Unwritten Story
Es handelt sich um Urbane Fantasy, Queer-Romance.
Lesezeit etwa 125 bis 145 Minuten.
Der Text hatte ein intensives Sensitivity Reading.
Hörbuch-Version
Wer sich diese Geschichte lieber anhören möchte, darf sich nachfolgend das Hörbuch in 12 MP3-Dateien als Zip-Datei herunterladen.
Download: UnwrittenStory-Hörbuch
(Dateigröße: [downloadsize(UnwrittenStory.zip)] – zuletzt aktualisiert am [downloadupdated(UnwrittenStory.zip, d-m-Y)].)
Das Hörbuch wurde von mir nach dem Sensitivity Reading komplett neu eingesprochen. Es sind erhebliche Veränderungen im Text passiert, Passagen wurden gestrichen, Teile neu geschrieben.
Überarbeitete Fassung vom 17.5.2021, in einem Kapitel singe ich sogar, vergebt mir.
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Roman als PDF-Datei
Ich habe eine neue PDF-Version gebastelt:
UnwrittenStory-PDF
(Dateigröße: [downloadsize(UnwrittenStory.pdf)] – zuletzt aktualisiert am [downloadupdated(UnwrittenStory.pdf, d-m-Y)].).
Die PDF ist eine komplett überarbeitete zweite dritte Fassung!
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Änderungen durch Sensitivity Reading
Mai 2021: Alle Kapitel wurden gründlich überarbeitet, mit teils erheblichen Veränderungen im Text. Einige Abschnitte wurden ganz gelöscht und andere neu geschrieben und hinzugefügt.
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Über den Roman
Handlung: Eyna ist mollig, kurzsichtig, blond und ziemlich queer.
Eigentlich hatte sie keine Lust zu diesem Klassentreffen zu gehen, sie wollte lieber an ihrem ungeschriebenen Roman schreiben. Aber andererseits interessierte es sie, ob sich alle sehr verändert hatten seit der Schulzeit.
Wie sehr, damit hatte sie dann doch nicht gerechnet. Und schon ist sie mitten in einem turbulenten Abenteuer.
Wer sind die geheimnisvollen Gestalten, die sie zu verfolgen scheinen? Und was wollen die sprechenden Vögel von ihr?
Eine kurzweilige Geschichte, humorvoll, selbstironisch und sehr erotisch mit einem Schuss Magie, einer Prise Gefahr – und viel Liebe.
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Kapitel-Übersicht
- CN sind am Ende der Seite zu finden Content Notes, Inhaltsangaben ▼
- Vorwort
- 1. Leerlauf
- 2. Eingeladen
- 3. Klassentreffen
- 4. Rosen und Dornen
- 5. Hemmungen
- 6. Wasser und Spiele
- 7. Regenfrau
- 8. Flucht
- 9. Laborratte
- 10. Wassergeister
- 11. Epilog
- Danksagung, Autor*in
- Hinweis zu Fortsetzungen
(August 2020: Das bisherige 12. Kapitel „Epilog-2“ habe ich zusammen mit zwei weiteren kurzen Bonus-Geschichten auf einen extra Blog-Eintrag verschoben, weil sie eigentlich nichts mehr mit der Hauptstory zu tun haben und auch anders im Stil sind. Sie sind sehr pornolastig geworden, das heißt: keine Fantasy und mehr Erotik. Möglicherweise kommen später noch weitere Kapitel dazu? Der Link zu jenen Kapiteln und das nötige Passwort befinden sich am Ende dieser Seite.)
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Vorwort
Es sollte eine queere Protagonistin werden, mit einer weiteren queeren Hauptperson. Soviel zumindest war mir klar, als ich diese Story begann. Weder hatte ich einen Plan für die Handlung noch ein Konzept, als ich anfing, die Geschichte zu schreiben. Mir kommen anscheinend die Ideen erst, während ich zu schreiben anfange. Das ist meist sehr überraschend für mich selbst, in welche Richtung es sich entwickelt und zu welchen Persönlichkeiten meine Charaktere werden. Doch hätte ich nicht einfach angefangen, würde ich wohl immer noch über dem Plot grübeln.
Ein wenig Fantasy sollte hinein, auf jeden Fall Humor und gerne Erotik – das wenigstens wusste ich auch schon, als ich die erste ungeschriebene Seite anstarrte und auf eine Eingebung hoffte. Ganz so wie meine Protagonistin Eyna. Es ist also ein wenig eine Geschichte in einer Geschichte geworden.
Eyna hat durchaus ein paar Charakterzüge, die ich auch an mir selber sehe, ist aber auch eine ganz eigene Person geworden, schließlich bin ich weder blond noch Mitte dreißig oder so. Ein paar Eigenheiten aus dem hypersensorischen oder auch Autismus-Spektrum haben wir allerdings gemeinsam und vielleicht teilen wir auch einige der beschriebenen sexuellen Fantasien oder Vorlieben beim Essen.
Insgesamt ist die Story ein Mix aus eigenem Erlebtem und literarischer Vorstellungskraft geworden, wobei das Erlebte so verschlüsselt und verzerrt wurde, dass daraus keinerlei Ähnlichkeit mit lebenden Personen oder tatsächlichen Handlungen erkennbar sein sollte. Der Rest ist schlicht erfunden und schriftstellerische Freiheit.
Ich habe mich bemüht, vorrangig gendergerechte Sprache zu gebrauchen.
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1. Kapitel: Leerlauf
Ohne eine zündende Idee für den Plot schaute Eyna auf die unbeschriebene geöffnete Seite in ihrem Schreibprogramm. Sie hatte einen leicht grauen, augenschonenden Hintergrund gewählt und gut lesbare, serifenfreie Schrift, falls sie je etwas schreiben sollte – mehr als das jedenfalls, was sie bisher notiert hatte. Nein, sie war nicht gänzlich leer, diese Seite, immerhin stand schon ihr Name dort.
„Geschrieben von“ Eyna Wilke, und der Arbeitstitel der Kurzgeschichte, die sie schreiben wollte: Unwritten Story. Oder würde es ein Roman werden… und worüber eigentlich und welches Genre, SF, Fantasy, Romanze? Sollte sie queere Charaktere hineinschreiben, was würde sie sich zutrauen? Sie hatte keinen Plan.
Ideen hatte Eyna genug, zu viele eigentlich für eine einzige Geschichte. Sie starrte auf den Schmierzettel neben der Tastatur. Darauf standen etliche gekritzelte Gedanken, die sie in den letzten Tagen dort notiert hatte, zusammenhanglos und irgendwie nutzlos. Sie seufzte und starrte nun wieder auf den Bildschirm, was es auch nicht besser machte. Der war nämlich immer noch leer.
Sie hatte unaufdringliche, inspirierende Musik aufgelegt und auf ein niedriges Level eingestellt. Das sollte den Lärm unterdrücken, der durch das geöffnete Fenster hereinschallte. Aber die nervte sie nun doch und sie schaltete sie ab. Ihr war heiß. Die kleine Wohnung im fünften Stock war unschlagbar günstig in der Miete, weil es keinen Lift in diesem Wohnblock gab. Der Ausblick auf den weiten Horizont verschlug ihr immer wieder den Atem. Aber es war eine Dachgeschosswohnung und die heizte sich jetzt im Sommer unangenehm auf.
Zudem schien ein Gewitter heraufzuziehen. Eine Weile schaute sie durch das Fenster den Wolken zu, die sich nicht wirklich für eine Form entscheiden konnten und sich sowohl an Mammatus– wie auch Amboss-Formationen versuchten. In der Ferne grummelte es. Ihre Haut fühlte sich klebrig an und die statische Energie tat seltsame, prickelnde Dinge mit ihrer Kopfhaut. Ihr war schon als junges Mädchen aufgefallen, dass sie ausgesprochen wetterfühlig war. Nun war sie Mitte dreißig und dieses Gespür war immer stärker geworden, wirkte sich ebenfalls auf ihre mentale Befindlichkeit aus. Sie grinste, als sie sich vor ihrem geistigen Auge als menschliches Barometer sah. Die Narben und Gelenke ihres Körpers hatten ihr jedenfalls bereits am Vormittag den Wetterumschwung angekündigt.
Vielleicht würde sich körperliche Bewegung positiv auf die unwilligen Gehirnströme auswirken? Eyna stand auf und absolvierte halbherzig ein paar gymnastische Übungen. Sie war zu sehr mit Zählen der Durchgänge beschäftigt, um vernünftig am Plot zu schmieden. Unzufrieden setzte sie sich wieder vor ihren Laptop. Der starrte unwirsch zurück. Eyna blinzelte. Ach nein, da war ja nur ihr Spiegelbild im Monitor. Sie fühlte ein oder zwei Schweißtropfen zwischen den Schulterblättern hinunter perlen. Sie war nun nass und verschwitzt an Stellen, von denen sie zwischenzeitlich vergessen hatte, dass dort Schweißdrüsen waren. Eyna beschloss, ihr weiteres Autorinnenleben noch ein wenig zu verschieben und erst einmal duschen zu gehen.
Die schweißnassen Sachen leisteten Widerstand, da sie naturgemäß die Gesetze der Adhäsion verinnerlicht hatten und sehr an ihr hingen. Eyna blieb dennoch Siegerin in diesem ungleichen Duell und warf die Teile zur Schmutzwäsche in den Wäschekorb. Zum Glück hatte sie eine winzige Waschmaschine hier oben und brauchte nicht jedes Mal die fünf Stockwerke, plus Stufen zum Wäschekeller, zu laufen.
Nun völlig nackt ging Eyna hinüber in die kleine Nasszelle. Sie fragte sich manchmal, warum sie bei dieser schwülen Witterung überhaupt Kleidung trug. Unter ihren bloßen Füßen spürte sie holzwarmes Laminat und dann die kühleren Fliesen des Badezimmers. Fauchend ging die Therme an, als sie die Wasserhähne öffnete. Eyna blickte kurz misstrauisch zum Gerät hinüber – sie hegte gegenüber Gas betriebenen Maschinen tiefen Argwohn – und stellte sich dann unter den Strahl.
Es war die Wonne pur.
Mit geschlossenen Augen ließ sie das genau temperierte Wasser über ihren Kopf laufen, bis die weißblonden Haare vollgesogen waren. Haar und Kopfhaut bekamen anschließend eine shampoonierende Reinigung und erfüllten damit Eynas Mindeststandard an täglicher Hygiene. Kurz überflog sie die Duschseifen auf dem Duschregal. Ja, heute würde es Vanilla-Coconut sein, dachte sie und tat sich eine kleine Menge des glibberigen Zeug auf die Hand. Als sie es am ganzen Körper verrieb, breitete sich der Duft des Schaums zunächst süßlich-herb-vanillig aus. Er veränderte sich auf der Hautfläche nuanciert zu duftendem Kokos und blieb auch nach dem Abspülen als seifig-exotische Note an ihr haften. Sie roch an ihren Armen und Schultern, atmete tief ein und genoss das sinnliche Erlebnis.
Nach dem Akt des pragmatischen Säuberns gönnte sie sich noch eine Minute lang den Luxus, einfach nur die nun noch kühler gestellten Wasserstrahlen auf ihrer Haut zu fühlen. Sie hielt die Lippen und die Handflächen in den harten Strahl und genoss das Gefühl, das es auslöste. Das Prickeln, wenn er auf empfindliche Partien ihres Körpers traf, hatte etwas sehr Stimulierendes, das sie über alle Maßen genoss.
Es schien ihr, als könne sie die einzelnen Strahlen anhand ihrer Temperatur auseinanderhalten, erspüren, wo sich Kaltwasser und jenes andere, das lauwarme aus der Therme, mischten. Doch ihr Gewissen ermahnte sie, es nicht zu übertreiben und nun genug Trinkwasser verschwendet zu haben. Sie stieg angenehm abgekühlt aus der Duschwanne und sortierte ihr schulterlanges tropfendes Haar in ein Handtuch.
In ihr Badetuch gewickelt, setzte sich Eyna erneut an ihren Laptop. Das Blatt war immer noch genauso leer, wie ihr Kopf. Frustriert klappte sie das Gerät zu. Das Gewitter war woanders niedergeregnet, aber durch das Fenster strömte nun kühlere Luft herein, die nach Sommerblüten und grünen Blättern roch. Es war später Nachmittag und immer noch zu warm, um irgendetwas Sinnvolleres anzustellen, als irgendwo bewegungslos zu liegen und sich auf Atmung und Dasein zu fokussieren. Eyna legte sich und ihre Handtücher auf dem Schlafsofa ab. Sie konnte ebenso gut im Liegen plotten. Eyna fühlte, wie die Flüssigkeiten ihres Körpers sich nun unangestrengter verteilen konnten. Sie schloss die Augen, um besser denken zu können. Sehr angenehm ist das, dachte sie, und dachte dann über den möglichen Inhalt ihrer Geschichte nach.
2. Eingeladen
Sie wachte bei Einbruch der Dämmerung auf. Nun, eigentlich wurde sie aufgeweckt, weil ihr Smartphone lautstark signalisierte, dass es eine neue Nachricht empfing. Noch schlafdröselig setzte Eyna sich auf und öffnete das Mail-Programm.
„Hi Eyna,
ich weiß nicht, ob du dich noch an mich erinnerst. Ich bin’s, Thomas. 10. Klasse bei Frau Hell-Wolter. Geschichtskurs.
Habe dein Profil bei Facebook gesehen und bin eigentlich immer noch nicht ganz sicher, ob du das bist, die ich meine? Aber so einen ausgefallenen Namen gibt es nicht so oft.
Es ist ja nun schon ein paar Jahre her, seitdem … Und das ist der Grund, warum ich schreibe. Wir, die alte Clique aus der 10-B, hatten ja schon länger geplant, zumindest zum 15. Jahrestag ein Klassentreffen zu organisieren, hat aber organisatorisch nicht geklappt bisher.
Nun bin ich – nur für ein paar Tage – wieder in der Stadt und dachte, wir könnten das jetzt oder nie durchziehen. Ein paar aus der alten Clique habe ich tatsächlich aktivieren können. Wir treffen uns am Abend in der Auditorium-Tenne in der Mozartstraße.
Ich weiß, es ist total kurzfristig und ich würde es verstehen, wenn es bei dir nicht passt. Es wäre aber super, wenn du auch dazu kommen könntest.
Tom“
Eyna war froh, bereits zu sitzen. Tom und die Jungs aus der Schulband „Pentagon“. Meine Güte, das waren die Coolsten der Schule damals. Mit Tom war sie sogar mal im Kino gewesen und David hatte die gleichen AGs wie sie gehabt. Plötzlich war sie 15 Jahre jünger und wieder schwer verliebt. Thomas, Helge, Marvin, David und Josh. Oh ja, vor allem Josh, den sie damals so hoffnungslos angehimmelt hatte. Der schöne Josh mit den buchenbraunen Locken, die ihm beinahe bis auf die Hüften hingen. Josh, zu dem diese Hände gehörten, mit den feinen Sehnen und langen Fingergliedern, mit denen er so wunderbar Gitarre gespielt hatte, Bella Ciao, damals auf der Schulfreizeit – nie hatte sie schönere Hände bei einem Menschen gesehen. Josh, mit den seegrünen Augen, dessen Gesicht sie heimlich zuhause hundertfach in ihr Skizzenbuch gezeichnet hatte. Mit dem sie aus lauter Schüchternheit nie ein einziges Wort gewechselt hatte.
Wenn die anderen sie hässlich gehänselt hatten, wegen ihres Namens oder der dicken Brille oder einfach so – er hatte nie mitgemacht dabei, dachte Eyna, aber er hatte auch nichts dagegen unternommen. Ob er heute wohl auch bei dem Treffen war? Ihr Herz schlug schneller bei diesem Gedanken. Sie atmete einmal tief durch.
Eynas Gedanken kreisten um die Frage, ob sie dort wirklich hingehen wollte oder sollte und warum eigentlich oder eigentlich nicht. Währenddessen hatte der Rest ihres Körpers die Initiative ergriffen und schon begonnen, sich für das Treffen aufzubrezeln. Was in ihren Augen bedeutete, dass sie die Highheels im Cowboystil hervorkramte, die sie erst neulich als Schnäppchen erstanden hatte. Dazu den grün gefärbten kurzen Jeansrock und – sie haderte kurz mit sich – das grell rosafarbene Top. Sie kannte mittlerweile die anregende Wirkung, die sie darin auf andere Menschen hatte.
Damals hatte sie dieses Selbstbewusstsein bei Weitem nicht gehabt. Zuletzt zog sie die verzierte Manschette über ihren linken Unterarm, der zur Gänze die hässliche Narbe dort verdeckte. So viel Mut hatte sie dann doch nicht, diesen Makel öffentlich zu zeigen. Auch die Haare trug sie draußen lieber offen, um die Brille zu verdecken, die Brille trug sie, um die Augen zu verdecken. Sie grinste, als ihr klar wurde, wie wenig sie sich mit dem Terminus ‚Selbstbewusstsein‘ tatsächlich identifizierte.
Sie griff nach einem prüfenden Blick in den Spiegel zu ihrer liebsten Kette, die mit dem silbernen Medaillon, und legte sie an. Es kam knapp unterhalb ihrer Schlüsselbeine zum Liegen und machte den Anblick perfekt. Die schwarze Jacke nahm sie mit, weil sie viele Taschen hatte und sie ihre ganzen Sachen darin verstauen konnte. Eyna hatte das Prinzip Handtasche noch nie verstanden. Ein letzter Blick auf das Handy – ja, die in der Mail angegebene Zeit wäre dann jetzt. Die Tenne war lediglich zwei Blocks von hier entfernt, sie würde rechtzeitig ankommen. Außerdem fühlte sie nun derben Hunger. Falls das Treffen schräg werden sollte, konnte sie immerhin etwas Gutes essen, der Laden hatte eine sagenhafte Küche zu bieten.
3. Klassentreffen
Der kurze Spaziergang hatte gut getan. Die Stadtplaner hatten breite Rad- und Fußwege zwischen den Blocks angelegt und diese waren seitlich mit üppigem Grün bewachsen. Die Honigsträucher blühten gerade. Eyna hatte keine Ahnung, wie diese Gewächse botanisch korrekt hießen, aber sie dufteten eindeutig nach Honig. Selbst jetzt noch in den Abendstunden, oder vielleicht gerade jetzt, da kein Wind mehr ging und sich der Duft konzentrieren konnte. Sie liebte diese Zeit – wenn der Himmel noch dunkelblau nachleuchtete, aber die ersten Straßenlaternen Lichtflecken in dunkle Ecken schnitten. Am Firmament erschienen sogar ein paar Sterne und frühe Fledermäuse umflatterten Bäume und Laternen, während letzte Amseln das Ende des Tages besangen. Ihre Stiefel klackerten einen dissonanten Takt dazwischen. Ein unangenehmes Geräusch, das sie eigentlich störte, da sie sonst lieber lautlos in Sneakers unterwegs war, aber das konnte sie nun nicht mehr ändern.
