Das Kind im Glashaus
Ein trauriger Kurztext
CN zum Inhalt: Einsamkeit, Isolation, Tod
Hier das Kind, da draußen die Welt. Die Welt, das ist auch die Familie. So weit entfernt, wie das Außerhalb. So fremd wie die Fremden da draußen hinter den undurchdringlichen Glasscheiben. Auch wenn die kleinen Fäuste gegen die Scheiben hämmern, vergebens. Es wird immer übersehen. Das Kind ist allein. Fest drückt es das zerliebte Stofftier an sich. Es ist der einzige körperliche Kontakt, den es erfährt.
Doch da ist Sehnsucht, die Ferne lockt, Entfernen-wollen vom Gewicht des Nichtseins, hin zum Anfassen, Menschen spüren, gehört werden, geliebt werden. Lange bleibt der Wunsch nach Kontakt unerfüllt, bis es eskaliert. Bis es endlich, unfassbar, körperlich wird. Anonym, hastig, auf Wesentliches beschränkt. Es ist nicht richtig, nicht das, was wahrhaft gebraucht wird, aber das weiß das Kind nicht, auch wenn es nun erwachsen ist und verzweifelt danach sucht. Etwas Wesentliches fehlt, doch das Kind weiß nicht, was.
Zugleich versteinern die unerfüllten Wünsche, es wird zu viel, ist allmählich zur zweiten Natur geworden, Glasbausteine aus Angst und Zweifel: Das Glashaus, das andere auf Abstand hält, genährt aus Ekel, Gleichgültigkeit und Desinteresse der Welt. Es wächst nach innen, wird immer enger. Kein Wesen hat das Kind in all den Jahren je im Arm gehalten, liebevoll gestreichelt oder Zärtliches ins Ohr geraunt. Dieses seltsame Menschlein hinter der durchsichtigen Barriere, die das Kind unsichtbar macht und hinter die kaum jemand schaut, hat am Ende vergessen zu kämpfen.
Das Rundherum-Fenster ist noch immer da, doch das Glas ist gesprungen, trüb geworden. Bald schließt sich der letzte Fensterladen, für immer.
Liebevoll wäscht der Mensch im Bestattungshaus jene nie berührten Hautpartien, runzelige Arme, das verlebte Gesicht und sorgfältig jeden der gichtigen Finger, streicht sachte über graues Haar. Das Glas ist vergangen, mit jenem Kind.
Zu spät.