Monica
Ein sfw-Kurz-Roman.
Inhalt:
Bente lebt vor sich hin. Bis Monica in eys Leben tritt. Es ist eine längere Kurzgeschichte (etwa 50 Minuten Lesezeit), eine Romanze. Für mich ein Übungstext, um Neopronomina zu etablieren, zu normalisieren, dass sich Menschen mit Behinderung verlieben, dass marginalisierte Menschen romantische Gefühle füreinander entwickeln können, auch wenn eine Person dabei im a-sexuellen Spektrum verortet ist.
Dass Menschen in Polyküls leben.
Dass Kurzgeschichten auch einfach nur (langweilig) lieb vor sich hinplätschern können, ohne dass Negatives, Konflikt, irgendein Ismus oder brachiale Action passiert.
Es ist eine Romanze zwischen queeren, marginalisierten, behinderten, Schwarzen Menschen, einfach nur lieb.
CN
Essen, einmalige Erwähnung von Zombies als Vergleich, Behinderung, Erwähnung und Demonstration von Dominanzspiel (BDSM)
Personen und ihre Pronomen:
Monica, sie/ihre/ihr/sie
Bente, ey/eys/em/em
Ralph, they/their/them/them
Ort der Handlung:
Irgendeine imaginäre Vorstadt. So wie Misburg/Hannover vielleicht.
Die Kapitel-Sprungmarken
~
Monica to go
Herunterladen: Monica als PDF-Datei etwa 200 KByte.
~
Kapitel 1 ~ How I met Monica
Alles an Monica war weich.
Ich denke zurück, an den Tag, als ich sie das erste Mal sah. Es gibt in meiner Erinnerung diese vage Zeit vor Monica, und eine bunte, die erst mit ihrem Erscheinen begann.
Die Bushaltestelle am Rand der Stadt war wie ein Magnet, der Menschen anzog, sie bei sich behielt, bis der Bus kam und alle in seinen Bauch schluckte.
Wenn wir uns danach, in der bunten Zeit morgens begrüßten, ein wortloses, freundliches Nicken von Menschen, die zufällig eine Schicksalsgemeinschaft bilden, hüllte mich ihr Lächeln ein wie eine sanfte Brise an einem Frühlingstag. Meistens sprach niemand zu dieser Stunde im Morgengrauen. All die Leute nicht, die aus allen Richtungen auf die Haltestelle der Buslinie zustrebten und ich schon gar nicht.
Aber eines Morgens kam Monica dazu, und seitdem war es anders geworden.
Die Mitfahrenden, sie kamen für gewöhnlich hastig heran, schauten auf Uhren, reckten im Gehen die Hälse, um den Bus zu erspähen, der doch gleich kommen musste. Traten nervös auf der Stelle, unruhig, die Last des kommenden Arbeits- oder Schultages drückte sie nieder. In der dunklen Jahreszeit ließ das kalte Licht der Haltestellenbeleuchtung die Gesichter bleich erscheinen, übermüdet, gedanklich abwesend.
Wir, die wir auf den 6:12er Uhr Bus warteten, der uns unter der Woche zum Endpunkt der Stadtbahn bringen würde, waren wie ein trauriger Haufen Zombies.
Bis Monica kam.
Es war tiefster Nebel an diesem magischen Novembermorgen. Selbst der Autoverkehr, der sonst an uns viel zu schnell vorbeiflutete, hatte die Geschwindigkeit reduziert. Alles war leiser, gedämpfter als sonst. Ich mochte diese Zeit des Jahres. Schemen tauchten aus dem Wabern auf, waren erst auf wenige Meter Entfernung als Menschen zu erkennen, gesellten sich zur Gruppe an der Haltestelle, so eng beieinander, wie es das Körpergefühl des Komfort-Abstand haben wollens eben zuließ. Weil der andere Drang, möglichst dicht am Einstiegspunkt des Busses zu sein, sobald dieser einfuhr, ebenfalls stark war. Als würden wir nicht mitgenommen werden, wenn wir dort nicht dicht bei dicht stünden, dachte ich oft bei mir. Wir alle hatten grimmige, entschlossene Gesichter. Waren müde graue Gestalten in einer grauen Welt.
Zuerst sahen wir die leuchtenden Farben, die den Nebel teilten. Monica trug einen Mantel, der mit grell-gelben, großblättrigen Blumen gemustert war und ein Lächeln voller Geheimnisse. Weiße Stiefel. Ihr voluminös lockiges Haar, das sie mit einem schmalen, hellblauen Tuch aus der Stirn gebunden hatte, war voller feiner Nebeltropfen. Ihr gemusterter Gehstock blinkte fröhlich vor sich hin und zog unsere Blicke überhaupt erst in ihre Richtung. Aber als sie nahe bei uns stand, mit diesem weichen, warmen, Ausdruck im runden Gesicht, dem halben Lächeln und dunklen Augen mit den vielen Lachfältchen, waren wir ausnahmslos gebannt. Die Atmosphäre war greifbar eine andere als sonst, aber woran ich das festmachen sollte, war mir nicht klar. Monica hatte eine unglaubliche Präsenz, die uns umgehend einhüllte.