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Vor dem Auditorium räumten einige Gäste gerade die Außenplätze und waren plaudernd im Begriff ins Innere zu gehen. Eyna erinnerte sich, dass die Tenne-Wirte die Nachtruhe streng nahmen, um mit den Nachbarn keinen Ärger zu bekommen. Ein paar von den Leuten kamen ihr bekannt vor. Ob das welche von dem Klassentreffen waren? Sie hielten inne, als sie Eyna bemerkten, die nun in den Schein der Außenbeleuchtung trat. Herrje, die hatten sich teils gar nicht verändert, waren zu erwachsenen Ausgaben ihrer Schul-Ichs geworden. Nur die Namen, die hatte sie von allen vergessen. Das war schon immer ihr Problem gewesen. Besonders bei Aufregung passierte ihr diese spezifische Aphasie, und aufgeregt war sie nun sehr.
Sie fühlte ihren Herzschlag, besonders die Schlagadern am Hals pochten. Am liebsten wäre sie nun doch umgedreht oder hätte zumindest aus sicherer Entfernung zunächst die Lage erkundet, und vielleicht wäre sie dann doch wieder gegangen, ohne die anderen überhaupt zu treffen. Doch ihre Cowboystiefel trugen sie weiter auf die Menschen dort zu, außerdem war sie bereits entdeckt worden.
„Mensch, schau mal, das ist doch die Wilke“, „Hallo Eyna!“ „Grüß dich!“ hörte sie aus der Gruppe rufen. Sie straffte die Schultern und grüßte mit einem „Hallo zusammen“ unverbindlich zurück. Ihr Blick suchte unauffällig nach Josh, als sie sich zu den anderen gesellte und es tunlichst vermied, die Hände zu schütteln, die ihr hingehalten wurden. Sie hatte es sich in den vergangenen Monaten und Jahren strikt antrainiert, diese für sie unangenehme Geste zu vermeiden und zu ignorieren. Sie klopfte stattdessen mit den Knöcheln auf einen der Tische und das schien den anderen nun auszureichen als Begrüßung, da sie alle einfach zurück klopften.
Eyna war kurz erleichtert, denn das Vermeiden des Handkontakts hatte sie schon mit vielen rücksichtslosen Menschen ausdiskutieren müssen, und dass sie diese Art des Anfassens nicht mochte, obschon ihr Ignoranten diese Verweigerung als Unhöflichkeit vorwarfen.
Eine Frau in einem atemberaubend raffiniert geschnittenem Kleid trat aus der Gruppe nun lächelnd einen Schritt vor, während die andern schon Richtung Kneipentür gingen.
„Eyna! Ich freue mich so, dass du es einrichten konntest!“
Eyna war verwirrt. Im Geiste ging sie die Erinnerungsbilder der ehemaligen Mitschülerinnen durch… keines davon wollte zu der Frau vor ihr passen. Dass sie sich aber auch nie Namen und Gesichter merken konnte, auch wenn ihr dieses trotzdem vertraut vorkam, ärgerte sie sich flüchtig.
„Entschuldige, ich habe ein sagenhaft schlechtes Gedächtnis – ich glaube, ich sollte dich kennen, aber, hilf mir mal, wer genau bist du?“ traute sie sich stirnrunzelnd zu fragen.
Die Person vor ihr wurde ernst.
„Ich habe Bass-Gitarre bei Pentagon gespielt. Du kanntest mich nur unter meinem alten Namen. Ich heiße jetzt Josy.“
Eyna starrte wortlos in das Gesicht vor ihr und suchte nach Übereinstimmungen. Die grünen Augen, ja, das passte, daran erinnerte sie sich, die Augenbrauen waren weniger dominant nun. Die Haarfarbe, soweit sie das in diesem Licht erkennen konnte, stimmte auch. Das Kinn und die Nase waren vertraut, ein paar feine Linien waren in den 15 Jahren dazu gekommen. Ihr Blick ging tiefer und blieb an den Händen von … Josy hängen. Diese wunderschönen Hände! Ja, das war tatsächlich die Person von früher.
Eyna hatte ein paar Augenblicke gebraucht, um die Situation zu verstehen. Aber ihr Gehirn hatte sich sehr schnell synchronisiert. Im Grunde war es ja auch keine große Sache und ging nur Josy etwas an.
Sie blickte zurück ins Gesicht ihres Gegenübers und lächelte breit.
„Josy also. Ist nicht kompliziert. Welches Pronomen benutzt du denn jetzt?“
Josy atmete aus, als hätte sie während Eynas Musterung vergessen, dies zu tun.
„Sie wäre ok“, sagte Josy.
Josy leuchtet, dachte Eyna fasziniert, als Josys entspanntes Lächeln zurückkehrte.
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Drinnen hatten die Anderen einen großen Tisch in Beschlag genommen und vertieften sich in die Speisekarten. Eyna bestellte Spargel-Risotto und Josy, die rechts von ihr saß, wollte die Gemüseplatte probieren. Während des Essens erzählten alle reihum, was aus ihnen geworden war inzwischen. Tom, der zum Treffen eingeladen hatte, begann, danach erzählte Josy.
Josy Johansson hatte nach der Schule ein Gartenbau-Studium begonnen. Bald darauf war ihr Vater gestorben – Eyna erinnerte sich, dass dieser bereits zu Schulzeiten sehr alt gewesen war – und sie hatte den elterlichen Betrieb zunächst übernommen und dann einen externen Verwalter eingesetzt. Josy bekam als Gartenbauarchitektin inzwischen Aufträge in ganz Europa und war viel unterwegs. Dies war einer ihrer seltenen Besuche in der Heimatstadt.
Eyna versuchte gar nicht erst, sich den Werdegang der anderen zu merken. Sie hätte es ohnehin im nächsten Moment vergessen. Das war auch so eine Fehlleistung, die sie an sich wenig mochte. Da diese Unfähigkeit jedoch unabänderlich war, kaschierte sie das aktive Weghören für sich als „unnützes Wissen“.
Als die Reihe schließlich an ihr war, ließ sie das meiste ihres Lebenslaufs aus. Sie hielt es für irrelevant, ihr Leben vor Menschen auszubreiten, mit denen sie nichts weiter gemein hatte, als zusammen in einer Schulklasse gewesen zu sein. Sie hatte schon damals kaum dazu gehört, nicht so wie Josy, die der angesagten Klicke angehört hatte. Eyna ließ die anderen lediglich wissen, dass sie als Buchautorin und freie Künstlerin ihr Auskommen hatte, was nickend zur Kenntnis genommen wurde. David fragte etwas genauer nach, unterbrach sich aber, als eine neue Runde Getränke serviert wurde.
Die Gespräche drehten sich noch eine Weile um die Vergangenheit, die Schulzeit als gemeinsame Erinnerung war verbindend.
Dann verlagerten sich die Gespräche allmählich auf eine Art, die sie und Josy beinahe ausschloss. Eyna war noch nie gut in Small Talk gewesen und ihre einsilbigen Antworten hielten die anderen bald davon ab, allzu oft das Wort an sie zu richten. Sie hatte stattdessen begonnen, Servietten mit Figuren und Gesichtern vollzukritzeln, während sie den Anekdoten lauschte. Eyna fühlte sich dennoch nicht völlig ausgeschlossen. Sie hörte zu, wie sich Tom und David über ihre Familien unterhielten, beantwortete nun endlich Davids Frage, die er vorhin nicht zu ende gestellt hatte und verlor sich während des Kritzelns in ihren Gedanken. Ein paar davon behandelten Josy und die Tatsache, dass diese sehr dicht neben Eyna saß, eine Nähe, die sie beinahe schwindelig machte.
Eyna fiel dennoch auf, dass auch Josy meist übergangen und nur heimlich angestarrt wurde, sobald es schien, sie würde es nicht bemerken. Aber Josy schien ohnehin nur Aufmerksamkeit für Eynas Kritzelbilder zu haben. Josy hatte sogar am Nebentisch weitere Servietten eingesammelt, die sie nun vor Eyna ablegte.
„Sie ignorieren uns“, flüsterte Josy dabei Eyna zu.
Eyna wisperte: „Joah, hab ich wohl bemerkt. Ignorieren wir einfach zurück.“
Sie grinsten einander verschwörerisch an und Josy zwinkerte ihr zu.
Wie sweet ist das denn, dachte Eyna.
Immer noch in sich hinein lächelnd karikierte Eyna weiter. Beobachtete Josy sie etwa? Aus den Augenwinkeln schauen und malen ging nicht zusammen, also kritzelte Eyna einfach konzentriert die nächste Serviette voll, Josys Präsenz als warme Energie fühlend.
Eine Person nach der anderen verabschiedete sich schließlich, natürlich wieder per Handschlag, von der Runde. Eyna, schaffte es knapp, niemandem die Hand zu geben, auch Tom nicht, der zumindest ihr Angebot einer brofist annahm. Eyna und Josy blieben übrig, als hätten sie sich abgesprochen.
„Du magst kein Händeschütteln“, stellte Josy fest.
„Richtig“, bestätigte Eyna und sah Thomas hinterher, als dieser das Lokal verließ.
Sie dachte an die Schulzeit zurück und unliebsame Erinnerungen kamen auf. Mehr zu sich selbst als zu Josy sagte sie: „Eigentlich wundere ich mich über mich selbst, dass ich zu diesem Klassentreffen gekommen bin. Einige haben mich damals ziemlich mies behandelt. Brillenschlange war noch das Netteste an Namen, die sie für mich hatten. Und ich bekam Sachen zu hören wie ‚wenn du deine Arme vor der Brust kreuzt, sieht das irgendwie männlich aus‘ und ‚warum trägst du nie Röcke‘.“
„Warum hast du dich nie eingemischt?“, rutschte es Eyna ‚raus.
„Das tut mir sehr leid. Ich habe das, ehrlich gesagt, nicht immer mitbekommen. Und wenn, dann hatte ich Angst, selber zu viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich hatte damit zu tun, diese verdammte Männlichkeits-Show aufrechtzuerhalten“, sagte Josy.
Das war ehrlich, fand Eyna.
„Ich wollte doch nur cool sein, zur Clique gehören. Niemand sollte etwas merken“, ergänzte Josy und schaute Eyna direkt in die Augen.
„Oh, du warst absolut cool damals und ich war einigermaßen doll verliebt in dich, wusstest du das?“, schwärmte Eyna unbedacht – schon wieder – und hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Wann lernte sie endlich, ihr vorlautes Mundwerk zu beherrschen! Ihre Stimmung hüpfte schon den ganzen Abend wie ein Eichhörnchen im Wald von einer Emotion in die nächste. Wie würde Josy darauf reagieren?
Josy lief ein wenig rot an und schaute auf ihre Hände hinab, ihre Finger verknotend. Sie sagte leise: “Wow!“
Eyna fragte vorsichtig: „Ist das ein gutes oder ein schlechtes ‚wow‘?“
Josy sah wieder auf und sagte dann, immer noch sehr leise: „Danke!“
Ihr Lächeln kehrte zurück, als sie in Eynas zaghafte Miene blickte, die ihre Antwort noch nicht einordnen zu können schien. Josy atmete ein, dann zwinkerte sie und grinste plötzlich provozierend schelmisch:
„Ach, und heute findest du mich nicht mehr cool?“
„Heute? Aber nein. Heute bist du atemberaubend!“ sagte Eyna umgehend – und hatte vergessen, dass sie so etwas eigentlich nicht mehr hatte sagen wollen. Aber alles andere wäre gelogen gewesen. Und Josys Wangen glühten.
Die entstandene Verlegenheit überspielend, schlug Eyna vor, für sie beide Crema Catalana zu bestellen. „Es ist die beste der Stadt“, meinte sie. Josy stimmte zu.
Sie sagte, nachdem sie probiert hatte: „Nicht einmal in Barcelona schmeckte sie so gut! In der Tat, das ist ein ganz famoses Dessert.“
Eyna betrachtete selbstvergessen Josys Hände, die auf unnachahmlich elegante Art den Löffel hielten oder beim Reden gestikulierten, als würden sie zum Gesagten tanzen.
Sie hingen jede eine Weile ihren Gedanken in einvernehmlichem Schweigen nach und ließen sich die Crema auf der Zunge zergehen. Der geröstete Karamellgeschmack des Puddings erregte sämtliche Geschmacksknospen.
Es war nun sehr spät geworden, in der Tenne wurden bereits in einer entfernten Ecke des Lokals die Stühle auf die Tische gestellt. Eyna und Josy verstanden den subtilen Hinweis und bezahlten ihre Rechnung.
Als sie aufstanden, fragte Josy: „Willst du deine Zeichnungen nicht mitnehmen, die sind genial geworden.“
„Oh, das sind doch nur Kritzeleien“, meinte Eyna erstaunt, „Servietten taugen nicht viel zum darauf malen. Ich kann das sonst besser.“
„Darf ich sie trotzdem an mich nehmen?“, bat Josy.
„Als Erinnerung an diesen unvergesslichen Abend?“, fragte Eyna gespielt theatralisch. In Wirklichkeit freute sie Josys Interesse sehr. Gerührt schaute sie zu, wie Josy die Tücher mit den Kugelschreiber-Skizzen sorgfältig in ihrer Handtasche verstaute.
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Draußen vor dem Auditorium hielt Eyna plötzlich inne und stöhnte leise auf. Ihr ganzer Körper meldete sich mit den bekannten Alarmzeichen.
„Es kommt ein Unwetter“, presste sie hervor, „halbe Stunde noch.“
Wie zur Bestätigung sandten ihrer beider Smartphones auch schon Warnmeldungen, die schwere Gewitter ankündigten.
Josy war, weil die Gärtnerei weit draußen vor der Stadt lag, mit einem der Firmen-Lieferwagen gekommen. Als sie mitbekam, dass Eyna zu Fuß nach Hause gehen wollte, hielt sie rigoros die Beifahrertür auf und bot an, sie heim zu fahren. Eyna willigte gerne ein. Im Regen zu laufen war sonst schön, aber nicht bei Gewitter, Wolkenbruch und Hagel. Sie kannte die Gefahren.
Sie waren fast vor Eynas Wohnblock angekommen – erste heftige Windböen peitschten Staub durch die nächtlichen Straßen -, als Josy fragte:
„Wie kommt es, dass du das mit dem Wetter wusstest?“
Eyna hob die Schultern und ließ sie wieder sacken.
„Keine Ahnung, ich spüre es einfach … in meinen Knochen. Vielleicht ist es die statische Aufladung oder der fallende Luftdruck? Es ist … unangenehm.“
„Unangenehm? Wie meinst du das?“, fragte Josy nach.
„Es … schmerzt … manchmal Tage vorher schon“, versuchte Eyna zu erklären. „Meine Oma hatte das auch. Sie nannte es Gliederreißen. Dazu kommen noch ungezügelte Emotionen, ich fange dann manchmal schon bei banaler Werbung an zu weinen – oder sage unbedacht Dinge“, ergänzte Eyna. Ihr war nun klar, wieso ihre Stimmung vorhin so unvorhersehbar geschwankt hatte.
„Tut mir leid, dass es dich quält“, sagte Josy. „Aber irgendwie ist das auch ziemlich cool, oder? Ich wünschte, dieses paranormale Phänomen hätte uns vor ein paar Jahren geholfen, die Gewächshäuser zu sichern. Das war ein ziemlicher Schaden, den das Hagelunwetter angerichtet hat. Es gab zwar Warnmeldungen, aber du erinnerst dich vielleicht, wie heftig das war. Der Hagel war faustgroß. Normalen Hagel hätten die Dächer ausgehalten.“
Josy hielt direkt vor der Haustür. Eyna streckte die Hand zum Türgriff, zögerte dann aber.
„Magst du mir deine Nummer …“, begann sie, zeitgleich mit Josy, als diese fragte: „Tauschen wir Handynummern?“
Lachend kramten sie beide ihre Telefone hervor und tippten sich gegenseitig ihre Nummern ein. Zur Kontrolle ließen sie es klingeln. Aus Josys Apparat ertönte zuerst ein schrilles Trillern, das sie nach ein paar Justierungen und Suche in ihren Audiodateien zu Smetanas „Moldau“ verändert hatte.
Auf Eynas Frage, warum sie gerade diese Melodie für sie gewählt hatte, sagte Josy: „Weil es mich an dich erinnert. Tiefgründig und zugleich gewaltig, ein stilles, tiefes Wasser. Ich möchte darin eintauchen.“
Eyna blieb kurz die Luft weg. Ungläubig sah sie zu Josy hinüber. Das war kein Witz gewesen, Josy blickte sehr ernst und aufmerksam zurück.
Unabsichtlich drückte Eynas Daumen auf das Display ihres Smartphones. „Return to Reality“ röhrte es plötzlich aus dem winzigen Lautsprecher ihres Handys. Es holte sie tatsächlich in die Wirklichkeit zurück.
„Das wäre dann dein eingespeicherter Ton“, brachte sie noch hervor und floh quasi aus dem Wagen in den Wolkenbruch hinaus. Mit weichen Knien erreichte sie die nahe Haustür und schloss auf.
„Sie mag mich“, dachte sie atemlos, drehte sich um und winkte dem anfahrenden Auto hinterher.
4. Rosen und Dornen
Am nächsten Morgen war Eyna anscheinend von einer Muse geküsst worden, denn aus ihren Fingern strömte nun Textzeile über Textzeile in ihr Schreibprogramm. Sie hatte zwar immer noch keine Vorstellung, wovon sie eigentlich schrieb, aber die Erlebnisse des Vortages wollten notiert werden. Um eine mögliche Handlung würde sie sich kümmern, wenn es so weit war.
In ihrem Hinterkopf spielte wie eine Zweitstimme immer wieder der eine oder andere Satz, den sie mit Josy gewechselt hatte. Da rührte sich meist noch viel mehr zwischen den grauen Zellen und darin. Sie hatte sich am PC einen Soundtrack eingestellt, der akustisch eine Art fokussierende Landstraße bildete, die sie auf der Spur hielt. Ansonsten hätten Filmschnipsel – entweder gesehene aus Kinofilmen oder Kuriositäten, die ihr Hirn Springflut-artig selbst produzierte – und andere abschweifende Gedanken sie aus ihrer Konzentration gerissen. Ok, Zweitstimme war insofern richtig, als ihre Gedanken nun vordergründig Text formten, Josy kam als eine Art Hintergrundmelodie gleich an zweiter Stelle.
Noch während ihres Workflows hatten die zweiten Gedanken einen Termin mit ihrem Wachbewusstsein gemacht und als sie das letzte Kapitel eingetippt hatte, wusste sie, was sie wollte: sich noch einmal mit Josy treffen!
