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Rattarium  

Findelschwein5

5. Schwein sein ist schön

Die Wochen gingen vorüber, das Schwein wuchs. Endlich war der Winter vorbei und unser Haus-Schwein zog in die Scheune um. Nach dem Frühling kam Sommer und auch der ging langsam dem Ende entgegen. Halt – Stop… hier muss ich die Zeit etwas zurückdrehen. Wir sind also Anfang Sommer.
Kara war fast ausgewachsen. Noch immer machten wir unsere täglichen Spaziergänge. Oft führte der Weg jetzt am „Hof Schweineland“ vorbei. Bauer Harms, der Schweinezüchter des Dorfes hatte dieses Jahr zum ersten Mal versuchsweise einen Teil seiner Schweine auf der Weide untergebracht. ‚Sogenannter biologischer Anbau‘ nannte er es wörtlich, so ganz schien er dieser Art der Haltung noch nicht zu trauen, denn er sagte jedes Mal ’sogenannte‘, wenn er mit den Dörflern darüber ins Gespräch kam. Zum Wald hin war das Gelände mit einem doppelten Zaun und Graben gesichert, damit nicht Wildschweine im direkten Kontakt die Hausschweine mit Krankheiten anstecken konnten. Unwillkürlich suchte mein Blick Wachtürme mit bewaffneten Aufpassern, das Gelände glich von außen einer Art Gefangenenlager. Nun, die ‚Todeskandidaten‘ hatten durchaus angenehme Pflichten zu erledigen, Bauer Harms hielt nichts von künstlicher Besamung seiner Säue und hatte einen prächtigen Eber mit ins Außengelände gesetzt. Anscheinend nahm dieser seinen Job sehr ernst, denn ich sah eine Menge Ferkel um die Unterstände tollen.

Manchmal, wenn wir mal wieder am ‚Schweineland‘ vorbeikamen, stand der Wind günstig und wehte zu uns herüber. Mit günstig meine ich günstig für Kara, der gierig die Ausdünstungen seiner Artgenossen in sich aufsog, für mich waren diese Düfte eher … nun sagen wir „schweinisch“. Inzwischen konnte ich auch Schweine-Laute besser zuordnen und stellte fest, dass Kara und einige der ‚Damen‘ auf Schweineland angeregte Unterhaltungen führten. Ich rechnete nach.. in den schlauen Büchern hatte gestanden, dass Schweine etwa mit 9 Monaten geschlechtsreif wurden. Unser Kara war etwa in dem Alter. Ich musste schmunzeln, als mir klar wurde, dass unser Jung-Eber mit den Schönen dort hinter dem Doppelzaun flirtete. Das Schmunzeln verging mir, als Bauer Harms bei uns anrief und wütend durch den Hörer brüllte, wir möchten doch sofort unseren Romeo aus dem Schweineland entfernen!

Kara war auf Freiersfüßen einfach durch das Haupttor von Schweineland marschiert, vom Dorf aus war es natürlich nicht gesichert, und hatte sich irgendwie Einlass bei den Damen verschafft. Der Hof-Eber schäumte vor Wut, im wahrsten Sinne des Wortes, und Kara rannte gerade um sein Leben, als wir auf den Hof kamen. Er stürmte auf uns und das Tor zu, dass wir vor ihm öffneten und als er hindurch war, gerade noch rechtzeitig vor dem verfolgenden Hof-Eber wieder schlossen. Harms hatte sich wieder beruhigt – und nachgedacht. Als er eine Woche später zu einem Ergebnis gekommen war, Harms ist für gewöhnlich ein sehr bedächtiger Mann, wenn nicht gerade ein Fremd-Eber seinen ’sogenannten Bio-Säuen‘ nachstieg und seinem Zucht-Eber das Leben schwer machte, unterbreitete er uns einen überraschenden Vorschlag. Obwohl unser Kara ein No-Name-Produkt war, schien er doch gute Anlagen zu haben und er als Schweinezüchter hatte ein Auge dafür. Kurzum, er wollte Kara versuchsweise als Vererber einsetzen.

