem zu gehören, und ich gehöre definitiv nur mir selber. Das Wort *vergeben* exkludiert ebenfalls jedwede Beziehung, die nicht auf Zweisamkeit beruht, und auch diese Form des Zusammenlebens trifft auf mich nicht zu.“
Ohne den Text noch einmal gelesen zu haben, schickte ich ihn ab, atmete ein paar mal tief durch. War ich zu judgy gewesen?

Verstohlen musterte ich die Anwesenden. Wer davon hatte mir geschrieben?
Eine Person schräg gegenüber schien konzentriert etwas auf ihrem Tablet zu schreiben und schaute zu mir hoch, gerade, als mit einem leisen *Pling* eine Antwort auf meinem erschien.

Ich las: „Sorry. Recht hast du. Den Satz habe ich aus einem Ratgeber kopiert, *100 ice-breaker-Sätze*. Eigentlich aber wollte ich mich nur als deine bedingungslose Begleitung andingen und zuvor sichergehen, dass ich keine etwaige Beziehung störe. Wir Ace of Hearts müssen doch auch irgendwie bonden. Vergibst du mir die Frage nach dem Vergeben?“

Ich vergab.

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3. Loved in Transition

Startsatz: Ich liebe deinen Gang der Dinge.
Tja, vielleicht sollte ich dies wörtlich nehmen. Denn mit meinem „Gang“ fing tatsächlich der Weg an, den ich seit ein paar Jahren gehe.
Aus meinem Bekanntenkreis hörte ich oft Bemerkungen, dass mein Gehen sehr unverkennbar sei. Ich bin in einer Gegend aufgewachsen, in der es keine befestigten Straßen gab. Barfuß, Sandalen oder Gummistiefel – so lief ich damals herum, denn mit High Heels kommt eins im Moor nicht weit. Aber auch in späteren Jahren habe ich nie verstanden, was an Schuhwerk so toll sein soll, in dem ich mir potenziell die Haxen brechen kann. Meine Anatomie gibt „damenhaftes“ Gehen ohnehin einfach nicht her. Es schien immer wie ein Makel an mir zu haften, nicht jenen Erwartungen entsprechen zu können.
Mit meiner Transition kam der gedankliche Wandel: Ich „muss“ ja gar nicht mit Stöckelschuhen gehen, ich „muss“ überhaupt nicht mit den Hüften wackeln, um für andere in eine geschlechtliche Schublade zu passen. Und so ging ich eines schönen Tages mit meinem Hund in schweren Boots spazieren und gestattete mir endlich ganz bewusst, in meinem eigenen Gang der Dinge, in meiner eigenen Gangart zu schreiten.
Dieses Gefühl der Euphorie dabei zu empfinden, war überwältigend!
Es holte meine verloren geglaubte Selbstliebe hervor. In jenem Moment, als mir bewusst wurde, was ich nicht war, war das endlich „ich“, und nur ich.
(Daraus entstand auch mein Pronomen „em/ems“, ein Wortspiel mit em = me auf englisch, denn das war jedes Mal die Antwort, wenn ich mich fragte, wer oder was ich nun eigentlich sei, – agender, genderfluid, nonbinary, inter? Egal. This is me, just me!)

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4. Was wäre das für eine Welt, wenn Geschlecht gar keine Rolle spielte?

In einem Geschichtsbuch las ich von der Idee, dass Geschlecht mal eine relevante Kategorie gewesen war.

Rical, die KI-Lerneinheit der Gruppe, schwebte näher heran und blinkte freundlich. „Das ist korrekt, Jori. Möchtest du mehr darüber wissen?“

Das Kind klatschte begeistert in die Hände. „Jaaa, Rical. Bitte, bitte.“

Ludolan und Sontano legten ihre Folienrechner beiseite und setzen sich interessiert neben Jori. Ihre Lerneinheit Rical war die beste dieses Mondmoduls und machte aus jeder Lektion eine Show. Der Roboter gab einen Impuls an die Fenster des Klassenraums, die sich daraufhin artig verdunkelten, und spielte kurze Filme und Bilder ab, um die Erklärungen und Fragespiele für die Kinder verständlicher zu machen.