Sie hatte soeben Josys Handynummer in ihrem Smartphone geöffnet und war im Begriff anzurufen, als eine SMS auf dem Display erschien.
„Hast du heute schon was vor? Wollen wir zusammen etwas unternehmen? Josy.“
Eyna grinste unwillkürlich und drückte die Anrufen-Taste. Josy hob beim ersten Klingelzeichen ab. Eynas Grinsen vertiefte sich.
„Woher wusstest du, dass ich sofort zurückrufe?“, fragte sie statt einer Begrüßung.
„Ich hatte so eine Ahnung, dass du gleich antworten würdest“, sagte Josy und es schwang ein deutliches Lächeln in der Stimme mit.
„Magst du Wandern?“, fragte Eyna und Josy bejahte. Sie verabredeten, dass Josy sie in einer Stunde für eine Wanderung im Rosenpark der Stadt abholen würde.
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Josy hatte ihr Rad im Transporter mitgebracht und Eyna holte ihres aus dem Keller ihres Wohnblocks. Eyna war nun wieder in ihren Wohlfühlklamotten unterwegs – kniekurze Jeans und T-Shirt mit Weste. In einem Rucksack hatte sie ihren Fotoapparat verstaut. Sie hatte das Gefühl, es könnten sich ein paar sehr nette Motive ergeben. Josy hatte einen sehr kurzen Hosenrock an, der sie nicht beim Radfahren hinderte. Eyna starrte einen langen Moment auf die Beine, die daraus hervorschauten. Sie stand schon sehr auf den Anblick.
Josy, die ihren Blick bemerkt hatte, zog ungerührt die Enden ihrer Bluse aus dem Rock und band sie oberhalb des nackten Bauchnabels zu einem Knoten. Bauch, Beine, Po – was für ein Gesamtkunstwerk! Eyna schluckte.
„Das machst du mit Absicht!“, beschwerte sie sich halb im Ernst bei Josy.
Diese kicherte anzüglich. „Selbstverständlich“, gab sie zwinkernd zu und fuhr an.
~
Der Park war umwerfend schön. Eyna genoss Farben und Formen, die sie auf digitales Zelluloid bannte. Sehr oft war Josy mit auf den Bildern. Eyna hatte jedoch zuvor gefragt, ob das für Josy in Ordnung wäre. Josy kannte nicht nur die Namen, sondern zudem ziemlich interessante Geschichten zu den abertausenden Pflanzen. Es gab sie in allen Farbschattierungen von Weiß bis Blutrot. Kleine Moosrosen, Bögen und große Büsche, einfache Formen und üppig gefüllte. Eyna dachte an ihre darbenden Balkonkräuter und seufzte leise. Nichtsdestotrotz fotografierte sie, was ihr gefiel, um später Vorlagen zum Malen zu haben. Was weder Fotos noch Zeichnungen vermitteln konnten, war der unglaubliche Duft der alten Sorten. Den konnten Eyna und Josy nur in ihrer Erinnerung mitnehmen.
Im Café des Parks beendeten sie ihre Runde. Mit einem Festmahl, bestehend aus
Frankfurter Kranz und Chai Latte füllten sie die verbrauchten Energien auf. Der Tag fühlte sich ein wenig wie ein Feiertag an, das wollte auch kulinarisch gewürdigt werden, waren sie sich einig.
Josys Blick war immer mal wieder über Eynas Arme gewandert und bei der Unterarm-Manschette hängen geblieben.
„Stört dich das nicht, bei dem Wetter? Das muss doch ziemlich warm sein darunter?“
„Ist es“, bestätigte Eyna, sagte aber nichts weiter dazu und Josy respektierte ihr Schweigen. Das war wohltuend.
War sie schon so weit, Josy zu erzählen, was sich darunter verbarg – es ihr gar zu zeigen? Sie hoffte, dass Josy dann nicht mit Abscheu reagierte oder Berührungsängste mit körperlicher Versehrtheit hatte. Sie würde den Versuch wagen, beschloss Eyna. Bei Gelegenheit.
Die Gelegenheit kam schneller als gedacht.
~
Auf dem Rückweg kauften sie Gemüse und Stangenbrot. Sie wollten noch ein Ratatouille zusammen kochen, von dem Eyna meinte, niemand würde das authentischer hinbekommen als sie. Eyna wunderte sich über sich selbst. Normalerweise war sie froh, wenn soziale Kontakte zeitlich begrenzt waren und sie sich möglichst bald zurückziehen konnte. Nun hatte sie sogar den Wunsch, nach diesen langen gemeinsamen Stunden noch länger mit Josy zusammen zu sein.
Mit üblichem Elan war sie die fünf Treppen hinauf zu ihrer Wohnung gelaufen und bemerkte oben angekommen erstaunt, dass Josy noch im Stockwerk unter ihr war und nun erst schwer atmend aufholte. Sie mochte das Geräusch von Josys keuchendem Atem und grinste über das leise protestierende Schimpfen, das am Ende jeder Wendung zu hören war. Es klang sehr emotional. Beinahe hätte Eyna einen neckischen Spruch über fehlende Kondition von sich gegeben. Schließlich war ihr Josy doch ziemlich fit vorgekommen und sollte sportlich genug sein für die paar Stufen, da sie doch sicher auch in der Gärtnerei und bei der Gartenarchitektur fix auf den Beinen sein musste. Andererseits waren Treppen nochmal eine andere Art sich zu bewegen, eine ungewohnte.
Eyna schüttelte energisch den Kopf, um die wertenden Gedanken loszuwerden.
Josy missdeutete das Kopfschütteln. „Was denn?“, japste sie, „ich bin das halt nicht gewohnt.“
„Nein, das Kopfschütteln meinte nicht dich … also, irgendwie schon, aber ich meinte nicht deine Kondition …“, verhaspelte sich Eyna und holte tief Atem, was aber eher kontraproduktiv war, weil sie nun nicht mehr reden konnte. Es war Eyna peinlich, dass sie diese Gedanken gehabt hatte, dass sie Josy nicht erklären konnte, warum sie das gerade nicht sagen konnte. Josy schien jedoch keine Antwort zu erwarten, denn sie lächelte nur auf diese geheimnisvoll beunruhigende Art, die Eyna beinahe schmelzen ließ.
Sie drehte sich schnell um und bekam mit ihren nun zittrigen Händen endlich beim zweiten Versuch den Schlüssel in die Haustür gesteckt. Du meine Güte, sie war doch nun wirklich kein himmelnder Teenager mehr. Ihr Körper dachte anders und himmelte ungehemmt.
„Ich mache uns gleich etwas zu trinken“, versprach Eyna hastig und nickte in Richtung des Tee-Regals, „ich muss mich nur rasch frisch machen.“
Sie stellte die Tüten mit Einkäufen auf der Küchenzeile ab und ihren Rucksack auf dem Schlafsofa.
„Oh, wenn ich darf, kann ich das machen“, bot Josy an. Eyna nickte und verschwand im Bad. Es war nicht weit, die ganze Wohnung hatte insgesamt wohl nur 25 Quadratmeter. Eyna schälte sich aus ihren Sachen, nahm die Manschette ab und wusch sich mit kaltem Wasser das Gesicht, den Nacken und die Arme. Sie zwang ihre Gedanken in Richtung Kochen, weg von Josy, und wurde allmählich ruhiger. Ein letztes Mal atmete sie tief durch, hängte das feuchte Handtuch über den Bügel und trat aus dem Bad.
Josy hatte die Utensilien für Tee gefunden und auch das Gewürzregal, wie es schien – so, wie es Eyna aus der offenen Kanne entgegenduftete, in die Josy soeben kochendes Wasser einfüllte. Kardamom, Zimt und Ingwer identifizierte sie – genau mein Geschmack –, fand Eyna, die an die Küchenzeile herangetreten war. Anerkennend nickte sie Josy zu und holte einen Topf aus dem Schrank, goss Olivenöl hinein und stellt ihn auf dem Herd bereit.
Sie hatten schon eine ganze Weile Gemüse klein geschnippelt, als Eyna auffiel, dass sie das Armband im Bad gelassen hatte. Sie erstarrte, als sie Josys Blick auf dem Arm fühlte, dann zog sie rasch ein Geschirrhandtuch über die Narben.
Josy legte langsam ihr Messer auf der Arbeitsfläche ab. Behutsam näherte sie ihre Hand dem Handtuch und sah Eyna fragend an. Diese reagierte erst nicht, nickte dann aber kaum merklich. In einer langsamen, fließenden Bewegung schob Josy ihre linke Hand zart unter Eynas Arm entlang, bis ihr ganzer Unterarm unter dem von Eyna lag und ihn lose stützte. Mit der rechten Hand zog Josy das Tuch weg, über Eynas Hand und über ihren eigenen Ellenbogen hinaus. Sie legte es neben das Messer und fuhr langsam, aber ohne Unterbrechung zurück, mit den Fingerspitzen liebkosend über die nun freigelegte Fläche streichend.
Eyna war sprachlos. Der Grund, warum sie normalerweise die Narben versteckte, waren die angewiderten Blicke ihrer Mitmenschen gewesen. Noch nie hatte irgend jemand so … positiv reagiert. Sie merkte nicht einmal, dass ihr Tränen über die Wangen liefen.
„Hey!“, sagte Josy leise, „wollen wir nicht lieber Meersalz zum Würzen nehmen?“ Sie nahm nun das Tuch wieder auf, wischte Eyna damit die Tränen fort und hängte es sich dann über die Schulter. Dann fuhr sie ungerührt fort, das Gemüse zu zerkleinern. Eyna fühlte ihren Arm prickeln, an den Stellen, die Josy berührt hatte. Sie fasste sich endlich wieder und schnippelte nun ebenfalls weiter. Als sie Josy von der Seite ansah, zwinkerte ihr diese zu.
Wow, dachte Eyna.
Beim Essen des leckeren französischen Eintopfs fragte Eyna: „Du möchtest sicher wissen, woher die Narben stammen?“
„Ja und nein“, antwortete Josy. „Sicher bin ich neugierig und so, aber wenn du es nicht erzählen möchtest, komme ich damit klar. Es geht mich nicht das Geringste an. Aber natürlich höre ich gerne zu.“
„Ach, so schlimm ist es nicht, das zu erzählen. Schlimm waren immer nur die Reaktionen.“
„Interessante Muster“, sagte Josy und zog – mit Eynas Erlaubnis – erneut die Furchen und Wölbungen mit den Fingerspitzen nach. Es entspannte Eyna merklich und sie begann zu erzählen. Von Kevin.
Er war wie ein Feuerwerk in ihr Leben geraten. Schon nach drei Monaten waren sie zusammengezogen. Ins Haus seiner Eltern. Es war der Fehler ihres Lebens gewesen. Kevin grillte für sein Leben gern und war Fußballfan. Zwei Sachen, die Eyna nur zum Teil verstand.
„Er traf sich jeden Samstag mit seinen Freunden, sie gingen zum Sportplatz, um Spiele zu schauen. Und anschließend grillten sie. Oft waren sie dabei nicht mehr ganz nüchtern.“
Eyna hatte bei ihrer Rückkehr meist den Grill soweit vorbereitet, sodass sie gleich beginnen konnten.
„Einer seine Freunde hatte wohl gemeint, dies ginge nicht schnell genug und half nach, indem er Spiritus in die Glut spritze. Leider traf er damit auch meinen Pullover und der ganze Mist stand in Flammen. Ich bin in voller Montur durch die dornige Fingerkrauthecke in den Karpfenteich gelaufen. Der Arm brannte wie die Fackel der Freiheitsstatue. Muss ein toller Anblick gewesen sein – so wie die Jungs lachten. Sein Vater meckerte, ich hätte seine geliebten japanischen Karpfen verschreckt und seine Mutter meckerte, weil ich anschließend mit den nassen Klamotten durch das Haus lief. Der Nüchternste der Bande hat mich dann endlich ins Krankenhaus gefahren.“
Eyna sagte eine lange Weile nichts.
Und dann, ganz leise: „Ich hätte damals schon gehen sollen, weg von ihm. Kannst du dir vorstellen, dass er mir die Schuld gab, seinen Grill-Abend versaut zu haben?!“
Josy dachte nach. „Das war sicher noch nicht alles?“
Eyna schnaubte anerkennend: „Du kennst dich aus. Ja, da kam noch einiges hinterher. Aber das erzähle ich dir vielleicht ein andermal.“
Nach dem Essen saßen Eyna und Josy noch einige Zeit im Dunkeln auf dem kleinen Balkon, der zur Wohnung gehörte.
Hier musste sich ein Mini-Wäscheständer den spärlichen Raum mit einem winzigen Klapptisch und zwei platzsparenden Klappstühlen teilen. Ein paar kümmerliche Kräuter fristeten ein erbärmliches Dasein im Balkonkasten. Einzig ein Basilikum stand in üppigem Grün und trotzte jedweder nachgesagter typisch kurzer Lebenserwartung.
Eyna und Josy genossen das Panorama des Sternenhimmels. Im Winter war der Orion Eynas liebstes Sternbild. Jetzt im Sommer mit den hellen Nächten waren nur vereinzelte stark strahlende Sterne zu sehen und die hoch am Himmel stehenden leuchtenden Nachtwolken, die beinahe magisch über ihnen schimmerten.
Es war kurz vor Mitternacht. Josy lehnte Eynas unausgesprochene Frage, ihr Zitronenwasser nachzufüllen ab, trank den letzten Schluck aus ihrem Glas und verabschiedete sich. Eyna brachte sie zur Tür.
„Kennst du den Waldteich hinter der Ziegelei?“, fragte Josy.
Eyna bestätigte.
„Möchtest du morgen früh dort mit mir schwimmen gehen? Gleich so um 9:00 oder 10:00 Uhr, dann ist da noch niemand.“
„Oh“, sagte Eyna.
„Was ist?“, fragte Josy.
„Ich habe neulich alle Badesachen aussortiert und noch keine neuen“, wand Eyna ein.
„Dann nehme ich auch keine mit. Oder möchtest du lieber nicht?“ Josy sah Eyna fragend an.
„Ich möchte zuerst darüber nachdenken“, sagte Eyna. „Wir fahren da morgen früh hin, keine Frage. Und dann werde ich eben spontan entscheiden, ob ich das kann.“
„Das Schwimmen?“, neckte Josy.
„Das Ausziehen. Ich habe da so meine Probleme. Schwimmen kann ich gut. Obwohl ich schon ewig nicht mehr am See war.“
„Oh. Das Ausziehen. Ich frage mich …“ Josy stockte kurz und sah Eyna prüfend an. „Vielleicht kriegen wir das morgen gemeinsam hin. Also gut, dann hole ich dich um halb 9:00 Uhr ab. Du brauchst nur ein Handtuch mitzunehmen. Ich bringe Frühstück mit, dann können wir am See essen.“
Eyna schloss sie Wohnungstür hinter Josy und lehnte sich an die Wand. Im Flur hing noch eine Spur von Josys Parfum. Sie würde sich nicht vor dieser wundervollen Frau genieren, nahm sich Eyna vor. Ihre Zweifel widersprachen vehement. Im Bad zog sie sich aus und betrachtete ihren nackten Körper im Spiegel. Sie musste dazu auf einen Fußschemel steigen, denn den Spiegel hatte jemand angebracht, der größer war als sie.
Sie mochte nicht, was sie sah. In ihrem Kopf fand eine Konferenz statt, Gehirnzellen stritten erbittert, warfen sich Argumente an die imaginären Köpfe. Eine Weile ging es dabei zu wie an der Börse.
Irgendwann hatte eine besonders dominante und besonnene Gedankenformation die Führung übernommen und gab Eyna präzise Anweisungen: Stell dir vor, wie du in ihren Augen aussiehst. Schau hin!
Eyna schaute zwar schon die ganze Zeit, aber irgendetwas hatte sich verändert. Das sieht jetzt eigentlich gar nicht sooo schlimm aus, dachte Eyna. Josy wertet nicht. Das hat sie zur Genüge bewiesen. Sie dachte an Josys Zwinkern und stieg sicherheitshalber vom Schemel, weil ihre Knie seltsam weich wurden. Sie putzte die Zähne. Dann duschte sie kurz – und sehr kalt.
5. Hemmungen
Sie fuhren mit dem Gärtnerei-Lieferwagen bis in die Nähe des einsam gelegenen Sees und gingen den Rest zu Fuß. Den Korb mit den Picknicksachen und einer aufgerollten Strandmatte darüber trugen sie gemeinsam zwischen sich. Die Sonne schien bereits sehr warm und Eyna wusste, dass es in den nächsten Tagen keine Änderung im Wetter geben würde. Der Weg gabelte sich, geradeaus versperrte ein Zaun mit Gatter die Durchfahrt, der Hauptweg bog nach links ab und ein Trampelpfad mündete dort an einem kurzen Strandstück mit Flachwasser. Eyna war überrascht, als Josy jedoch weiter geradeaus Richtung Tor ging, einen Schlüssel hervorzog und damit das Schloss öffnete.
„Mein Onkel Hans ist Jagdpächter dieses Flurstücks“, sagte Josy grinsend und schloss hinter ihnen wieder ab.
Der See war verwinkelt mit vielen Buchten. Der halb zugewachsene Pfad führte ein gutes Stück am Ufer entlang und um eine mit kleineren Bäumen bestandene Bauminsel herum. Die Vormittagssonne beschien eine Ausbuchtung mit Sand unten am Wasser und kurzem Gras darüber. Weiter oben wurde die Wiese üppiger und vor der undurchdringlichen Buschreihe wuchsen lange Stängel der Goldrute empor. Ein Holztisch und zwei halb zugewucherte Bänke ragten dort aus dem Grün.
Die Bucht war nur über den kleinen Pfad, den sie entlang gekommen waren und über das Wasser erreichbar. Eyna kannte den See, aber diese Bucht war ihr nie aufgefallen, nun sah sie auch, warum: Von der Halbinsel, welche die Bucht halb einschloss, schoben sich hohe Wasserpflanzen in den seewärtigen Zugang und schützen vor unliebsamen Blicken. In den umliegenden Bäumen sangen Vögel, im Schilfgürtel schwammen unbekümmert Enten und Blesshühner. Es war paradiesisch schön hier.
~
Sie stellten den Picknickkorb auf dem Tisch ab, wo er noch im Schatten lag. Die Matte, auf der sie sich später sonnenbaden wollten, breiteten sie an der Grenze aus, an der sich Gras und trockener Sand trafen, die Handtücher legten sie am Rand der Matte ab und gingen zum Ufer hinunter. Ihre Sandalen hatten sie längst ausgezogen und plantschten mit nackten Füßen am Wassersaum entlang. Es war sehr warm geworden und das kühle Wasser war verlockend.
Josy sagte: „Also, ich gehe da jetzt rein!“
Sie schaute Eyna fragend an. Diese nickte zögerlich. „Ich auch.“
Sie gingen zurück zur Matte, um sich dort zu entkleiden.