Damit hatte unser Schwein einen Job. Montag, Mittwoch und Freitag ging er stundenweise bei Harms seinen neuen Pflichten nach und Dienstag, Donnerstag und Sonnabend trainierte er für die Begleit-Hunde-Prüfung. Beide Aufgaben erledigte er sehr gewissenhaft. So verging also auch der Sommer. Dann kam der Herbst und mit ihm die Prüfungs-Saison. Der ortsansässige Hunde-Club hatte unsere Bemühungen zunächst mit ungläubigem Kopfschütteln verfolgt, war uns aber bald mit Hochachtung begegnet, als unser Schwein sich sicherer auf der Fährte zeigte, als so mancher ihrer Rassehunde. Ende Oktober meldete ich Kara zur Prüfung an, er war soweit. Harms hatte uns einen Transporter geliehen und ließ es sich nicht nehmen, dabei zu sein.
Wir parkten unseren Hänger bei den anderen Autos am Feldrand und meldeten uns beim Prüfungs-Richter. Wir waren erst an dritter Stelle bei den Junghunden dran und sahen unseren Vorgängern bei der Arbeit zu.

Als erstes war ein Deutscher Schäferhund an der Reihe. Der Junghund nahm die Fährte an, hatte kaum Probleme bei der ersten Wende, fand den Gegenstand und war fast am Ende der Spur angelangt, als ein Fasan vor ihm aus der Furche aufstieg. Erschreckt blieb der Hund stehen und sah dem laut keckernden Vogel nach, dann sah er sich zu seinem Hundeführer um, der mit angehaltenem Atem an der Suchleine hinter ihm stand. Wir sahen dem Hund seinen Konflikt an, wie gerne wäre er dem Vogel nachgesprungen, aber da war auch die Fährte. Der Fasan geriet außer Sichtweite und der Hund begann sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren. Etwas luschig zeigte er den letzten Gegenstand an, das Erlebte hatte ihn doch sehr aus dem Konzept gebracht. Wir scharten uns nun alle um den Richter, um seine Beurteilung zu hören. „85 Punkte von 100 möglichen“ hörten wir ihn sagen „Punkteabzug, weil der Hund sich hat ablenken lassen“. Eigentlich hätte der Zusatzpunkte verdient, dachte ich, schließlich ist er dem Fasan NICHT hinterher galoppiert. Das schien ein strenger Richter zu sein, was würde der erst sagen, wenn er Kara sah.

Das herauszufinden, hatten wir bald die Gelegenheit. Der zweite Kandidat war sang- und klanglos durchgefallen, weil sein Hund den ersten Gegenstand gar nicht angezeigt hatte und den zweiten nicht mehr hergeben wollte. Mit hochrotem Kopf ging der Mann mit seinem Collie an uns vorbei. Nun waren wir also an der Reihe. Ich lies Kara ‚bei Fuß‘ sitzen und sagte meinen Spruch: „Fährtenführer Marion und Kara fertig zur Fährte“ sagte ich. Der Richter sah mich an. Der Richter sah zum Schwein hinunter. Dann sah er hilflos in die Runde, sicher ein Grinsen auf den Gesichtern der Umstehenden zu finden, die sich hier einen Spaß mit ihm erlaubten. Aber keiner lachte. Der Vorsitzende Des Hunde-Clubs kam uns zu Hilfe und erklärte den Sachverhalt und versicherte dem Richter, dass hier kein Irrtum vorläge. Noch immer standen wir beide vor ihm, bereit auf die Fährte zu gehen. Verwirrt blätterte der Richter in den Satzungsbestimmungen und unseren beigebrachten Papieren, das zu prüfende Tier war 12 Monate alt , hatte alle Impf-Zeugnisse und nirgendwo stand, es müsse ein Hund sein; dann zuckt er die Schultern und winkte uns, zu beginnen.

Wie an der Schnur gezogen ging Kara mit tiefer Nase über den Acker, zeigte den ersten Gegenstand an, folgte sauber der Wende und hatte auch mit dem zweiten Anzeigen keine Probleme. Als wir über den Acker zurück kamen brandete Beifall auf. Also wirklich, meine Hunde-Club-Kollegen kannten doch alle die Leistungen von Kara, aber freuen tat ich mich doch. Aus den Augenwinkeln sah ich den Reporter der Dorfzeitung Fotos schießen. Kopfschüttelnd gratulierte uns auch der Richter, wir hatten bestanden. Leider konnten wir im zweiten Teil keine Punkte machen, die Gehorsams-Übungen schaffte Kara gerade noch, aber einen Figuranten stellen und verbellen war von einem Schwein zuviel verlangt. Trotzdem ging das Bild unseres Fährten-Schweins durch alle Zeitungen.

Und so erfuhren sie auch in der Schweinemästerei Borg davon. Johann Borg hatte nicht vergessen, dass bei dem Unfall vor fast einem Jahr ein Schwein verschwunden war. Ein Schwein, für dass er bereits bezahlt hatte. Ein Schwein, dass er nie bekommen hatte. Und eines schönen Tages im Oktober stand ein Viehtransporter vor unserer Tür, um Kara abzuholen.

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