In einer Virtualität durften sich die Drei anschließend binäre Kleidung, Frisuren und Berufe aussuchen, wie sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf Terra üblich gewesen waren. Doch bereits nach kurzer Zeit hatten die Kinder untereinander die Rollen getauscht und vermischt. Zu fremd war ihnen das überkommene Geschlechter-Konzept.

Rical gab das elektronische Äquivalent eines amüsierten Seufzens von sich und spielte leise das uralte Musikvideo „Be Who You Are“ ab, das sich aus unerfindlichen Gründen in der Datenbank des Hauptcomputers befand, während die Kinder fröhlich dazu tanzten.

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5. Schöner Scheitern

Mein Lächeln spiegelte sich in den Scherben.

Dieser verflixte Spiegel war einfach zu schwer gewesen, und meine quasi nicht vorhandene Hand-Auge-Koordination hatte ein Übriges getan.
Als der neue, schöne Spiegel, den ich im Sperrmüll gefunden hatte, zersprungen am Boden lag, wollte ich fast vor Verzweiflung weinen. Nicht einmal einen Nagel konnte ich ohne Weiteres in die Wand hauen!

Eine Stunde und einen Beruhigungstee später klebte ich geduldig Scherbe für Scherbe auf die Tapete.

Wie ein funkelndes Puzzle sah es aus, als ich damit fertig war. Und ich hatte mich, trotz der steifen, geschwollenen Gelenke, nicht ein einziges Mal an den scharfen Kanten geschnitten.
Eigentlich gefiel mir der Spiegel so noch viel mehr, denn mein Lächeln wurde wie in einem Kaleidoskop vervielfältigt.

Schöner scheitern? Kann ich.

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6. Der Weltraum – die letzte Barriere

Die Barrierefreiheit der Raumstation ist nun meine Aufgabe.
Es würde meine letzte sein. Dies war eine Station für die Versehrten, die Unbrauchbaren, die Aussortierten. Solche wie ich.
Sternzeit 2424.01
„Bist du bereit?“ Chief Posso stellt diese Frage und nestelt mir mein neues Abzeichen an die Uniform.
Ich entgegne: „Das bin ich. Seit mehreren Umläufen habe ich mich auf diesen Posten vorbereitet – so gut ein Wesen darauf vorbereitet sein kann, wenn jedes Individuum andere Bedürfnisse hat.“
Posso nickt mir zu, wohlwollend, wie ich vermute, denn das künstliche Gesicht ist nicht fähig Emotionen darzustellen, die ich interpretieren könnte. „Du hast freie Hand. Melde dich bei mir, wenn du Hilfe brauchst.“
Mein Team und ich machen uns enthusiastisch an die umfangreichen Arbeiten. In allen Räumen der Station sollten Temperaturen, Helligkeit und Geräusche separat eingestellt werden können. Die Umgestaltung der Dienstpläne von starren Zeiten hin zu flexiblen hat Priorität.
Sternzeit 2425.12
Auf das Management der Schwerkraft bin ich besonders stolz, denn eine der Lagerhallen im Zentrum unseres rotierenden Zuhauses konnte problemlos in mehrere Kabinen umgebaut werden. Hier würden Personen ihre Exo-Skelette ablegen und ohne Hilfe ihr Dasein und ihre Arbeiten meistern können, nebst anderen Dingen. Wer volles Gewicht und Bodenhaftung bevorzugte, konnte im äußeren Rund joggen oder anderweitig trainieren, jeweils im Rahmen der eigenen Möglichkeiten und Neigungen.
Sternzeit 2425.42
„Funktionieren die Kommunikatoren?“
„Jawohl. Das Leitsystem interagiert inzwischen brauchbar mit den jederzeit ansprechbaren und ertastbaren Kommunikatoren, die dem Personal bereits ausgehändigt wurden. Es ist ein lernfähiges Programm, das mit jeder Interaktion Informationen über die ‚special needs‘ sammelt und weiter trainiert wird, in jedweder Sprache, auch nonverbalen.“
Den ganzen Arbeitszyklus über prüfe ich die hereinkommenden Meldungen, gebe Anweisungen, frage nach, bespreche Verbesserungen.
Sternzeit 2425.360
„Team, wir haben ein akzeptables Maß an Optimierung erreicht. Bevor wir uns daran machen, alles für den Besuch der Fakultät Universe vorzubereiten, ordne ich Hydration und Erholung an.“
Sternzeit 2428.14
Wir haben das System der Aussonderung dekonstruiert. Was als geduldetes Care-Projekt auf unserer Station begann, hat sich in Photonengeschwindigkeit im Sonnensystem verbreitet, nicht zuletzt durch die Publikationen der Fakultät. Das Personal der Raumstationen im gesamten Sektor rebellierte und forderte die Umsetzung unserer Gedanken und Maßnahmen zum Abbau von Barrieren. Als positiven Effekt haben nun auch dort Wesen Zugang, die jene Stationen – unsere Gesellschaft – ihnen verwehrt hatten. Meine Arbeit hier ist getan. Logbuch Ende.