Das heißt, Eyna wollte sich zwar ausziehen, aber es ging nicht. Irgendwie blockierte sie. Schon wieder. Sie starrte auf ihre nackten sandigen Zehen. Das war gestern in ihrer Vorstellung doch einfacher gewesen.
Eyna hatte nicht mehr auf Josy geachtet, sah nun aber doch auf, als sie Geräusche aus der Picknick-Ecke hörte. Josy hatte das Kabel eines absurd winzigen Lautsprechers in ihr Smartphone gefummelt und regelte daran herum. Blechern spuckte das Teilchen Musik aus.
„Das kenne ich“, sagte Eyna aufhorchend. „Das ist Fever von Peggy Lee!“
Josy strahlte sie an. „Jep. Korrekt.“
Never know how much I love you, schepperte die Stimme aus dem Soundprogramm.
Josy kam mit lasziven Tanzschritten auf Eyna zu „Never know how much I care“, sang sie leise mit. Sie zeigte auf Eyna, die mit einfiel: „When you put your arms around me, I get a fever that’s so hard to bear“.
Dieser Song … Eyna konnte gar nicht anders. Sie musste sich bewegen.
You give me fever when you kiss me. Fever when you hold me tight.
Josy deutete eine Verbeugung an, hob den Arm und hielt einen Finger hoch als Einladung an Eyna. Diese hakte ihrerseits einen Finger bei Josy ein. Blickkontakt, die ganze Zeit. Ihre Hände waren der Mittelpunkt des Kreises, um den sie herum tanzten. Rechts herum. Wechselten die Hände. Links herum.
Fever in the morning. Fever all through the night.
„Noch Hemmungen?“, fragte Josy leise und schnippte mit der jeweils freien Hand den Takt. Sie drehten sich, ganz den Tönen hingegeben. Eyna schüttelte energisch den Kopf. Es blieb kein Raum für schlimme Gedanken, die Musik flutete Eynas Bewusstsein, bis nichts übrig war außer dem Text, der Melodie und den Bewegungen ihres Körpers.
Eyna wusste nicht mehr, warum sie je an dieser Frau gezweifelt hatte. Sie warf ihre Ängste über Bord, wie sie gleich ihre Kleider werfen würde. „Nein, ich glaube, ich möchte, dass du mich siehst“, bat Eyna und wusste, dass Josy verstand, dass sie damit nicht nur ihren Körper meinte.
„Sun lights up the day time
Moon lights up the night
I light up when you call my name
And you know I’m gonna treat you right
You give me fever…“
„Fever!“
„Soll ich anfangen?“ bot Josy an.
„Fever!“
Josy summte entspannt.
Fever till you sizzle.
What a lovely way to burn.
Sie zog, aus dem Tanzschritt heraus, aufreizend langsam ihr T-Shirt über den Kopf und warf es auf die Matte. Sie sah Eyna immer noch an, sie hatten die gesamte Zeit über nicht den Blickkontakt verloren. „Vertraust du mir? Striptease?“
Fever till you sizzle
What a lovely way to burn.
Eyna nickte. „Ja. Ich will. Abwechselnd?“ Sie zog ihr Hemd ebenfalls sehr verzögert hoch und dann schneller über den Kopf, wirbelte es aufreizend umher und warf es neben sich. Sie schob mit dem Zeigefinger ihre Brille hoch, die bei dem Manöver etwas verrutscht war. Josy drehte sich in sie hinein, sie nur ganz beinahe berührend und raunte an ihrem Ohr: „Du siehst zum Anbeißen aus.“
Fever! What a lovely way to burn.
Oh ja, Eyna stand in Flammen. Etwas hatte sich geändert. Die Blockade im Kopf war niedergebrannt. Eyna hatte erstaunlicherweise keine Hemmungen mehr, sich vor Josy auszuziehen – sie, die sogar Probleme bei Arztbesuchen diesbezüglich hatte. Und jetzt stand sie hier und wollte sogar dringend, dass Josy sie so sah und genoss den gemeinsamen Striptease. Ohne Angst. Ohne Scham. Mit Josy war es anders. Mit Josy war offensichtlich alles anders.
Eyna senkte den Blick in Richtung von Josys Shorts und hob auffordernd die Augenbrauen.
Josy zog mit einer unnachahmlich eleganten Handbewegung an der Schnur, mit der die Schlupfhose verknotet war. Eyna dachte an den Film ‚Carol‘, als Cate Blanchett in ähnlicher Geste den Bademantel geöffnet hatte und war hingerissen. Dann fuhr Josy mit den Daumen in den Bund, weitete ihn, ließ das Kleidungsstück einfach an sich hinab gleiten und stieg hinaus.
Auch Eyna löste nun den Gürtel ihrer kurzen Hose, öffnete in Zeitlupe den Reißverschluss und musste etwas über der üppigen Hüfte nachhelfen, bis auch sie sich des Beinkleids entledigen konnte.
Sie standen sich beide in Slip und BH gegenüber und atmeten möglicherweise etwas schneller als gewöhnlich. Peggy Lee war längst verstummt, sie hatten es nicht registriert.
Josy hob leicht eine Augenbraue, als Eyna begann, mit einer Hand in ihrem BH zu wühlen. Die Finger kamen mit einem Haargummi wieder hervor, das sie nun nutzte, um die Haare zu einem blonden Zopf zu bändigen. Josy lachte auf. „Gute Idee. Hast du noch eins für mich da drin?“, fragte sie, während sie den Verschluss ihres eigenen BHs hinter dem Rücken löste.
In der Tat hatte Eyna ein zweites Gummi, mit dem Josy ihrerseits ihre Haare hochband und somit Eyna Gelegenheit gab, eine langen verträumten Blick auf Josys kleine Brüste zu werfen.
Sie fummelte an ihrem eigenen Verschluss, der sich augenscheinlich verklemmt hatte. Eyna wurde bewusst, dass sie und Josy beide in manchen Dingen ähnlich dachten und sich zunehmend besser verstanden. Der BH-Verschluss jedoch zeigte wenig Verständnis und verweigerte sich einer Öffnung.
„Hilfst du mir mal kurz hier heraus?“ fragte sie Josy, die nun hinter sie trat, Eyna den Zopf über deren Schulter nach vorn schob, damit sie das vertrackte Teil besser in Augenschein nehmen konnte. Der verklemmte Haken kapitulierte endlich und auch Eynas BH flog im hohen Bogen auf den Kleiderstapel. „Wow!“, sagte Josy leise, als sie wieder vor sie trat.
Ein einfacher Laut, der in Eyna nachhallte, wie ein Echo in einer Bergschlucht.
Sie stieg ohne weitere Umstände aus ihrem Unterteil. Mit dem großen Zeh kickte sie die Unterhose zur Matte hinüber. Geschafft. Sie war nackt, und es ging ihr gut damit.
„Du meine Güte, bist du niedlich!“ hauchte Josy. Mit diesen Worten schob Josy ihre eigenen Pantys hinunter. Sie bemerkte Eynas Blick. „Soll ich etwas erklären, müssen wir reden?“, fragte sie, den Panty unschlüssig in den Händen haltend.
„Entschuldige, ich wollte nicht starren“, sagte Eyna, verneinend. Sie musste nicht lange überlegen, um auszusprechen, was ihr durch den Kopf ging: „Du bist so unglaublich schön.“
Eyna hob die Schultern, atmete tief durch. „Und, ich mag dich, weißt du.“
Josy lächelte breit. „Ich mag dich auch, sehr sogar.“
Eyna wurde es warm bei diesen Worten, etwas zog sich in ihr zusammen, sie fühlte es direkt unter ihren Schlüsselbeinen. Dafür war nicht der richtige Zeitpunkt. Sie überspielte ihre Gefühlsregung mit aufgesetzter Fröhlichkeit. Eyna zeigte mit dem Daumen hinter sich zur Matte: „Nun wirf den Schlüpper schon drauf. Lass uns endlich ins Wasser gehen!“
Eyna legte noch schnell ihre Brille auf dem Kleiderstapel ab. Dann streckte sie Josy eine Hand entgegen, die diese ergriff.
6. Wasser und Spiele
Als sie schon bis zum Bauch im Wasser wateten, hob Josy Eynas Hand, die in ihre verschränkt war, und fragte: „Das mit dem Anfassen, ist das dann doch ok?“
„Ja, manchmal. Bei manchen Menschen mag ich es sogar ausgesprochen gerne. So wie mit dir jetzt. Es kommt darauf an. Meistens ertrage ich es nicht. Besonders nicht bei Begrüßungen, da brauche ich Abstand. Allein die Vorstellung, bei einer großen Menschengruppe jedem die Hand geben zu müssen. Grauenhaft.“
Sie schüttelte sich. „Ich wurde schon oft ungefragt angefasst. Kevin zum Beispiel hatte so gar kein Gespür und hat mich begrapscht, wenn ich einfach nur in den Arm genommen werden wollte. Es sollte mich wohl stimulieren.“
„Hat es?“, fragte Josy.
Eyna lachte. „Natürlich nicht. Irgendwann habe ich mich ihm ganz verweigert. Es war mir zu… gruselig. Es gab auch andere Berührungen, die ich im Prinzip nett gefunden hätte, wäre es nicht einfach ungefragt gemacht worden. Am Arbeitsplatz an die Brüste fassen – so eine Übergriffigkeit geht gar nicht. Aber das hier mit dir, das fühlt sich nicht schlecht an. Eigentlich sogar ganz gut gerade.“
Dann löste sie doch ihre Hand aus der Josys, weil sie nun in tieferem Wasser angekommen waren und einhändig schwimmen nicht ging. Sie kraulten durch eine Lücke im Schilfgürtel in den See hinaus. Auf der leicht bewegten Wasseroberfläche erschienen Lichtreflektionen, schimmernd wie Diamanten, erloschen in Sekundenbruchteilen und blitzten tausendfach woanders wieder auf. An ihren nackten Körpern spielten Strömungen mit unterschiedlichen Temperaturen entlang, viel intensiver, als sie es in einem Badeanzug empfunden hätten.
Eyna holte Luft und tauchte langsam hinab. Das Wasser war unglaublich klar und voller Fische, die zutraulich nahe um sie herum schwammen. Tiefer unten war es viel kälter als an der Oberfläche. Sie spürte den zunehmenden Wasserdruck, ließ sich wieder zur Oberfläche gleiten und sah nach oben. Gleich schräg über ihr, nur eine Armlänge entfernt, hatte sich Josy lang ausgestreckt, fast unbeweglich rückenschwimmend, nur die ausgefächerten Haare im Zopf spielten mit den Wellen. Es sah sehr schön und ästhetisch aus.
Eyna tauchte ganz auf und ließ sich neben Josy treiben, mit ihrem Kopf neben Josys Kopf. Sie lagen eine Weile einfach nur flach auf dem Wasser und schauten in den wolkenlosen Himmel. Dort oben, weit jenseits des Bereichs, den Eynas kurzsichtige Augen ohne Brille noch halbwegs klar hätten sehen können, jagten Schwalben nach Fliegen.
Ein Geräusch störte plötzlich das Idyll: Josys Magen knurrte.
„Japp“, lachte Eyna, „Frühstückszeit!“
Sie schwamm langsam zum Ufer, spielerisch verschiedene Schwimmstile ausprobierend. Josy folgte, überholte Eyna zielstrebig kraulend und schwamm direkt auf ihre Bucht zu. Eyna war sich nicht sicher, ob sie die alleine auch so schnell gefunden hätte, weil sie vorhin nicht auf ihre Umgebung geachtet hatte, die sie sich nun vorsichtshalber einprägte. Josys atemberaubende Präsenz war schon einigermaßen ablenkend, fand sie und lächelte breit. Im nächsten Moment prustete sie eine Welle aus, die sie aus Versehen geschluckt hatte und schloss die Lippen wieder, denn im Wasser ging das mit dem Lächeln mit geöffnetem Mund weniger gut.
~
Sie setzten sich tropfnass an den Tisch und legten die Handtücher auf die verwitterten Holzbänke unter sich. Damit verhinderten sie zuverlässig, sich Splitter von der verwitterten Fläche einzuziehen. Außerdem war es so erheblich weicher zu sitzen.
Josy hatte feine Dinge in ihrem Korb: Mit Tomatenbutter gefüllte Brote, Honigmelone in Stücken, fertige Eier- und Gurken-Sandwiches und Käsemuffins. Es war reine Dekadenz – aber auch sehr lecker. Sie spülten mit Tee hinunter, der etwas lauwarm geworden war. Grüner Tee mit Zitrone und einem Hauch Ingwer. Als sie fertig gegessen hatten, waren ihre Körper und Haare trocken.
Josy zauberte aus einer Seitentasche des Korbs eine Flasche mit Sonnencreme hervor. Sie und Eyna verteilten den Schutz erst bei sich selber auf Armen, Schultern, Beinen und an alle Stellen, die sie selber erreichen konnten. Dann legte sich Josy bäuchlings auf die Matte und bat Eyna um den Gefallen, die unerreichbaren Rückenpartien einzukremen. Sie fragte es so, dass Eyna ohne schlechtes Gewissen hätte ablehnen können. Aber Eyna wollte Josy nun berühren. Körperkontakt war keine Barriere mehr für sie.
Als wären ihre Berührungsängste etwas, das nicht ihr, sondern anderen passierte, erforschen Eynas Hände mithilfe der Creme Josys Haut. Glitten langsam die Schultern entlang, die Wirbelsäule hinunter, über den Po und die Oberschenkel.
„Ich muss mich schon sehr beherrschen“, gestand Eyna, die sich nur mit Mühe selber davon abhielt, ihre Sonnenmilch-glitschigen Finger nicht auch noch über den Rest des liegenden Körpers vor ihr gleiten zu lassen.
Josy grinste sie über die Schulter an: „Zu früh?“
„Zu früh“, bestätigte Eyna. Sie wollte diese Sache mit Josy behutsam anfangen, nichts überstürzen. Sie war noch nicht bereit für mehr.
Sie hatte keine Erklärung dafür, außer, dass sie sich vielleicht mal wieder selbst im Weg stand. Sie war so sehr in Versuchung, aber sie wollte Josy nicht mit ihrem Begehren bedrängen. Dies hier sollte langsam wachsen. Sie wollte zuerst mit Josy über Vorlieben reden, ihre eigenen und was Josy mochte. Und vor allem, was sie beide nicht mochten. Das war wichtig.
Ein letztes Mal glitten ihre Hände fest über die Trapez- und Rautenmuskeln entlang bis hinunter zum Sägemuskel und strichen zuletzt sacht über die Rippenbogen. Josy quiekte leise auf und zuckte.
„Nicht so, da bin ich kitzlig“, bat sie.
„Gilt das immer?“, fragte Eyna neugierig nach und hielt inne. „Nur, nicht dort anfassen, oder nur, nicht kitzeln?“
„Absolut niemals kitzeln. Ich hasse es, gekitzelt zu werden, egal, wo am Körper“, bestätigte Josy. „Fester anfassen geht aber.“
Und Eyna dachte: Genau deswegen halte ich mich zurück, mein Lieb. Ich kenne dich noch nicht gut genug. Sie behielt es im Hinterkopf, Josy niemals zu kitzeln. Im Geiste legte sie eine No-Go-Liste an.
Josy setzte sich auf. „Nun bin ich dran. Willst du dich hinlegen?“
Eyna wischte ihre Hände an ihrem Handtuch ab und machte es sich bäuchlings auf der Matte bequem. Mit keinem Gedanken dachte sie an die Probleme, die sie sonst hatte, wenn es um Anfassen und Berührungen ging. Nun ja, mit einem einzigen widerspenstigen Gedanken schon. Aber Josy fasste sie zunächst gar nicht direkt an.
Eyna fühlte, wie Josy den kühlen Inhalt der Flasche in einem dünnen Strahl mit ausgestreckter Hand von oben auf ihren Rücken spritzen ließ. Auf Eynas Arm, der vor ihrem Gesicht lag, bildete sich Gänsehaut. Eyna konnte sich nicht entscheiden, ob sie diesen Anblick der sich aufstellenden Haare oder das sensationelle Gefühl der beinahe eiskalten Flüssigkeit auf ihrer Rückseite aufregender fand. Josy nahm ihr die Entscheidung ab, als sie nun begann, auf ihrer Rückenpartie zuerst mit den Fingern Figuren zu malen. Um danach mit warmen Handflächen über die weiche Haut zu gleiten und dann sanft und kühl darüber zu pusten. Das fühlte sich unglaublich gut an. Der widerspenstige Gedanke entspannte sich vertrauensvoll mit dem Rest ihres Körpers. Eyna brummte wohlig.
Sie öffnete die Augen und schaute in Josys Gesicht, die neben ihr auf der Seite lag, den Kopf aufgestützt und sie schmunzelnd betrachtete. Eyna ruckte hoch.
„Ich bin nicht wirklich eben eingeschlafen?“, fragte sie.
„Doch, bist du“, sagte Josy und grinste sie an.
„Du meine Güte, das tut mir leid“, sagte Eyna. „Aber eigentlich zeigt es, wie sehr ich dir vertraue, oder?“ Sie behielt den Blick auf Josy gerichtet, drehte sich auf den Rücken, die Arme unter dem Kopf verschränkend. Ihr gefiel der leicht abwesende Ausdruck, der daraufhin in Josys Gesicht erschien.
Josy zupfte einen längeren starken Getreidehalm aus und fing spielerisch an, damit über Eynas Arme zu fahren. Erregend langsam. Zuvor jedoch aufmerksam prüfend, ob das für Eyna in Ordnung wäre, was sie tat. Eynas Körper begann, sehr wach zu werden und zu reagieren.
„Mach ruhig weiter“, erlaubte Eyna vertrauensvoll. Als Josy sich mit dem Halm das Schlüsselbein entlang zum Brustbein vorarbeitete, wollte Eyna die Arme hinter dem Kopf hervornehmen. Josy schüttelte den Kopf. „Beweg dich nicht“, bat sie.
„Okay“, sagte Eyna, neugierig darauf, was Josy vorhatte. Ihre Atemfrequenz hatte sich dezent erhöht.
Nun ließ Josy den Halm immer tiefer an Eynas Bauch hinunter kratzen, umkehrend sanfte Achten um ihre Brüste fahren, zog ihn hinunter zum Bauchnabel und wieder hinauf. Sie umspielte den Bauchnabel und steuerte den Unterbauch an, in einer geraden Linie und bog gemeinerweise zur Leiste hin ab, bis zum Knie hinunter. Josy ließ den Halm quälend langsam am anderen Bein empor schweben, die Haut nur wenig berührend. Eyna erschauerte nicht nur, wie sie es unter dem Spiel des Halms auf ihrer Haut schon die ganze Zeit zunehmend getan hatte, ihr ganzer Körper begann zu beben.