Der Bus fuhr endlich unsere Haltestelle an. Wir stiegen ein. Niemand sprach. Bis auf Monica, nachdem sie die Stufen erklommen hatte.
»Guten Morgen!«, wünschte sie der Person am Steuer, mit einem Timbre in der weichen Stimme, das samten meine Ohren streichelte. Kurz überlegte ich, ob sie sich kennen würden. Ein wenig schämte ich mich, weil ich, wie alle anderen, einfach eingestiegen war, wortlos, hastig, mit dem Blick schon nach einem freien Sitzplatz suchend.
Die Person am Steuerrad schien ebenso überrascht, aber dann lächelte sie zurück. Das Lächeln verließ ihr Gesicht nicht mehr, bis wir nach ein paar Haltestellen am Wendepunkt der Stadtbahn ankamen. Das konnte ich im Spiegel über ihrem Sitz sehen, in den ich ab und an schaute, wenn ich gerade nicht aus dem Fenster sah, während der Bus durch die Dunkelheit rumpelte.
Monica hatte sich neben mich auf den letzten freien Platz gesetzt, bevor der Bus wieder angefahren war, was nicht eher passierte, bis auch Monica sich hingesetzt hatte.
Monica klemmte ihre Gehhilfe zwischen die Knie, kramte in der Jackentasche nach ihrem Smartphone, lächelte mich sanft an und stellte sich vor: »Moin Moin. Sagt man das hier so? Ich heiße Monica. Mit C.«
In ihrer Aussprache schwang ein Dialekt mit, französisch vielleicht, ich war sofort hingerissen.
»Hallo Monica mit C. Einmal Moin reicht. Bente«, stellte ich mich ebenfalls vor. Sollte ich ihr sagen, dass Moin eigentlich mehr ein Küstenbegriff war und wir hier im niedersächsischen Binnenland das einfach nur übernommen hatten, pragmatischerweise? Aber ich hatte den richtigen Zeitpunkt zum Antworten bei meinen Grübeleien verpasst. Nach einem weiteren Nicken und Lächeln hatte sich Monica inzwischen in den Buchtext auf ihrem Phone vertieft.
Ein zarter Hauch von Patschuli wehte ab und an zu mir herüber. Das Parfum passte ausgezeichnet zu ihr, fand ich. Ich mochte Patschuli. Ich starrte wieder aus dem Fenster in die Dämmerung, aus der die Straßenlaternen schmutzige Lichtkreise im Nebel zeichneten und bemerkte irritiert, dass auch ich still in mich hinein lächelte.
Frühlingsgefühle
Grauen Tagen des Novembers waren Schneematsch und Eiseskälte im Dezember und Januar gefolgt. Quälend langsam hatte sich die Sonne die Tageszeit zurückerobert, täglich, minutenweise. Und endlich zeigten sich auch wieder erste Blüten an den Sträuchern in den Vorgärten.
Vermutlich hatte ich mich schon an jenem ersten Tag in Monica verliebt – und möglicherweise auch sie sich in mich. Aber damals wusste ich das noch nicht von mir. Solche Sachen merkte ich bei mir einfach immer viel zu spät. Aber irgendwann fragte ich mich doch, warum mein Herz jedes mal einen Satz machte, wenn sich Monica im Bus neben mich setzte, auf den Platz, den ich ihr freigehalten hatte, und mich anlächelte. Warum ihre Stimme, ihre Worte, die sie an mich richtete, ein Prickeln in meinem Kreislauf auslösten, und ein Prickeln auf meiner Haut, wenn sich auf der Fahrt im Bus in den Kurven ihr weicher Körper an meinem rieb.
Mit der Zeit waren unsere Gespräche intensiver geworden, tiefer. Da wir uns immer nur für ein paar Haltestellen sahen, aber die angefangenen Gesprächsthemen länger dauerten, hatten wir irgendwann angefangen, uns zu texten. Aus einem unbekannten Grund, vermutlich weil wir uns ohnehin beinahe täglich sahen, waren wir einfach noch nicht auf die Idee gekommen, uns zusätzlich zu verabreden.
~
Ich hatte mir frühmorgens knusprige Gemüsebällchen für die Arbeit gemacht. Sie waren noch nicht abgekühlt, denn wieder einmal hatte ich mein Zeitmanagement nicht unter Kontrolle gehabt. Deshalb hatte ich die kleine Papiertüte, in die ich sie hastig gesteckt hatte, nicht ganz geschlossen. Es duftete verführerisch daraus.
