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Rattarium  

Findelschwein2

2. Ein Schweinchen namens …

Meine Familie kannte meine Schwäche Tiere betreffend. Schon oft hatte ich verletztes Kleinvieh heimgeschleppt und gesundgepflegt. Unser Resthof wimmelte von Katzen, Mehrschweinchen, Vögeln, Kaninchen und sogar zwei Ratten hatten bei uns ihr zuhause. Viele Tiere wurden auch von Nachbarn gebracht, aus den unterschiedlichsten Gründen. Meine jüngste Tochter und ich teilten die Liebe für die Kreaturen. Mein Mann dagegen war diesbezüglich eher zurückhaltend und er brachte nur mühsam etwas Verständnis für meine Viecherei auf. Zum Glück war er handwerklich nicht ganz unbegabt und unterstützte mich bei der Herstellung von Gattern und Käfigen. Die beiden großen Mädels, die Zwillinge, standen über den Dingen, und verbrachten ihre Zeit lieber mit ihren Freundinnen in der Stadt, anstatt sich um den Zoo zu kümmern. Als ich ins Wohnzimmer trat, schauten grade alle vier in seltener Eintracht ein Leih-Video.

„Wir haben ein Schwein im Bad“ sagte ich laut und ehrlich. Vier Köpfe drehten sich zu mir um. „Ein neues Meerschwein, Mama?“ fragte meine Jüngste begeistert, schon auf dem Sprung, das neue Tier in Augenschein und auf den Arm zu nehmen. An dem hielt ich sie zurück, ich war ja noch nicht fertig mit meiner Erklärung. „Nein“ sagte ich, „kein Meerschwein, es ist mehr ein Schwein.“ „Wie, Schwein?“ fragten die Zwillinge im Chor. „Na, eben ein Schwein. Aber ein ganz kleines, ein Ferkel.“ Sagte ich achselzuckend. Drückte ich mich denn so schwer verständlich aus?
Mein Mann war wieder ganz Pragmatiker: „Woher hast du es, ist es ein Weihnachtsbraten?“
Mein eisiger Blick ließ ihn zusammenzucken, wir hatten schon die Gans vom Vorjahr nicht gegessen, ‚Trude‘ war der beste ‚Wachhund‘ des Hofes neben Artus. Und der Karpfen des Jahres davor hatte inzwischen ein feste Beziehung zu einem japanischen Zierkarpfen in unserem Gartenteich. Ich war mir nie ganz sicher, welchen Geschlechts die beiden eigentlich waren.
Nur um den Anschein seiner Autorität als Familienoberhaupt zu wahren, bestimmte Bernd: „Aber bleiben kann es nicht. Ein Schwein ist zuviel. Das kommt morgen wieder weg!“ „Sicher“ lächelt ich ihn mild an „morgen ist Wochenende. Da geht gar nichts.“

„Also mal im Ernst“ sagte ich sehr ernst „das Bad im Erdgeschoss ist für heute geschlossen. Wer muss, geht bitte nach oben, oder nimmt das Gäste-WC.“ Damit war die Sache für Mann und Zwillinge abgetan. Nur Rieke löcherte mich solange, bis ich ihr für später einen kurzen Besuch bei unserem neuen Gast zusagte. Sie war auch die Einzige, die ganz genau wissen wollte, woher ich das Ferkel hatte und wem es gehörte. Nun, das hatte ich mich auch schon gefragt, schließlich fallen so kleine Schweine nicht einfach vom Himmel. Dass es vom LKW gefallen war, konnte ich ja nicht wissen.

Zwei Stunden später betrat ich mit der zweiten Flache Milch/Sahne-Mix und einer alten Decke bewaffnet mit meiner Tochter den Schweinestall. „Oh, das ist ja ganz schwarz!“ flüsterte Rieke überrascht, als uns das Ferkel schlaftrunken aus seinem Schlafkarton entgegengetaumelt kam. Irgendwie hatte ich das Gefühl, jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, das Schwein mit dem Sinn der Zeitungen vertraut zu machen und dirigierte es in die besagte Ecke. Gutes Timing. Das Schwein schien ebenso erleichtert zu sein, wie ich erfreut war. Während ich meine Jacke aus dem Schweinekarton rettete und die benutzte Zeitung entsorgte, kümmerte sich Rieke um den Vierbeiner. Vorsichtig ließ sie das Ferkel an ihrer Hand schnuppern und streichelte es dann am Rücken. „Ferkel, komm her“ lockte sie es mit der Flasche. Das musste sie nicht zweimal sagen, schon hatte sie einen gierigen Rüssel am Sauger des Fläschchens, dass ihr dabei fast aus der Hand gestoßen wurde.

Als ich mit einer neuen Zeitung zurück ins Bad kam, drängte sich Artus mit hinein. Ich wollte ihn schon wieder hinauswerfen, um das Schweinchen nicht zu ängstigen, aber das war zu sehr mit Trinken beschäftigt, als dass es für Panik Zeit gehabt hätte und Artus verhielt sich ruhig. Er brannte vor Neugier, sich näher mit unserem seltsamen Gast zu befassen, doch er legte sich wohlerzogen nieder und wartete ab. Endlich war die Flasche leer und das Ferkel satt. Jetzt, wo sein Grundbedürfnisse gestillt waren, und es anscheinend niemand fressen wollte, wurde es mutiger und neugierig begann es sein neues Domizil abzurüsseln.
Der Hund hatte es ihm neben Rieke am meisten angetan und bald spielten alle drei, bis ich beschloss, dass der Tag anstrengend genug für uns alle gewesen war. Das Schweinchen trippelt diesmal ganz allein zu der Zeitungsecke und erledigte sein Geschäft. Dann gähnte es ausgiebig, wobei es fast umfiel und trottete in seine Kiste, wo es sich auf der Decke gemütlich machte. Rieke und ich sahen uns tief beeindruckt an.

Wir drei zogen uns auch zum Schlafen zurück. Morgen war ein neuer Tag. Ich würde ein wenig telefonieren müssen, ob einer meiner Nachbarn ein Schwein vermisste. Aber eigentlich hatte nur noch einer der Bauern Schweine, und die waren alle weiße Rasseschweine. So ein Schwarzes hatte ich hier noch nicht gesehen. Als ich schon im Bett lag und fast eingeschlafen war, klopfte es an meine Tür. Rieke.
„Mama, das Schwein braucht einen Namen! Wie wäre es mit …“
„Nein“ murmelte ich im Halbschlaf „auf keinen Fall ‚Babe‘!“
„Blacky“ versuchte sie es weiter.
Mein Schweigen war Ablehnung genug.
„Du kannst doch türkisch. Was heißt schwarz auf türkisch?“
„Kara“ nuschelte ich und war eingeschlafen.

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