„Das ist interessant“, kommentierte Josy erstaunt, Eynas gesammelte heftige Körperreaktionen beobachtend und nahm den Halm weg.
Eyna wimmerte unterdrückt. „Ja“, japste sie schließlich außer Atem, „das sollten wir irgendwann mal näher ergründen.“
Fasziniert betrachtete Josy weiterhin Eynas Körper. Mit den Fingern folgte sie an Eynas Bauch feinen weißen Linien, die sich wie Sprünge in einer Glasscheibe unter der Haut zogen. „Was ist das?“, wollte sie wissen.
Eyna nahm nun doch die Hände hinter dem Kopf hervor und stützte sich auf den Ellenbogen ab, um an sich hinabzusehen, wo Josy ihre langen Finger diese Linien erkunden ließ. „Das sind Dehnungsstreifen. Und das daneben sind OP-Narben.“
Josy hielt inne und sah sie fragend an. „Die Geschichten dahinter würden mich schon interessieren.“
„Die Landkarte meines Lebens“, sagte Eyna, aber eigentlich wollte sie gerade jetzt nicht über die Vergangenheit reden. Josy schwieg und legte sich entspannt auf die Matte, die Augen geschlossen. Aber es war ein verstehendes Schweigen, falls es so etwas gab, dachte Eyna. Josy gab ihr Raum. Wenn es irgendwann so weit war, würde Eyna ihr davon erzählen. Aber auch über Zukunft mochte Eyna derzeit nicht nachdenken. Das Hier und Jetzt war aufregend genug.
Sie schloss ebenfalls die Augen, lehnte sich zurück und genoss die Präsenz der Frau neben sich, den leichten Sommerwind und die Sonne auf ihrer Haut.
7. Regenfrau
Zur Mittagszeit war ihnen die Hitze trotz des nahen Wassers doch zu viel geworden. Außerdem musste Josy am nächsten Tag wieder in ihr Büro in der Landeshauptstadt und danach weiter zu dem Projekt, das sie derzeit als Gartenarchitektin betreute, irgendwo hinter Berlin, Eyna hatte sich den Namen nicht gemerkt.
Sie waren noch lange im Transporter beisammen gesessen. Josy hatte in den Schatten der Bäume geparkt, die den zu Eynas Wohnblock gehörenden Parkplatz umstanden.
„Zum ersten Mal möchte ich eigentlich gar nicht fahren“, bekannte Josy, „ich war sonst immer froh, wieder von hier weg zu können.“
Eyna war unbedacht genug, einzuwerfen: „Das liegt nicht zufällig an einer molligen Blonden, die du von früher kennst?“ Das passierte ihr anscheinend nur, wenn sie sich einer Person nahe fühlte, sie passte einfach nicht mehr auf, was sie von sich preisgab. Sie dachte an eine frühere Freundin, nun Ex-Freundin, der sie persönliche Dinge anvertraut hatte, fehl in der Annahme, sie wäre verschwiegen genug, diese Interna nicht bei nächster Gelegenheit in größerer Runde weiterzuerzählen. Doch Josy schien in vielerlei Hinsicht anders zu sein, als die Leute, die ihr bisher begegnet waren, warum nicht auch hierin?
Josy lachte nicht. „Warum habe ich dich eigentlich damals übersehen?“
Eyna entgegnete gespielt trocken, obwohl sie innerlich bei diesen Worten dahinschmolz: „Weil ich damals noch ein hässliches Entlein war und erst jetzt ein hässlicher Schwan geworden bin …?“
„Das kannst du nicht ernst meinen“, widersprach Josy.
„Tut mir leid, das ist wie ein Reflex, wenn mir so etwas liebes unerwartet gesagt wird. Um ehrlich zu sein, höre ich das auch nicht sehr oft. Das bringt mich ziemlich aus der Fassung.“ Eyna schaute Josy bei diesen Worten nicht an. „So wie du“, hauchte sie noch fast tonlos hinterher.
Josys Finger glitten zärtlich über Eynas Handrücken „Dann möchte ich dich ab jetzt jeden Tag fassungslos machen. Willst du?“, fragte sie.
„Ja, ich will“, sagte Eyna, „sie dürfen die Braut nun küssen“. Hatte sie das eben laut gesagt? In Eyna stritten Scham über die alberne Bemerkung und die Emotionen, die Josys Worte in ihr ausgelöst hatten.
„Das würde ich tatsächlich gerne, schon seit einer ganzen Weile“, sagte Josy und es klang fast wie eine Bitte um Erlaubnis.
„Was …?“, brachte Eyna heraus und kam sich weder geistreich noch schlagfertig dabei vor.
„Küssen?“, erinnerte sie Josy.
Eyna schluckte. „Das halte ich auch für eine sehr gute Idee.“
Josy grinste sie an und dann lächelte sie nicht mehr, als sich ihrer beider Lippen ernsthaft zu ihrem ersten Kuss trafen. Er war zart und sanft, beantwortete Fragen, beinhaltete zukünftige Versprechen und einen heutigen bittersüßen Abschied.
„Oh. Das war gut!“, sagte Eyna.
„Ist es das nicht immer?“, fragte Josy lächelnd.
Eyna schüttelte den Kopf. „Ich … hatte manchmal spontanen Sex mit Leuten. Die habe ich nicht geküsst“, erklärte sie. „Es gibt Momente, da ignoriere ich meine Haptophobie, dann geht das mit Sex, wenn es sich einvernehmlich ergibt. Aber küssen geht da nicht immer. Und wenn, ist es nicht immer schön, oder gar etwas Besonderes.“
Sie redeten noch eine ganze Weile über Küssen und Mögen, über Kusstechniken und Beziehungsformen. Aber die Zeit verrann unerbittlich. Josy musste nun wirklich los. Eyna stieg aus und fühlte bereits eine aufkommende Josy-Vermissung, als sie den Gärtnereiwagen davonfahren sah. Aufgewühlt vor lauter Emotionen ging Eyna zum Eingang ihres Wohnblocks.
Ein plötzlicher Wind fegte durch die Baumkronen über ihr. Seltsam, dachte Eyna irritiert, laut Wetterbericht sollte es heute windstill bleiben.
~
Die folgenden Tage wurden schlimm für Eyna. Zwar konnte sie abends mit Josy skypen und zwischendurch tauschten sie immer wieder Text- und Sprachnachrichten, aber es war nicht dasselbe wie eine tatsächliche physische Präsenz. Um sich abzulenken, schrieb Eyna an ihrem Roman weiter. Es stellte sich heraus, dass die Story eine Fantasy-Geschichte werden wollte. Eyna saß Stunde um Stunde an ihrem Schreibprogramm.
Nur selten fasste sie zwischendurch den Skizzenblock an. Es erschien ohnehin jedes Mal Josys Gesicht darauf, oder Rosenblüten oder Skizzen vom See. Ohne Josy war das Leben anscheinend möglich, kam ihr aber jetzt ziemlich sinnbefreit vor. Eyna verstand sich selbst nicht. Eine solche Unruhe, in dieser Intensität, hatte sie bei all ihren früheren und jetzigen Bekanntschaften nie gespürt.
Nachts war es noch bizarrer. Sie, die mit ihrer Haptophobie meist nicht mal die Hände anderer Menschen zur Begrüßung anfassen konnte, oder zu nahe neben Personen stehen mochte, wenn sie deren Körpergeruch wahrnehmen musste, sehnte sich nach Josys Berührungen. Eyna vermisste ihren leisen Geruch von Sandelholz und Limette und fragte sich, wie Josys Haut schmecken würde. Sie trank doch sonst noch nicht mal aus Gefäßen anderer Menschen, geschweige denn würde sie derzeit andere mit den Lippen oder gar mit der Zunge berühren wollen.
Statt zu schlafen, saß sie oft nachts auf dem Balkönchen; vor ein paar Tagen hatte sie mit Josy hier gesessen, hatte sich eine dünne elastische Kordel um die Finger gewunden, eine Art Mini-Bondage, um einen Fixpunkt zu erzeugen und daran herumzuspielen. Als ließen sich die Finger davon abhalten, sich daran zu erinnern, wie sie am See über den Rücken von Josy gestreichelt hatten. Seit Tagen schon blies der Wind, entgegen der Wettermeldung, böig aus östlichen Richtungen. Berlin lag im Osten und hinter Berlin war Josy gerade. Eyna stellte sich unsinnigerweise vor, dass einige der Moleküle im Luftstrom einen Hauch von Sandelholz mit Limette enthielten.
An Tag vier ohne Josy, beziehungsweise in der vierten Nacht, saß Eyna regungslos in der Dunkelheit unter einem klaren Halbmond, in eine Kuscheldecke gewickelt auf ihrem Balkon und grübelte. Aus dem Zimmer hinter ihr klang sehr leise Sitarmusik in einer Dauerschleife. Eine gedimmte Lampe über ihrem Schlafsofa spendete spärlich dämmeriges Licht, das kaum heller als das Licht der Sterne über ihr war. Lautlos flog eine Eule heran und setzte sich auf der anderen Seite des Balkons auf die Stange der oberen Abgrenzung. Fast schien es, als wolle sie erschrocken gleich wieder abheben, weil sie anscheinend aus Versehen Eyna übersehen hatte. Aber Eyna rührte sich nicht und die Eule blieb sitzen und schien sie aufmerksam zu mustern.
„Regenfrau?“, hörte sie eine Stimme. Die Eule sah ihr direkt in die Augen.
Eyna kicherte. Die Eule erschrak vor dem Geräusch und strich ab. Jetzt höre ich schon Stimmen, dachte Eyna kopfschüttelnd, ich sollte wirklich mal schlafen. Sie stand auf, schloss die Balkontür ganz, weil der Wind nun stärker blies und ging zu Bett. Sie schlief sofort ein und konnte sich an die wirren Träume am nächsten Morgen kaum noch erinnern.
~
Mit einem Kaffee vom Kaliber „Hufeisen“ – so stark, dass metaphorisch nicht einmal ein Hufeisen darin versinken würde – begann Eyna ihren nächsten Schreib-Alltag. Sie war unkonzentriert. Immer wieder entglitten einzelne ungezogene Gedanken zu Josy. Mittlerweile reagierte ihre Haut hypersensorisch auf alle möglichen haptischen Reize, ihre Brüste spannten und sie entdeckte, dass sie bei der momentanen starken Durchblutung ihrer Genitalien an jenen Stellen einen Puls fühlen konnte. Und Feuchtigkeit.
Die Balkontür stand weit offen. Draußen perlte ein leichter Landregen hernieder. War denn für heute Regen in ihrer Region angesagt worden? Verwirrt schaute Eyna auf ihre Wetter-App. Der Regen hatte etwas Verlockendes, Einladendes, als würde sie aufgefordert, ihre Körperfeuchte mit der Feuchte des Niederschlags zu vereinen. Nackt im Regen über die Wiesen zu laufen. Sich ins regennasse Gras zu legen, mit Josy, nur den Feuchtigkeitsfilm auf der Haut zwischen ihnen. Verdammte Sehnsucht, dachte Eyna und versuchte ein ums andere Mal ihre Fantasien aus dem Kopf zu schütteln. Draußen regnete es stärker.
Wie lange die Elster dort auf dem Balkongeländer gesessen hatte, konnte Eyna nicht sagen. Der Vogel sah hungrig aus. Vorsichtig krümelte sie etwas Müsli in eine Schale und schob sie vorsichtig in Richtung Balkontür. Die Elster blickte sie schief an, schien aber nicht ängstlich zu sein, flog hinunter zur Schale und pickte sie leer. Danach hüpfte die Elster zurück in einen sicheren Abstand auf den Balkon, blieb aber in dem Bereich, der vor Regen geschützt war. Sie hatte sich dafür einen der Klappstühle ausgesucht, von dessen Lehne sie Eyna im Auge behielt, sich aber ansonsten still verhielt.
Eyna setze sich wieder an den PC, den Vogel nicht weiter beachtend. Das Federvieh hatte sie nicht bei der Arbeit gestört, trotz der kurzen Unterbrechung mit der Fütterung. Tiere bedeuteten nie eine Störung, anders als Eyna es bei vielen Menschen empfand. Josy zum Beispiel störte nie. Eyna grinste. Schon wieder dachte sie an Josy. Die Gedanken an diese wunderbare Frau waren zu einem Dauerrauschen in Eynas Kopf geworden. So wie das Geräusch eines Meeres, dass hinter den Dünen Wellen an den Strand wirft, irgendwie immer da ist, aber nicht dominiert. Oder wenn ein steter Landregen, wie jetzt, an die Fensterscheiben tropft und daran hinunterläuft, feuchte Schlieren hinterlassend. Eyna rief sich zur Ordnung. So wird das nichts mit arbeiten. Sie verbannte jedwede Gedanken an Feuchtigkeit, Wasser und Sehnsucht nach Josy aus dem Kopf.
Eyna wollte sich gerade wieder ihrem Projekt widmen, da hörte sie schon wieder eine Stimme. Eine andere Stimme diesmal, dieselbe Frage: „Regenfrau?“
Niemand außer dem Vogel war hier und der blickte sie nur schräg an und plusterte sein Gefieder auf. Das Radio war aus und der PC-Lautsprecher war stumm geschaltet. Eyna schüttelte den Kopf. So fängt das also an, dachte sie. Verwirrtheit durch Dehydration. Sie grinste schief, als sie sich erinnerte, wo sich derzeit ein Großteil ihrer Körpersäfte befand und beschloss, das innere Defizit mit einer Orangensaftschorle auszugleichen. Und anschließend kalt zu duschen.
Der Regen prasselte nun heftiger. Auf dem Weg zum Kühlschrank wünschte sich Eyna, dass der Regen wieder etwas nachließe. Sonst würde sie noch die Balkontür schließen müssen, und das wollte sie eigentlich nicht. Sie trank das große Glas auf einmal leer, ohne innezuhalten. Das hatte gut getan und war wohl dringend dran gewesen. Bevor sie ins Bad trat, schaute sie noch einmal in den Regen hinaus, der nur noch sanft vor sich hin sprühte. Geht doch, dachte sie ironisch und ging duschen.
Die Elster war verschwunden.
8. Flucht
Donnerstag, Markttag. Eyna sattelte ihren Drahtesel – sprich: Sie hängte Satteltaschen an ihr Fahrrad – und fuhr zum Markt auf dem Domplatz. Sie brauchte neuen alten Käse und frisches Gemüse. Sie kürzte den Weg über den Parkplatz vor dem Wohnblock ab. Nur die Hälfte der Parkbuchten war belegt, die Leute aus dem Block waren entweder arbeiten oder im Urlaub. Ganz am Ende stand ein mattschwarzer Kleinbus unter den Bäumen. Es war eigentlich nichts besonders an dem Fahrzeug, außer vielleicht, dass alle Fenster mit Folie verdunkelt waren, was ihr seltsam vorkam, ebenso die zusätzliche überlange Antenne. Auf einem Ast über dem Bus saß eine Elster und keckerte. Es klang sehr ungehalten. Plötzlich fühlte Eyna so etwas wie Bedrohung. Lag der Ursprung des Gefühls bei dem Vogel oder kam er von dem Bus? Eynas Haare stellten sich auf und eine Art Gänsehaut fuhr ihr von der Kopfhaut den Nacken entlang. Ihr war plötzlich sehr unbehaglich.
Sie kam um die Mittagszeit zurück. Sämtliche Amseln der Umgebung begannen auf einmal zu singen, als sie um die letzte Hausecke bog. Um diese Tageszeit? Die Elster schimpfte immer noch, oder schon wieder. Eine Wolke verdunkelte den Himmel über Eyna. Sie fühlte sich beobachtet. Verstohlen schaute sie sich um, sah aber niemanden. Sie brachte ihr Rad in den Keller und die Einkäufe nach oben in die Küche. Ein Stück des alten Käses knabberte sie als Vorspeise. Als sie eine große Portion Falafel mit Salat und Zaziki zubereitete und einen Teil davon aß, hatte sie die Situation von vorhin fast schon wieder vergessen. Wäre da nicht diese Elster gewesen, die nun auf ihrem Balkon saß und ab und zu ein Keckern von sich gab, während sie Eyna zu beobachten schien.
Eyna wunderte sich, dass es inzwischen sehr dunkel geworden war, sodass sie tatsächlich erwog, die Lampe über der Küchenzeile anzuknipsen. Dabei war erst früher Nachmittag. Eyna spülte nach dem Essen Pfanne und Geschirr und tat den Rest der Mahlzeit in den Kühlschrank. Dann wollte sie weiter an ihrer Geschichte schreiben und schaltete nun doch das Licht an.
Aber anstatt sich zu setzen, starrte sie eine ganze Weile auf ihren Arbeitsplatz, bis ihr auffiel, was sie zuvor in der schattigen Wohnung nicht gesehen hatte: Die Maus, die sie am Laptop benutzte, lag nicht dort, wo sie liegen sollte. Sie lag auf der Mitte des Mousepads, nicht am oberen Rand. In Eyna keimte Misstrauen.
Eyna hatte einige Angewohnheiten, die sie selbst ganz normal fand, die bei anderen jedoch regelmäßig mindestens Stirnrunzeln auslösten. So durfte das rote Geschirr nur montags, mittwochs und freitags benutzt werden. Die Teekanne musste immer links auf der Anrichte stehen und der einzige Stuhl in ihrem Raum musste einen bestimmten Winkel und Abstand zum Tisch haben. Alle Dinge in ihrer Wohnung hatten einen festen Platz und wenn diese aus Versehen woanders abgelegt wurden, dann fand Eyna sie nicht so schnell wieder, auch wenn sie meist direkt vor ihrer Nase lagen. Und nun stand dieser Stuhl zu nah am Tisch und die Maus lag zu weit unten.
In der Ferne grummelte es. Es kam ein neues Gewitter auf.
Eyna schüttelte den Kopf. Wer sollte in ihrer Wohnung gewesen sein und warum? Sie setzte sich. Und stand gleich noch einmal auf, um ihre Wohnungstür rund um das Schloss zu begutachten. Nee, sah alles gut aus. Sie konnte keine Einbruchsspuren feststellen. Vielleicht hatte sie sich doch geirrt.
Bis zum Abend hatte sie ihr neues Kapitel fertig. Sie aß ihren Restsalat auf dem Balkon und wunderte sich, dass nun unten Bodennebel aufzog, obwohl sich das kleine Gewitterchen immer noch in der Nähe herumtrieb. Das war sehr merkwürdig. Nebel nach einem Gewitter kannte sie, aber davor und währenddessen, das war zumindest ungewöhnlich.