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7. Die Löffelschublade ist leer

Hier müsste ein Anfang stehen, aber wir waren zu erschöpft.
Ich las diesen Satz und erinnerte mich an ähnliche Situationen bei mir selbst. An das beschissene Gefühl, nur noch auf Notstrom zu laufen. Etwa nach Besuchen bei der Familie: Nach Hause kommen – endlich! – mit dem dringenden Bedürfnis, ausruhen zu müssen, aber zu aufgedreht zu sein für Ruhe. Bewegen, wiewohl auch das zusätzlich grenzwertig war, mit dem Hund in den Feldern laufen, zombie-esk, den Kopf frei bekommen, dann endlich auch körperlich so erschöpft zu sein, dass das Aufladen der Löffel nur noch mit abtauchen in einen Hyperfokus ging.
Das mit jener Familie hat sich inzwischen erledigt, aber Löffelfresser gehen bei mir immer noch um. Ich habe, sagen wir mal, drei Aufgaben. Eine davon, höchstens zwei, kann ich schaffen. Telefonieren, staubsaugen oder einkaufen? Nach dem Einkaufen (da sind Menschen im Laden) wäre ich so zerlegt, dass Hausarbeit nur noch im Verräumen der Einkäufe möglich ist, danach schalte ich mich ab wie ein Handy im Ruhemodus. Den emotionalen Anruf wollte ich seit … Tagen erledigt haben. Doch ich habe einfach keinen Löffel mehr dafür übrig.
Ich gehe jetzt den Staubsauger suchen. Das schaffe ich. Vielleicht.

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8. Die wunderbare Welt der Hilfsmittel

„Ihr Antrag wurde bewilligt.“
Das will ich denen auch geraten haben, denke ich verbittert. Die Historie dieser Anträge reicht weit zurück, bis in meine Kindheit. Ein schlecht sitzendes Model aus Draht und daher bald zu klein – es war Quälerei. Ich im Wachstum und die Weigerung der Kostenübernahme für das kürzere Intervall. Und jedes Mal eine Spezialanfertigung wegen der individuellen Behinderung, aber nur ein Bruchteil wurde und wird erstattet – bitter, wenn eins nicht das nötige Kleingeld hat.
Das letzte von mir erworbene Modell erzeugt jedoch immer noch Gender-Euphorie, denn da habe ich mich endlich getraut, öffentlich ich zu sein.

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9. Joy of missing out

Wir sehen uns, wenn du genug Löffel hast.
Diesen Satz hätte ich mir oft gewünscht, wenn ich es zu einem Termin mal wieder nicht geschafft hatte. Mein Umfeld hat weder akzeptiert, wenn ich körperlich nicht in der Lage dazu war, oder wenn es mir mental eigentlich zu schlecht ging, um zu einem Treffen zu gehen. Meist habe ich mich dann doch hingeschleppt, aus Pflichtbewusstsein, oder weil ich diese Veranstaltung unbedingt besuchen wollte. Solange in unserer real existierenden Ellenbogengesellschaft gefeiert wird, wenn sich Wesen letztlich doch aufraffen, anstatt eine Absage mit oben genanntem Satz zu ermutigen, kann sich das System kaum ändern. Oder doch?
Ich hege Hoffnung, seit ich durch das Internet in gewisse Kreise geraten bin, in der „Selfcare first“ gelebt wird und in der es keinen Mut braucht, auch mal ein Date abzusagen. In der respektvoll und ohne zu urteilen nachgefragt wird: Was brauchst du gerade; Hast du jemanden in der Nähe, der dich auffängt; Magst du darüber reden? Oder eben ein verständnisvolles: Wir sehen uns, wenn du genug Löffel hast.

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