Danach traf sie sich noch für einige Minuten mit Josy im Video-Chat. Josy hatte nur kurz Zeit, weil sie noch zu einem Arbeitsessen mit Kunden musste. Eyna war wegen des Zeitmangels unkonzentriert. Sie erzählte Josy hastig von dem schwarzen Bus und ihren Vermutungen über heimliche Besucher in ihrer Wohnung. Aber Josy wusste auch keinen Rat und wenn sie beunruhigt schien, so konnte sie es gut verbergen. Allzu bald war das Gespräch vorüber und Eynas Emotionen waren ambivalent. Ihr Unterbewusstsein beschäftigte sich immer noch mit den Ungereimtheiten, zugleich vermisste sie Josy, dass es beinahe körperlich weh tat, was sich wie ein Ziehen hinter dem Brustbein anfühlte. Die Hände konnte Eyna wegen des nahen Gewitters vor Gelenkschmerzen ohnehin kaum mehr bewegen und dann war da schon wieder dieser Eulen-Vogel am Balkon.
Aus den Wolken wetterleuchtete es. Eyna sah fasziniert in die Erscheinungen und stellte sich vor, dass es in ihrem Kopf gerade ganz genauso zuging. Der Nebel wallte nun bis hoch in den vierten Stock unter ihr und dämpfte die Geräusche der Stadt.
Sie schlief sehr schlecht in dieser Nacht und wachte mit Kopfschmerzen auf. Gewitter und Nebel waren verschwunden, dafür war es geradezu unheimlich schwül geworden. Eyna bekam nur einen schwarzen Tee hinunter, den sie mit Honig genießbar gemacht hatte. Sie trank ihn auf dem Balkon und blickte hinunter zu den Parkplätzen. Der schwarze Transporter stand immer noch dort. In den Bäumen schrien Krähen.
Sie beschloss, sich den Tag freizunehmen und im Stadtwald spazieren zu gehen. Sie würde morgen an ihrem Roman weiter schreiben. Die Fragmente des bisher geschriebenen hatte sie längst auf den Webspace ihrer Homepage hochgeladen.
Sie musste ohnehin noch bei der Post ein paar Zeichnungen aufgeben, die sie verkauft hatte und außerdem wollte sie bei ihrer Bank noch Bargeld für diesen Monat abheben. Das mit der Logistik lernt sich schnell, wenn eins dafür die fünf Stockwerke dreimal laufen muss, weil etwas vergessen wurde, dachte sie, und ohnehin hasste sie es ineffektiv zu sein. Sie überlegte, ob sie sonst noch etwas erledigen musste, wenn sie schon einmal unterwegs war, aber ihr Kopf war noch immer irgendwie dumpf und nicht zu großartigen Denkleistungen zu bewegen.
~
Der Wald war die richtige Entscheidung gewesen. Es war kühl dort und grün und es war kaum jemand unterwegs, außer ein paar Joggern, und Menschen, die von ihren Hunden durch die Waldwege gezogen wurden. Der breite Pfad gabelte sich. Eyna überlegte, ob sie dem schmalen linken folgen sollte, der unbefestigt zu den Fischteichen und tiefer in den Wald hinein ging, oder dem anderen, der mit asphaltierter Fahrradspur geradeaus ein Stück am Waldrand entlang führte. Eigentlich war ihr dieser Weg heute zu laut, denn parallel zum Waldrand verlief zudem eine Straße, wenngleich diese nicht sehr befahren war. Unschlüssig schaute Eyna den Radweg entlang, den zur rechten Seite nur ein paar Bäume von der Straße dahinter trennten. Zwischen den Bäumen hindurch sah sie die Stadtbahn vorbeifahren und am Waldsaum einige parkende Autos.
Einer der Wagen dort war ein mattschwarzer Bus. Eynas Nackenhaare stellten sich auf. Das konnte kein Zufall sein. Oder doch?
Flügelschlagen und Rabengekrächz in den Bäumen über dem Radweg lenkten Eynas Aufmerksamkeit ab. Ein großer Kolkrabe setzte sich auf einen der Äste, die weiter oben in den Weg zum Waldrand ragten und hielt dabei die Flügel aufgespannt. Es sah wie eine abwehrende Geste aus. Eyna ging einen Schritt näher in seine Richtung.
„Norrr“, schnarrte der Vogel und raschelte mit den Flügeln.
Das leise angehängte „Regenfrau“ ignorierte Eyna tunlichst. Der schwarze Bus und ein Rabe, der sich seltsam verhielt, waren aufregend genug. Für das Mysterium einer Stimme in ihrem Kopf hatte sie gerade so gar keinen Platz in ihrem Denken. Darüber würde sie sich später Gedanken machen.
Eyna nickte dem Vogel zu und ging nach links in den anderen Weg, tiefer in den Wald. Je weiter weg von diesem bedrohlich wirkenden Bus, desto besser. Der Rabe ließ ein „rok rok rok“ hören und es klang in ihren Ohren irgendwie erleichtert.
Eyna kannte sich gut aus in diesem Wald. Sie nahm sogar ein paar kaum erkennbare Tierpfade als Abkürzung, falls sie verfolgt würde. Wobei sie sich nicht besonders schlau vorkam, denn „die“ in dem schwarzen Bus wussten ja ohnehin, wo sie wohnte. Am Ende beeilte sie sich, heimzukommen, denn der Himmel verdunkelte sich zusehends.
~
Gerade noch rechtzeitig, bevor erste dicke Tropfen fielen, trat Eyna ins Haus.
An ihrem Briefkasten am Eingang klebte eine Nachricht von der alten Frau Lehmann aus dem Erdgeschoss, dass sie ein Paket für Eyna angenommen hätte. Eyna klingelte und Liese Lehmann öffnete sofort, als hätte sie schon hinter der Tür gewartet. Vermutlich hat sie das sogar, dachte Eyna erheitert. Liese Lehmann saß den lieben langen Tag am Fenster und beobachtete jeden, der ins Haus ging oder es verließ.
„Hat ihr Cousin sie angetroffen?“, wollte sie von Eyna wissen. „Der wollte sonst nachher nochmal so um viertel Vier vorbei kommen. Gerade eben war der nochmal da. Und vor einer halben Stunde wurde auch ein Paket für Sie geliefert. So ein netter junger Mann. Aber nicht gut zu Fuß. Der liefert wohl noch nicht lang Pakete aus, ich kenn‘ den noch gar nich. Als er hörte, dass Sie im 5. Stock wohnen, sah der richtig entsetzt aus. Ich hatte Mitleid mit dem und hab das Paket für Sie aufbewahrt.“
Was auch immer viertel Vier bedeutete und wer dieser Cousin sein mochte. Eyna hatte keine Verwandten, von denen sie wusste. Eyna bedankte sich und schaute auf das Paket. Sie hatte nirgendwo etwas bestellt. Kein Absender, merkwürdig.
„Ich habe noch Falafel, möchten Sie eine Portion?“, fragte sie und Liese Lehmann nickte begeistert, denn sie kannte Eynas Falafel.
Eyna hatte das Bedürfnis, sich mit einer Kleinigkeit zu revanchieren. Nicht jeder hier im Haus war so nett, Post anzunehmen. Zudem mochte sie die Lehmannsche. Sie tranken des Öfteren zusammen Kaffee. Aber das hatten sie seit einer Weile schon nicht mehr gemacht, fiel ihr auf. Eyna nahm sich vor, am nächsten Tag Kuchen zu backen und mal wieder mit ihrer Nachbarin zu plaudern. Doch jetzt musste sie erst einmal das Paket nach oben und Falafel nach unten schaffen.
Eyna bekam den Lehmannschen Wohnungsschlüssel in die Hand gedrückt, damit sie gleich nicht noch einmal klingeln musste. Sie sprang in ihre Wohnung hinauf. Im vierten Stock hatten die Meyers wieder einmal alle möglichen Schuhe unordentlich vor die Tür gestellt, dazu den sperrigen Kinderwagen und mehrere Kisten. Die reinste Stolperfalle, ärgerte sich Eyna. Es war eigentlich Mittagszeit, jedoch war es im Treppenhaus durch das Unwetter so düster geworden, dass Eyna tatsächlich beinahe in die Gegenstände gelaufen wäre.
In ihrer Wohnung angekommen, stellte sie das Paket erst einmal auf dem kleinen Flurtisch ab. Ein merkwürdiger Geruch war da in ihrer Wohnung. Sie kannte den Geruch, konnte ihn aber momentan nicht zuordnen. Dem würde sie später nachgehen. Ohne die Jacke abzustreifen, ging sie in die Küche. Zuerst musste sie die Falafel abliefern, dann würde sie nachforschen und sich danach das Paket anschauen.
Eyna sortierte eine Handvoll Falafel in eine längliche Box, tat ein wenig Zaziki auf die andere Seite und pappte einen Deckel darauf. Die Tür zur Wohnung ließ sie offen stehen. Was soll schon groß passieren in der kurzen Zeit, dachte sie, stieg eilig die Stufen hinunter und wollte ein Stockwerk tiefer den Lichtschalter im dunklen Treppenhaus vor der Wohnung der Meyers drücken. In diesem Moment erinnerte sich ihr Gehirn an den Geruch und meinte trocken: Das war Gas! – gab diese Information aber nicht an ihre Finger weiter, die nun schon den Knopf drückten.
Es passierte einen Sekundenbruchteil später. War es der zündende Funke der Elektrik gewesen, ein Zeitschalter im Paket oder eine Fernzündung? Das Resultat war das Gleiche: Funke und ausströmendes Gas vereinten sich in ihrer Wohnung in einer Explosion. Der Luftdruck aus der offenen Wohnungstür im Stockwerk über ihr rammte Eyna an die nächste Wand. Dann wurde es dunkel.
Sie fand sich auf dem Boden wieder. Ihr fehlte jegliche Erinnerung daran, wie sie gestürzt war. Ihr Kopf dröhnte. Sie rückte die Brille zurecht, wunderte sich nicht einmal, dass die noch auf ihrer Nase saß. Die Luft schmeckte nach Gesteinsstaub. Mühsam rappelte sich Eyna in eine sitzende Haltung. Eine Hand streifte die Schüssel mit den Falafeln. Abwesend nahm Eyna sie an sich, stand ächzend auf und wankte die Stufen hinunter. Ihr Gehirn war gerade nicht aufnahmefähig für logische Gedanken, nur so war es zu erklären, dass Eyna keinen Gedanken an eine Explosion oder ihre Wohnung gelang. Das letzte abgespeicherte Vorhaben wurde vorrangig abgespult. Sie hatte Liese Falafel versprochen, Liese würde Falafel bekommen.
Gut, dass Eyna Lieses Schlüssel hatte, denn irgendwie funktionierte der Klingelknopf nicht. Natürlich nicht, der Strom war vermutlich im gesamten Haus ausgefallen. Sie klopfe trotzdem kurz, um zu signalisieren, dass sie vor der Tür stand und schloss auf. Staub wallte durch das Treppenhaus hinunter und Eyna schob die Tür mit dem Fuß zu. Drinnen fand sie eine weinende Liese auf dem Flurteppich, die sichtlich geschockt etwas von Krieg und Erdbeben murmelte.
Eynas Gehirn bildete endlich einen Krisenstab, der in einer Art mehrspuriger Autobahn etliche Gedankenströme parallel laufen ließ. Was war am wichtigsten? Liese zu versorgen. Eyna half ihr auf und brachte sie ins Wohnzimmer, wo sie die Nachbarin mit einem Beruhigungstee versorgte. Wenn hier gleich Feuerwehr und Polizei auffuhren, wollte sie die alte Frau wenigstens nicht an Aufregung sterben lassen. Liese nahm ihr die Kanne ab, kippte sich nach und wollte Eyna auch nachschenken.
Eyna lehnte dankend ab und stellte ihre leere Tasse in die Spüle. Sie brauchte eine lleere Blase und einen klaren Kopf, auch wenn der noch immer ziemlich weh tat.
Was war eben eigentlich genau passiert? Eyna versuchte, zu analysieren. Es hatte eine Gas-Explosion gegeben. Das Paket könnte auch etwas damit zu tun haben. Oder die Leute im schwarzen Auto. Ob die auch mit dem Paket in Verbindung gebracht werden könnten? Wenn nur diese fiesen Kopfschmerzen nicht wären. Eyna schreckte auf, als sie Stimmen im Treppenhaus hörte. Durch den Türspion sah sie drei oder vier vermummte Gestalten. Die waren anscheinend im Begriff, die Stufen empor zu laufen, hielten jedoch inne, als in der Ferne schnell näher kommende Einsatz-Sirenen ertönten.
„Verdammt, zu spät!“ fluchte eine der Personen.
„Das kann sie nicht überlebt haben“, sagte die zweite Person.
Die dritte meinte: „Mist, wir sollten doch nachsehen …“
Den Rest verstand Eyna nicht mehr, weil die drei, es waren tatsächlich drei Gestalten, nun zur Tür hinausrannten und verschwanden. Ihr wurde kalt. Die hatten tatsächlich sie gemeint. Die hatten sie eiskalt abgemurkst. Nein, verbesserte sie sich, sie haben es versucht, aber ich lebe ja noch. Dann grinste sie und dachte: Okay, dann bin ich offiziell erst einmal tot. Mal sehen, ob sich als Tote rausfinden lässt, warum die hinter mir her sind. Hinter mir her waren, verbesserte sie sich erneut.
Hier konnte sie auf Dauer nicht bleiben, überlegte sie. Aber in ihre Wohnung konnte sie auch nicht zurück. Wie viel davon wohl noch übrig war? Eyna vermutete, dass nach der Explosion das Haus evakuiert werden würde. Spätestens morgen würde in den Nachrichten zu erfahren sein, dass die Feuerwehr keine Leiche gefunden hatte. Bis dahin musste sie ein sicheres und später ein dauerhaftes Versteck gefunden haben. Sie überflog die Dinge, die sie bei sich hatte: Geldbörse mit reichlich Bargeld, Smartphone und die üblichen Sachen, die sie immer bei sich trug, wenn sie außer Haus ging. Wie gut, dass sie vorhin ihre Jacke anbehalten hatte. Leise verließ sie die Wohnung, um sich vorerst im Keller zu verstecken und dort Pläne zu schmieden.
~
Sie blieb dort bis Einbruch der Nacht und kam erst wieder heraus, als es im Haus still geworden war, Feuerwehr und Polizei waren abgezogen. Alle Bewohner hatten das Haus verlassen müssen, wie Eyna richtig vermutet hatte. Viel Zeit blieb ihr nicht. Eyna schlich zurück zu Liese Lehmanns Wohnung, zum Glück hatte sie den Schlüssel dazu behalten. Der erste Gang führte sie zur Toilette, der zweite zum Arzneimittelschrank, aus dem sie sich Kopfschmerzmittel holte. Der pochende Schmerz erschwerte das Denken und Planen.
Wenn sie sich als eine alte Frau verkleidete, konnte sie sicher unerkannt aus dem Haus gelangen, hatte Eyna überlegt. Kurz hatte sie mit Mantel, Hut und Krückstock – Dinge, die sie in Lieses Schrank gefunden hatte – geübt, alt auszusehen. Der stechende Druck auf ihrem Gehirn wurde allmählich dumpfer. Eyna fiel ein, dass sie ja auch eine Menge zu essen brauchte, wenn sie längere Zeit unter dem Radar bleiben würde. Schließlich würde auch der Fluchtweg lang werden, sie wollte zu den Gewächshäusern der Johanssons und sich dort verstecken.
Eyna hatte zunächst überlegt, ihr Fahrrad stehenzulassen, damit niemand auf die Idee käme, sie wäre während der Explosion nicht zuhause gewesen. Aber wenn morgen ohnehin bekannt würde, dass sie überlebt haben konnte, dann war das jetzt auch egal. Zu Fuß und mit Gepäck würde sie trotz der Verkleidung nicht weit kommen.
Sie würde also doch das Rad nehmen. In den Satteltaschen konnte sie mindestens zwei Tüten voll Nahrung verstauen. Den Krückstock nahm sie trotzdem mit und verstaute ihn zusammengeklappt bei den Taschen.
Eyna riskierte es, ein passendes Ladekabel für ihr Handy einzustecken. Dann fiel ihr ein, was sie in Spionagefilmen gesehen hatte: Sie vermutete, dass ihr eigenes Handy überwacht werden könnte. Sie schaltete die Ortung ab und dann zur Sicherheit das Smartphone ganz aus. Und, um ganz und gar sicher zu gehen, nahm Eyna auch den Akku heraus.
Dafür steckte sie eins von Oma Lieses ungenutzten Telefonen ein. Diese hatte inzwischen drei ‚Seniorenhandys‘ von ihren Enkeln bekommen. Eyna wusste, dass sie aufgeladen in der Schublade im Flur verstaut waren, weil sie Liese bei der Einrichtung und Handhabung der Technik geholfen hatte. Eyna überschlug im Geiste den Wert dessen, was sie sich von Oma Liese ausgeliehen hatte, damit sie es ihr später alles zusammen mit dem Handy zurückgeben konnte.
~
Der Wohnblock hatte einen Kellerhinterausgang, aus dem weit nach Mitternacht ein hutzeliges Weib mit Mantel und Hut leise ein voll bepacktes Fahrrad schob.
Es war unter den Bäumen stockfinster. Eyna achtete darauf, mit ihrem Fahrrad immer in den tiefen Schatten zu bleiben. Um diese Zeit waren die meisten Straßenlaternen abgeschaltet und sie konnte unbemerkt, wie sie hoffte, die Siedlung verlassen. Der Geruch nach feuchtem Staub verfolgte sie noch eine ganze Weile.
Kurz, bevor sie den Wohnblock verließ, hatte sie Josy noch eine kryptische Nachricht zukommen lassen, von Lieses Handy gesendet. „Muss dringend untertauchen. Finde mich dort, wo der Hagel schlug. Zu keinem ein Wort. Lebensgefahr! Deine mollige B.“ Eyna hoffte einfach, dass Josy die Anspielungen auf die damals vom Hagel zerstörten Gewächshäuser verstehen würde und zur Gärtnerei kommen würde, ebenso wie ihre Unterschrift als mollige Blondine.
Als Antwort war Minuten später eine Bestätigung eingetroffen, von der Eyna hoffen konnte, dass sie tatsächlich von Josy war: „Habe verstanden. Komme zum Grillen. J.“
Eyna atmete auf. Josy würde sie morgen also finden. Sie hatten Ort und Zeit vereinbart. Niemand sonst würde es wissen können, wo und wann sie sich trafen, falls diese Nachricht abgehört worden war. Ein Restrisiko blieb.
~
Kurz vor der Morgendämmerung traf sie bei den Gewächshäusern der Johanssons ein. Das Rad versteckte sie tief in den Büschen, die wild um den hinteren Teil des weitläufigen Geländes wucherten. Dies war vermutlich der älteste Teil der Anlage und einige der Schuppen waren aus Holz gebaut und halb verfallen. Hier kam sicher niemand vorbei, hoffte sie.
Als sie einige Möglichkeiten erkundet hatte, entschied sie sich für die Hütte am äußersten Rand. Diese hatte einen halben Dachboden, der innen mit einer Leiter erreichbar war und nach allen Seiten Fenster hatte. Ein idealer Ausguck. Sie holte ihre Taschen aus dem Zwischenversteck, brachte sie einzeln hinauf und nahm auch einen Eimer mit, den sie halb mit Torf gefüllt hatte. Schließlich gab es kein Klo hier oben und bis Josy kam, konnte es noch Stunden dauern.
Eyna zog leise die Leiter hinter sich mit auf den Zwischenboden, breitete den Mantel auf einem Haufen Jutesäcken aus und setze sich darauf. Sie nahm noch einmal Schmerzmittel gegen den Kopfschmerz, der nun wieder stärker pochte und spülte mit Wasser aus Oma Lieses Vorrat hinunter. Eyna biss ein paar mal vom Butterbrot ab, das sie gerne mit dem alten Käse belegt hätte, den sie am Donnerstag gekauft hatte. Der letzte Gedanke war zu viel. Der Käse war weg. Ihre Wohnung war weg. Ihr ganzes Leben war weg. Eyna war der Appetit vergangen. Sie verstaute das angebissene Restbrot, rollte sich auf dem Mantel zusammen und begann zu weinen, bis sie erschöpft einschlief. Ein Keckern weckte sie auf. Es war früher Nachmittag und eine Elster saß im Fenster. Draußen regnete es.
9. Laborratte
Eyna grübelte vor sich hin. Sie verstand nicht, warum die hinter ihr her waren. Und wer waren „die“ überhaupt? Wollten die sie tatsächlich umbringen, oder war das mit der Gas-Explosion etwa nur ein Unfall gewesen? Sie hatte sich das belauschte Gespräch mit den drei Gestalten im Treppenhaus wieder und wieder durch den Kopf gehen lassen. Es konnte auch so interpretiert werden, dass sie nur nach ihr sehen wollten – wenn es denn ein Unfall gewesen wäre. Sie wusste einfach zu wenig über die Motive und Hintergründe und verschob die Frage in ihren Hinterkopf.
Und dann war da diese Sache mit den Vögeln. Das war schon ziemlich bizarr, wie die sich verhielten. Eyna hatte erneut ihre Stulle hervorgeholt und biss ab. Die Elster machte einen seltsamen Laut. Ohne darüber nachzudenken, dass sie verstanden hatte, was der Vogel wollte, warf Eyna der Elster ein kleines Stück ihres Brotes zu. Die Elster pickte das Bröckchen aus der Luft.
Okay, dachte sie, mit Vögeln kannte sie sich aus, die waren jetzt nicht so wirklich schwer zu verstehen. In den Schulferien hatten sie ihre Eltern zu Ferien auf dem Bauernhof aufs Land verschickt, so hieß das damals, und Eyna hatte nach ein paar Wochen dort rege Unterhaltungen mit den Hühnern führen können. Sie sprach seitdem sozusagen Hühnerianisch und das ziemlich fließend. Aber das erklärte noch lange nicht, wieso sie dieses Regenfrau in ihrem Kopf hörte, sobald einer der Vögel, die sie zu beschützen und beobachten schienen, in der Nähe war. Eyna konnte dieses Rätsel derzeit nicht auflösen und verschob es auf später.
Sie wartete auf Josy. Eyna überlegte, wann sie mit der Freundin rechnen konnte und vermutete, es würde wohl nach Feierabend sein, wenn hier niemand mehr von den Gärtnernden herumlief. Wie lange arbeiteten die samstags wohl? Sie wusste es nicht. Und auch nicht, wie schnell sich Josy hatte freimachen können, um hierher zu eilen. Frei machen‚ grinste Eyna und gönnte sich ein paar kurze sehr ablenkende Gedanken dazu.
Von ihrem Platz aus hatte sie das Gelände gut im Blick und würde jede Person, die auf diesen Schuppen zukam, sofort sehen. Der Regen hatte allmählich aufgehört, die schweren Wolken über der Gegend waren wohl leer, oder sie trieben sich herum und holten neuen Regen. Eyna nahm einen tiefen Schluck aus ihrer Wasserflasche. Schon halbleer, dachte sie stirnrunzelnd und ihre Blase meldete zeitgleich: ganz voll. Gut, dass ich an den Eimer gedacht hatte, schmunzelte Eyna in sich hinein und erleichterte sich darüber.
~
Die Elster flog auf und war Minuten später wieder da. Sie schien draußen etwas zu beobachten. Eyna spähte hinaus, konnte aber nichts entdecken. Dafür hörte sie etwas. Die Melodie kannte sie! Bella ciao! Das hatte Josy damals – während der Schulfreizeit – auf der Gitarre gespielt. Die Musik wurde lauter, als die Person, die das laut tönende Smartphone in der Hand hielt, um die Ecke des Gewächshauses unten bog und sich dabei augenscheinlich suchend umblickte.
Josy!
Eyna hätte wetten können, kleine rosafarbene Herzen in ihren eigenen Augen tanzen zu sehen, hätte sie gerade jetzt in einen Spiegel geschaut. Josy war hergekommen! Nicht, dass Eyna daran gezweifelt hatte, aber die Erleichterung darüber war plötzlich so groß, dass sie am liebsten laut aufgelacht und zugleich losgeheult hätte. Dann sagte sich Eyna, dass Josy sie bestimmt suchte und wollte sich bemerkbar machen. Sollte sie rufen? Besser nicht. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie beide die einzigen Leute hier waren, aber was, wenn nicht?
Der Vogel war es schließlich, der für die Zusammenführung sorgte. Die Elster flog auf, strich eine Runde um Josys Kopf und als diese mit erstaunten Blicken dem Flug des Vogels zurück zum Schuppenfenster folgte, sah sie Eyna daraus winken. Josy schaltete ihr Handy aus – ein letztes Bella Ciao erstarb mitten im Refrain – und eilte zur Hütte hinüber. Eyna schob flugs die Leiter über die Kante und kletterte nun endlich hinunter.
„Umarmung?“, fragte Josy, unsicher, ob Eyna das wollte.
Und Eyna sagte: „Will ich. Aber sowas von!“, und dann drückten sie sich, als hätten sie sich tagelang nicht gesehen, was ja eigentlich auch stimmte.
~
Dann erzählte Eyna, was ihr passiert war und dass sie nicht nur obdachlos war, sondern auch möglicherweise verfolgt wurde.
Sie hatten sich auf Hocker gesetzt, die umgestürzt in einer Ecke unter einem der halb verrotteten Tische gelegen hatten. Sie saßen sich gegenüber, so dicht, dass sich ihre Knie miteinander verflochten. In einer anderen Situation hätte Eyna bestimmt mehr als nur einen flüchtigen Blick auf Josys Beine geworfen, die erst ziemlich weit oben von einem sehr kurzen eleganten Rock bedeckt waren. Die dazu gehörige Kostümjacke hatte Josy geöffnet und den Mantel, den sie zuvor über beidem getragen hatte, lag auf links gekehrt unter ihr auf dem staubigen Hocker. Ihre Locken hatte sie zu einer beinahe unnahbar wirkenden Hochsteckfrisur arrangiert. Die hellgrünen Gummistiefel, auf die flauschige Einhörner gedruckt waren, relativierten den Eindruck der leichten Strenge jedoch.
„Du kannst erst mal mit mir mitkommen“, schlug Josy vor. „Wir verkleiden dich als Gärtnerhilfskraft und du wirst unsichtbar auf meiner Baustelle. Dort habe ich noch etwa eine Woche zu tun, dann nehme ich mir frei und wir versuchen herauszufinden, was hinter diesem Anschlag steckt.“
Eyna lächelte. „Ich freue mich ja, dass ich damit in deiner Nähe wäre, aber ob ich fürs Gärtnerische tauge, das ist so eine Sache …“, begann Eyna und wollte eben ihre gestorbenen Balkonpflanzen und den Widerstands-Basilikum erwähnen, als die Hölle losbrach.
Wäre Eynas Aufmerksamkeit nicht so ausschließlich auf Josy gerichtet gewesen, wäre ihr wohl aufgefallen, dass schon seit ein paar Minuten Krähen- und Elsterngeschrei zu hören war, erinnerte sie sich im Nachhinein. Eine Horde schwarz gekleideter Vermummter stürmte wortlos in den offenen Schuppen und stürzte sich auf sie und Josy. Eyna hörte Josy rufen: „Eyna!“ Etwas stach in Eynas Arm und dann wurde es dunkel um sie.
~
Eyna wachte orientierungslos auf. Ihr Körper war eine Mischung aus Paralyse und Schmerz. Dieser Schmerz war es, der sie allmählich wacher werden ließ. Langsam dämmerte es in ihren Verstand, wo sie sich derzeit befand: Sie lag in einem großen Fahrzeug, das sich bewegte. Eyna wurde durchgerüttelt, in Kurven rollte ihr Kopf gegen etwas Hartes. Jeder Aufprall löste neue Schmerzattacken aus. Jemand hatte ihr anscheinend einen Sack über den Kopf gestülpt, dies aber sehr nachlässig getan, sodass sie unter dem offenen Rand hervor geschnürte feste Schuhe ihrer Entführer sehen konnte und ein Paar Stiefel mit Einhörnern darauf, in denen Josy steckte. Als sie sich aufrichten wollte, wurde sie erneut gestochen und es wurde schon wieder dunkel um sie.
Als sie das nächste Mal erwachte, verhielt sie sich ruhig. Nicht, dass sie die Coolness dazu gehabt hätte, ihr tat schlicht alles weh und sie wagte nicht, sich zu bewegen. Nicht einmal die Augen, die fest mit den Lidern verklebt zu sein schienen. Sie kannte das, sie hatte das gelegentlich morgens beim Aufwachen. Also lag sie still und versuchte, sich zu orientieren. Sie lag halb aufgerichtet auf etwas Hartem und man hatte ihr Hände und Füße fixiert. Sie war zum Glück zu groggy von der Betäubung, sonst hätte sie spätestens jetzt eine Panik-Attacke bekommen.
Gefesselt zu sein war für sie Horror. Zum Glück hatte man ihr inzwischen die Stoffmaske vom Kopf gezogen, denn das wäre für sie im Wachzustand tatsächlich ein Grund zum Schreien gewesen. Sie versuchte, keine Panik zu empfinden.
In einem Bereich schräg hinter ihr hörte sie eine schneidende Stimme schimpfen. „Was habt ihr euch gedacht, sie dermaßen zu sedieren!? Wie soll ich jetzt…“
Eyna nickte immer mal wieder zwischendurch weg und bekam kaum die Hälfte der Schimpftirade mit. Muss wirklich ein geiles Zeug gewesen sein, was die in mich getan hatten, dachte sie.
Erneut wurde sie kurz wach, als jemand etwas unter ihre Lider träufelte. Dann wurden ihr die Augen verbunden. Später hatte sie das Gefühl, Kabel und Sonden an ihrem Körper zu fühlen. Geräte piepsten und summten, irgendwo kratzte eine Nadel über Papier, da war sie sich sicher, schlief aber direkt bei dem Gedanken wieder ein.
Im Dämmerschlaf bekam sie noch mit, wie die Stimme von vorhin – wer war das, wann war das und wie lange her? – Anweisungen gab, sie und Josy zu verlegen, um sie an jenem Ort, dessen Name sie nicht verstanden hatte, genauer zu untersuchen.
Josy!
Eine Energiewelle fuhr durch Eynas Körper und sie wurde ein Stück weit wacher.
Eyna wurde mit ihrer Liege durch lange Gänge gefahren, irgendwann kam ein zweites Rollen an ihr Ohr und sie hoffte, dass diese zweite Liege zu Josy gehörte. Diesmal gab Eyna tatsächlich bewusst keinen Mucks von sich und stellte sich betäubt. Aber in ihr brodelte es.
Sie hoben ihre Liege vom Gestell und schoben sie unsanft auf die Ladefläche eines Fahrzeugs. Der Schmerz in ihrem Körper, den das Gerüttel auslöste, hielt Eyna wach. Sie hörte ein Schleifen neben sich und bekam einen Hauch Sandelholz mit Limette in die Nase. Sie hatten also die Liege mit Josy neben ihre geschoben. Hoffentlich geht es Josy gut! Eyna wollte nicht darüber nachdenken, was sie mit den Halunken anstellen würde, wenn sie Josy etwas angetan hätten und tat es dennoch. Den Geräuschen nach, stiegen zwei der Entführer hinten zu ihnen ein, während vorne Fahrer und Beifahrer Platz nahmen. Das Fahrzeug wurde gestartet und sie fuhren los. Den Rollgeräuschen nach aus einer Halle oder Garage, dann über Straßen, und schließlich über holprige Feldwege.
10. Wassergeister
Josy neben ihr stöhnte leise. Einer der Begleiter lachte hässlich und gab der Liege von Josy einen leichten Tritt. Eyna kochte vor Wut. Wie als Antwort drangen die grellen Lichterscheinungen von Gewitter-Blitzen bis unter Eynas geschlossene Augenlider. Der Transporter – Eyna konnte nur vermuteten, dass es der schwarze Transporter war, in dem sie lagen – schleuderte plötzlich in eine scharfe Bremsung und kam schließlich zum Halten. Erschrockene Rufe waren aus der Fahrkabine zu hören. Heftiger Wind schüttelte den großen Lieferwagen und ein gewaltiger Donner entlud sich gefühlt direkt über ihnen. Dann prasselte eine Regenwand auf das Fahrzeugdach nieder, sodass Eyna kein Wort von dem verstand, was nun geschrien wurde.
Die rückwärtigen Türen wurden aufgerissen. Regen prasselte auf ihre Beine. Das Gewitter war tatsächlich genau über ihnen und Blitze schlugen unter Donnergrollen in rascher Folge um sie ein. Faradayscher Käfig, dachte Eyna, hier drin passiert uns nichts. Sie war sich aber nicht ganz sicher, weil die Türen des Autos ja offen standen, der Käfig also nicht komplett geschlossen war. Egal, dachte Eyna, wenn es uns erwischt, dann wird das Unwetter auch unsere Entführer holen. Hilflos und wütend zog sie an ihren gefesselten Gliedmaßen.
„Regenfrau, hör auf mich. Du musst dich beruhigen, sonst sind wir alle in Gefahr. Bitte!“
Eynas Kopf ruckte herum, um zu sehen, wer da gesprochen hatte. Natürlich sah sie nichts, sie hatte immer noch diese verdammte Augenbinde um. Sie heulte auf.
„Nein, nicht wütend sein, Regenfrau. Atmen … langsam, atmen!“, hörte sie die Stimme wieder, die nicht bedrohlich klang. Eyna atmete allmählich ruhiger, ihre Wut verrauchte nach und nach, machte einer vorsichtigen Neugier Platz. Wahrscheinlich war sie nicht in akuter Gefahr.
„Gut so, Regenfrau, ich nehme dir nun die Augenbinde ab. Nicht erschrecken!“
Sie fühlte kühle Hände, die den Knoten hinter ihrem Kopf lösten.
„Bleib ruhig, Regenfrau, ich schnalle deine Fesseln los“, sagte das Wesen vor ihr, dem regennasses Haar ins Gesicht hing. Draußen tobte das Gewitter unverdrossen, Blitze erhellten den Innenraum des Wagens und die sonst stockfinstere Umgebung des Fahrzeugs. Von den sonstigen Insassen des Transporters war nichts zu sehen oder zu hören. Die zierliche Person fummelte an ihren Handschlaufen und öffnete dann die Fußfesseln. Was hatte die nur immer mit Regenfrau, fragte sich Eyna und kam zum Schluss, dass nur sie selbst damit gemeint sein konnte.
Gemeinsam befreiten sie auch Josy von ihren Fesseln, die ein Bild des Jammers bot, so schlaff und hilflos, wie sie dort lag. Eyna zog Josys Oberkörper leicht hoch und nahm sie vorsichtig in den Arm. Josy murmelte: „Eyna?“
„Ich bin da“, sagte Eyna sanft und begann Josy in ihren Armen zu wiegen. Das Gewitter verzog sich allmählich und auch der prasselnde Regen hörte nun auf.
„Aphrodite sei Dank“, murmelte das Wesen neben ihr. „Danke, Regenfrau!“
Eyna kam ein Verdacht. „Willst du damit sagen, dass ich das mit dem Gewitter war?“
„Oh, wusstest du das nicht? Du bist doch die Regenfrau“, sagte das Wesen verwirrt. „Aber nun komm, wir müssen euch von hier wegbringen. Bevor diese Brut von Hels Pforten wieder auf deine Spur gerät.“
Diese Erklärung ergab für Eyna absolut keinen Sinn, aber sie hörte die Dringlichkeit in der Stimme und wollte auf gar keinen Fall erneut in die Hände dieser miesen Verbrecherbande fallen. Es donnerte in der Ferne.
Das Wesen schaute sie missbilligend an: „Nicht! Aufregen!“
Hinter den Bäumen huschten weitere kleine Wesen hervor, ähnlich zierlich wie die Figur vor ihr. Eyna fiel ein, dass sie doch einmal nach einem Namen fragen konnte: „Wie heißt du eigentlich, und was bist du?“
„Du kannst mich Nyx nennen“, antwortete das Wesen, „ich bin eine Nymphe.“
„Ich verstehe“, sagte Eyna und verstand überhaupt nichts.
~
Die Wesen, Nymphen, hatten inzwischen mehrere Ballons installiert, von denen Bänder und Gurte herab hingen. Sie hauchten so etwas wie Glitzer über diese Windbeutel, die einer nach dem anderen abhoben, abwartend schwebten sie über ihnen. Eine zierliche Nymphe hatte sich gemeinsam mit Josy angeschnallt, die immer noch ziemlich neben sich war. Auch Eyna wurde geschickt in den Halterungen eines Ballons verschnürt und fühlte Sicherheit und Vertrauen, als sie abhob. Nyx blieb mit ihrem Luftbeutel, den sie an den von Eyna gekoppelt hatte, in Eynas Nähe.
„Kannst du den Wind bitten, uns in diese Richtung zu wehen?“, bat sie Eyna. Mit der Hand deutete sie über die Bäume.
„Kann ich das?“, fragte Eyna skeptisch. Versuchsweise wünschte sie sich einfach, der Wind würde sie in die angezeigte Richtung wehen. Der Wind tat ihr den Gefallen.
„Ich und Aiolos, wir sind per du“, wagte Eyna ein wenig zu spotten. Der Gott der Winde trieb sie in die Krone einer Eiche und regenfeuchte Blätter durchnässten erneut ihre Waden. Uff, dachte Eyna und versuchte, sich besser zu konzentrieren.
Gemächlich und ohne Spuren zu hinterlassen entschwebten sie. Der schwarze Transporter stand mit offenen Türen unter ihnen auf dem Waldweg und leuchtete aus Scheinwerfern und Innenbeleuchtung vor sich hin. Von dessen Mannschaft war nichts mehr zu sehen. Eyna wollte nicht wissen, was mit ihnen passiert war.
Die Ballons glitten lautlos und schwach vor sich hin glitzernd durch die Dunkelheit. Von unten sah es bestimmt aus, wie ein Stück Sternenhimmel, folgerte Eyna. Aber wer schaute schon nachts in den Himmel? Unter ihnen war nur regenfeuchter Wald und da war um diese Zeit sicher niemand unterwegs, daher wagte Eyna es, Nyx eine Frage zuzurufen:
„Wie haben Hels Horden – so nanntest du diese Halunken doch – uns eigentlich so schnell finden können, weißt du da etwas?“
Nyx antwortete: „Handyortung. Sie haben Josy angepeilt. Und dann brauchten sie nur noch den Fußspuren im Schlamm der Gärtnerei zu folgen.“
„Und was haben die Vögel mit alledem zu tun?“, fragte Eyna.
„Welche Vögel?“, fragte Nyx verwirrt zurück.
Eyna bemühte sich, wach zu bleiben. Sie hatte in den vergangenen Tagen kaum Schlaf bekommen und diese Betäubung war immer noch in ihr. Sie lehnte den Kopf an die straffen Seile. Sie merkte noch, dass ihr die Augen schon wieder zufielen. Den Weg finde ich auch mit geschlossenen Augen, dachte sie, irgendwie belustigt über sich selbst, da sie natürlich überhaupt nicht wusste, wohin die Reise ging.
Und dann war sie eingeschlafen, sanft gewiegt von Windsgott Aiolos und Aphrodite, der Gottheit der Nymphen.
11. Epilog
Eyna war sich nicht ganz sicher, ob sie wach war. Ihr fehlte jegliches Gefühl für Zeit, und ihren Körper spürte sie als etwas, das nicht wirklich zu ihr gehörte. Nichts davon gehorchte ihrem Willen, nicht einmal die Augenlider. Ihr Bewusstsein schwebte in einem namenlosen Raum. Ein einzelner Sinn jedoch kitzelte ihr träges Bewusstsein: Eynas Gehör. Die Stimmen klangen dumpf, wie durch eine Tür.
War das etwa Josys Stimme? Mit wem unterhielt sie sich da? Eyna lauschte und war sich nun sicher. Das war Josy! Mühsam konzentrierte sie sich auf das Gespräch.
„Haben sie schon begonnen, Frau Wilke aus dem Koma zu holen?“, hörte Eyna soeben Josy fragen.
Koma? Liege ich etwa in einer Klinik?, dachte Eyna.
Eyna hörte, wie eine Tür geöffnet wurde und eine andere Stimme antwortete: „Ja, ihre Verlobte wird allmählich wach.“
Schritte näherten sich. Jemand nahm Eynas Hand und drückte sie. Eyna antwortete mit leichtem Gegendruck. Oh, das geht also wieder, freute sich Eyna, immer noch mit geschlossenen Augen. Die Lider waren schwer und unbeweglich wie Steine.
Josy hatte sich anscheinend auf Eynas Bettkante gesetzt. Eyna fühlte, wie ein Gewicht die Statik der Matratze veränderte.
Auf der anderen Seite des Bettes machte sich die medizinische Fachperson, jedenfalls nahm Eyna an, dass es jemand vom Klinikpersonal war, an ihrer anderen Hand zu schaffen.
„Ich tausche nur schnell den Beutel, dann lasse ich sie mit Frau Wilke allein“, hörte Eyna diese Person sagen.
Eyna versuchte, auch etwas zu sagen, aber ihr Mund war staubtrocken.
„Warten Sie, Frau Wilke, das wird Ihnen helfen. Öffnen Sie mal bitte leicht den Mund“, hörte Eyna. Ein Gegenstand an ihren Lippen machte zischende Geräusche und eine Art feuchter Schaum breitete sich in Eynas Mund aus. Eyna machte leichte Kaubewegungen und schluckte dankbar die Feuchtigkeit.
Die Pflegekraft rieb Eyna am Oberarm und sagte laut und deutlich: „Frau Wilke, ihre Verlobte ist da. Wollen wir Hallo sagen?“
Eynas Lider zuckten, blieben aber hartnäckig unten. „Wer … s..d … wir? V..lobt?“ kam es nuschelnd aus ihrem Mund.
„Liebes“, sagte Josy mit Nachdruck, „du und ich, wir sind verlobt.“
Sie warf dabei sehr selbstkontrolliert keinen Blick auf die geschäftige MFA.
Diese plauderte in munterem Ton weiter: „Ja, Ihre Verlobte war in dieser Woche jeden Abend da, hat Ihnen jeden Tag etwas vorgelesen. Sie hat auch heute bestimmt wieder etwas Schönes mitgebracht!“
Etwas leiser sagte sie zu Josy: „Reden Sie weiter mit ihr, es hilft beim Wachwerden!“ Dann eilte sie aus dem Raum, zum nächsten Patientenzimmer. Die Station war, wie immer, unterbesetzt.
„Soll ich dir weiter aus „Rabenblut 2“ von Nikola Hotel vorlesen oder möchtest du reden?“, fragte Josy.
Eyna versuchte, einen Antwortsatz, den sie vage im Kopf formuliert hatte, ihrem Mund mitzuteilen. Sie wollte Josy fragen, was eigentlich los ist, wo sie war und weshalb und ihr sagen, dass Reden noch nicht ginge und das Denken irgendwie abgekoppelt vom restlichen Körper schien. Sie seufzte. „Lesen“, bat sie. Sie schaffte es, eine Weile der Geschichte und Josys Stimme zu folgen, dann schlief sie wieder ein.
~
Als sie später wieder aufwachte, war sie etwas klarer im Kopf und bekam nun endlich auch die Augen auf. Das Licht über ihrem Krankenbett schien auf die Laken. Josy lag halb auf ihrem Bett, halb saß sie auf einem Stuhl daneben, eine Hand hielt ein Buch umklammert, die andere lag auf Eynas Arm. Eine Locke hatte sich vorwitzig über Josys Gesicht gelegt. Eyna drängte es, diese Locke beiseite zu schieben. Die gehörte da einfach nicht hin. Und sie verbarg zu viel von Josys Gesicht, wie sie fand. Der Arm funktionierte erstaunlicherweise erwartungsgemäß und ihre Finger strichen sanft die Locke aus dem Weg. Josy erwachte von der zarten Berührung.
„Da bist du ja wieder“, sagte sie zu Eyna. Sie griff nach Eynas Hand und küsste ihre Fingerspitzen.
Eyna fragte: „War ich denn weg?“
Josy meinte ernst, als sie sich nun aufrichtete: „Japp, du warst ziemlich weggetreten. Eine ganze Weile, um genau zu sein. Die Heilkundigen hier meinten, es sei besser, wenn sie dich ins künstliche Koma versetzen und dass du sonst Kopfschmerzen aus der Hölle haben würdest, wenn sie es nicht täten. Die hatten gut zu tun, diesen Splitter aus deinem Dickschädel zu schneiden.“
Es brauchte einige Zeit, bis sich diese Informationen im Gänsemarsch durch Eynas Gehirnwindungen wagten, dort aber unschlüssig stehen blieben, weil sie sich verlaufen hatten. Wenigstens mein Filmchen-produzierendes Areal scheint noch zu funktionieren, dachte Eyna, die wie immer gerne in Bildern dachte. Sie fasste an ihren Kopf und fühlte einen festen Verband. Dahinter fühlte sie eine Leere, eine Abwesenheit von Gewissheit.
„Kannst du mir die letzten Tage mal aufdröseln? Hat man die Agenten geschnappt? Wo sind die Nymphen? Anscheinend habe ich so einiges verpasst“, bat sie Josy. „Der Reihe nach, bitte.“
Josy sah sie sehr merkwürdig an, begann aber zu erzählen. Sie war voller Unruhe gewesen, als Eyna sich plötzlich nicht mehr gemeldet hatte. Kein Skype, keine SMS, keine E-Mail beantwortet hatte. Kurzerhand hatte sie sich ein paar Tage freigenommen. Das Projekt hinter Berlin war ohnehin so gut wie fertig, sodass sie es ihrer Vertretung überlassen konnte. Sie war sehr erschrocken gewesen, als sie am Wohnblock feststellte, dass Eynas Wohnung komplett durch eine Gasexplosion zerstört worden war.
Eyna nickte. Gasexplosion! Daran erinnerte sie sich.
Josy hatte vor dem Haus eine so reizende wie redselige, alte Frau getroffen, die ihr mehr erzählt hatte. „Wie hieß sie gleich? Leihmann? Sie hat die Wohnung vorne im Erdgeschoss“, grübelte Josy.
Eyna lächelte. „Die Lehmann“, sagte sie.
„Richtig. Lehmann. Sie war zufällig am Haus, wie auch einige andere aus dem Block, in Begleitung von Feuerwehrleuten, damit sie ein paar Sachen aus ihrer Wohnung holen konnte. Sie wohnt wohl einige Zeit bei ihrer Großnichte, bis das Haus wieder bewohnbar ist. Jedenfalls hat sie noch gesagt, dass es bei der Explosion nur ein Opfer gegeben hat. Mir wird bei der Erinnerung an meinen Schock bei dieser Formulierung noch immer übel. Die Person von der Feuerwehr, die bei dem Gespräch in der Nähe stand, hat sich eingemischt und sachlich erzählt, dass du zwar schwer verletzt wurdest, aber in einem Stück in die nächste Klinik gebracht worden bist.“
Bei den letzten Worten hatte sich Josys Hand beinahe schmerzhaft um Eynas geschlossen.
„Deine Wohnung ist hin, übrigens. Die zu renovieren wird einige Zeit dauern. Das sagten jedenfalls die Leute von der Hausverwaltung, die auch vor Ort waren“, fuhr Josy nach einer kurzen Pause fort.
„Was ist da eigentlich explodiert?“, wollte Eyna wissen.
„Sie haben gesagt, deine Gastherme war wohl schon seit einer ganzen Weile kaputt. Alle haben sich gewundert, dass du das nicht gerochen hast.“
Eyna versuchte, sich zu erinnern. Ja, da war immer ein strenger Geruch gewesen, aber sie hatte ein neues Reinigungsmittel in Gebrauch, das ziemlich aggressiv roch. Sie hatte deshalb oft gelüftet, Geruchsneutralisierer versprüht und dem Ganzen weiter keine Bedeutung beigemessen. „Es muss dieser neue Reiniger gewesen sein! Ich habe den neulich mal ausprobiert und der hat ziemlich übel gerochen. Ich habe zwar gemerkt, dass da was war, hab’s aber immer auf dieses Ätzzeuch geschoben. Es ist mir nicht einmal bewusst geworden, dass da etwas nicht in Ordnung war.“
Eyna fiel noch ein, dass sie ja eigentlich immer daheim gewesen war und die Fenster offen gestanden hatten, nur an dem Tag der Explosion war sie länger fort gewesen, und die Fenster hatte sie vorher geschlossen. Da hatte sich vermutlich eine Gaskonzentration bei ihrer Abwesenheit gebildet. Genug Gas, um bei einem elektrischen Funken hochzugehen. Vielleicht war es ja doch nicht das Paket gewesen. Hatte es dieses Paket überhaupt gegeben? Eyna kam gedanklich nicht mehr mit. Das wäre ohnehin von hier aus derzeit nicht zu klären.
„Was war denn mit diesem schwarzen Bus? Von dem hatte ich dir doch erzählt?“, versuchte Eyna sich zu erinnern.
Josy nickte. „Richtig, das habe ich in den Tagen recherchiert, nachdem du mir von deinem Verdacht erzählt hattest. Ich habe dazu zwei mögliche Erklärungen gefunden. Zum einen war da in einem Online-Forum die Rede von Stormhuntern, die das Vorkommen von Wetterphänomenen ungefähr zu der Zeit in der Gegend untersucht haben. Auf einigen der geposteten Fotos war ein Fahrzeug zu sehen, wie du es mir beschrieben hattest.“
„Hm“, machte Eyna, nicht wirklich überzeugt. Aber das Denken fiel ihr immer noch sehr schwer. „Und das Zweite?“
„Da spekuliere ich nur, davon habe ich zu wenig Ahnung“, gab Josy zu und sagte weiter: „dieses Gas hast du ja wohl eine ganze Weile eingeatmet. Es könnte sein, dass es allmählich so eine Art Verfolgungswahn-Halluzination bei dir ausgelöst haben könnte.“ Sie sagte es sehr zögerlich und beinahe fragend.
„Aber – ich wurde entführt! Wo sind die Nymphen, die mich befreit haben? Nyx und die anderen?“
Josy stutzte und dann lächelte sie. Sie zeigte auf den Stapel Bücher auf dem Tisch neben dem Bett, und weil sie bemerkte, dass Eyna ohne ihre Brille Schwierigkeiten hatte, die Titel zu entziffern, las sie einige vor. Es waren Spionageromane, Abenteuergeschichten zumeist, Gedichtbände und Sagenwelt der Antike. „Ich habe dir jeden Abend vorgelesen. Die Stationsärztin meinte, das würdest du trotzdem irgendwie mitbekommen, auch wenn du im Koma liegst.“
„Okay“, sagte Eyna gedehnt, die nun schon wieder müde und unkonzentriert wurde, „das klingt alles sehr plausibel. Glaube ich. Offensichtlich war fast alles bis zu dieser Explosion noch halbwegs real. Die Agentengeschichte ist halluziniert, das Paket vom Cousin gab es nicht, und die Ereignisse danach nur noch Erfindungen meines komatösen Gehirns während der medizinischen Behandlungen hier.“ Eyna machte eine Kunstpause. „Aber … du musst mir noch eine wichtige Frage beantworten: Wann haben wir uns verlobt?“
Josy lachte auf. „Sorry, mein Herz, das war eine Notlüge. Ich dachte, die lassen hier nur Verwandte als Besuch zu. Oder Verlobte eben. Ich habe das dann einfach nicht mehr richtigstellen können.“
Josy gähnte, reckte sich, gähnte noch einmal und stand auf. „Das war ein langer Tag. Ich gehe dann mal. Ruh dich weiter aus. Ich komme morgen wieder“, versprach sie.
An der Tür zögerte sie. „Du hast ja derzeit keine Wohnung mehr – wäre das OK, dass ich dir ein Gästezimmer bei mir an der Gärtnerei einrichte, wenn du hier rauskommst?“
Eyna wurde es warm bei dem Gedanken. „Das wäre ganz zauberhaft. Für eine Weile. Aber können wir das morgen besprechen? Ich kann nicht mehr denken. Und Morgen kannst du mir auch von den Vögeln erzählen, und wie die in diese Geschichte passen.“
Josy fragte verwirrt zurück: „Welche Vögel?“
Eyna winkte ab.
„Na, ok, dann bis morgen.“ Josy schob sich auf den Gang hinaus und zog leise die Tür hinter sich zu.
Eyna schloss die Augen, als Josy gegangen war. In ihrem Kopf tüdelten die Gedanken munter umher und spielten Fangen und Verstecken, bis alles im Nebel des Einschlafens versinken wollte. Regenfrau, hörte sie an der äußersten Ecke ihres Tiefschlafcanyons einen kleinen blauen Gedanken flüstern und sie riss die Augen erneut auf. Sie sah zum Fenster. Eine Eule saß auf dem Fenstersims.
Vielleicht sollte ich einfach meinen Fantasyroman zu Ende schreiben und nicht weiter darüber nachdenken, dachte Eyna, mit den geistigen Schultern zuckend. Dann drehte sie sich, so gut es mit den Kabeln und Schläuchen ging, auf die Seite und schlief ein.
Draußen begann es leicht zu nieseln.
~ Ende ~
Fortsetzungen
Das bisherige Kapitel 12 (Epilog-2) befindet sich zusammen mit zwei weiteren Erlebnissen der beiden Protas auf einer extra Blog-Seite, passwortgeschützt (pw=bdsm).
Danksagung
Juni 2020: Dieses ist der womöglich längste und zugleich persönlichste Text, den ich bisher verfasst habe. Vieles habe ich beschrieben – versucht zu beschreiben, obwohl ich es mir nur unzureichend vorstellen konnte.
Umso mehr freut es mich daher, dass einige meiner Zweifel und ärgsten Verschreiber von kundiger Seite gewissenhaft gegengelesen wurden. Ohne das ausführliche Lektorat des Schreibfischs, @karlabyrinth wäre dieser Text bei Weitem nicht so, wie er jetzt ist. (Danke für die vielen Korrekturen, deine Zeit und deine Mühe!)
Inzwischen (Mai 2021) wurde der gesamte Text nach einem SR (Sensitivity Reading.de durch: Tristan Lánstad) erheblich umgebaut, teils neu geschrieben, und einiges wurde gelöscht. Es hat dem Text sehr gut getan.
UnwrittenStory ist (m)eine absolute Herzgeschichte. Dass der Text nun insgesamt durch das SR so viel runder, logischer, besser und lesbarer geworden ist, macht mich einfach nur sehr, sehr glücklich.
Falls nun noch Unsäglichkeiten enthalten sind, die bei Lesenden möglicherweise unangenehme Gefühle hervor rufen könnten, so ist dies allein auf meine ungewollte Unsensibilität zurück zu führen. Und falls ich etwas derartiges übersehen haben sollte, werde ich nach einem konstruktiven Hinweis oder auch nur Wunsch versuchen, Abhilfe zu schaffen und den Text auch nachträglich noch ändern.
Bestenfalls habt ihr beim Lesen, oder Hören, jedoch ebensolches Vergnügen, wie ich es beim Schreiben hatte, das würde mir sehr gefallen.
Wer hats geschrieben?
Kián KoWananga (derzeitiges Pronomen: em) lebt halbwegs ungeoutet in einer Beziehung mit Familie und Hund in dörflich-ländlicher Abgeschiedenheit der niedersächsischen Provinz. Malt, schreibt, lebt und liebt kreativ vor sich hin. Mag Drachen. Träumt vom Meer.
Hinweise zum Inhalt (CN)
Transition (hier: geschlechtsangleichende Änderungen), Fat-shaming (Stigmatisierung), Dysphorie, Deadnaming (der abgelegte Name einer trans Person),
Nacktheit, Lesbische Liebe, Sexuelle Szenen (zart angedeutete und deutlichere), Genitalien, Promiskuität (erwähnt),
Narben, Unfall, Verbrennungen, Krankenhaus, Koma, Spritzen,
Narzissmus, Beziehungsstreit, Haptophobie (Berührungsangst)
Explosion, Entführung, gefesselt sein, Betäubung, hilflos, Verfolgung
Naturphänomene, Magie, #food (Essen), Alkohol.
Falls notwendig oder erbeten, werden auch später noch weitere Begriffe hinzugefügt.