»Möchtest du probieren?«, fragte ich Monica, die genießerisch den Geruch einsog und öffnete die Tüte noch ein wenig mehr, damit sie hineinsehen konnte.
»Das sieht gut aus. Was ist das? Wenn die so gut schmecken, wie sie aussehen und riechen, möchte ich sehr gerne eine von diesen Kugeln.«
Ich zählte kurz die verarbeiteten Zutaten auf, während ich ihr die geöffnete Tüte hinhielt, zusammen mit einem Taschentuch, damit sie sich anschließend die fettigen Finger damit abwischen konnte. Vorsichtig nahm sie sich ein Bällchen, biss ein winziges Stück ab und kaute, schloss die Augen und aß den Rest. Sie kaute langsam und genießerisch. Ich hingegen war fasziniert von dem beinahe entrückten Ausdruck, der auf ihrem Gesicht lag.
Sie gab mir das benutzte Tuch zurück und sagte: »Ich möchte, glaube ich, unbedingt mal mit dir zusammen kochen, aber vor allem möchte ich dieses Rezept, Bente. Geht das?« Sie fragte es bedeutsam und bedächtig, wohl immer noch dem Geschmack auf ihrer Zunge nachspürend.
Lächelnd suchte ich die Datei auf meinem Smartphone und schickte das Rezept an ihre Chat-Adresse. Dabei fiel mein Blick auf den Kalender, den ich mir auf der Startseite eingerichtet hatte. Ab heute würde das Eiscafé im Garten der Gaststätte in unserem Viertel wieder nachmittags geöffnet sein. Es wären nur zwei Haltestellen in Gegenrichtung. Längst wusste ich, dass Monica nur eine Querstraße von mir entfernt wohnte.
Es wäre schön, den Saisonbeginn gemeinsam mit Monica zu erleben. Durch unsere Text-Gespräche wusste ich, dass sie italienisches Eis mochte. Spontan und ohne eingehender darüber nachgedacht zu haben, sprach ich den Gedanken aus: »Hättest du Lust und Zeit, mit mir ins Viletta zu gehen?«
Sie hob eine Augenbraue, schien zu überlegen und sagte dann: »Heute geht es nicht, da komme ich erst spät wieder. Dafür habe ich morgen ab mittags frei. Wann treffen wir uns und wo?«
Wir verabredeten uns für den nächsten Tag um 14:00 Uhr an der Haltestelle.
Später im Büro konnte ich mich kaum auf meine Arbeit konzentrieren. Ich hatte ein Date! War es ein Date? Es war so aufregend. Ich machte früher Schluss und nahm mir für den Folgetag ebenfalls ab Mittag frei.
~
Monica wartete schon an der Haltestelle, als ich außer Atem eintraf. Mein Zeitgefühl hatte mich mal wieder ausgetrickst. Monica hatte sich chic gemacht, ein Gesamtkunstwerk: Zu den roten Stiefeletten trug sie heute ihren roten Gehstock mit der ziselierten Glitzergirlande. Dazu ein rotes Halstuch über einem violetten Shirt und einem schwarzen Latz-Anzug mit kurzen Beinen. Auch die Strumpfhosen waren violett. Ihre Locken hatte sie passend dazu mit einem glitzernd-rotem Tuch aufgebunden.
Ich selber trug ein schwarzes Hemd unter einer dunkelblauen Weste, die mit meinen halblangen dunkelblonden Haaren harmonierte, hatte meine schwarze Schiebermütze auf und meine neueste dunkelblaue Jeans zu wheatfarbenen Woodlands angezogen.
»Wow, siehst gut aus!«, sagte Monica, als sie mich sah.
»Selber wow«, antwortete ich. Ich war auch schon einmal schlagfertiger, dachte ich, aber von Monica bewundert zu werden, sie anzuschauen und dabei auch noch Sätze zu formulieren ging gerade nicht zusammen.
Wir stiegen im Zentrum aus. Die Leute sahen sich nach uns um, lächelten. Wir sahen einfach verboten gut aus. Gelegentlich trieb der Wind Gesprächsfetzen zu uns herüber. So etwas wie … ein schönes Paar. Monica und ich grinsten uns an. Wir spazierten gemütlich an den kleinen Läden vorbei, machten uns gegenseitig auf die Dinge aufmerksam, die uns im neu dekorierten Schaufenster des Kaufhauses auffielen, und schlenderten schließlich gemütlich Richtung des Viletta.
Es war voll, aber nicht zu voll. Wir hätten durchaus einen freien Tisch bekommen, aber ich hatte für uns beide reserviert. Das Telefonat war auch der Grund, warum ich vorhin beinahe den Bus verpasst hatte. Es war mir erst in letzter Minute eingefallen, zu reservieren.
»Bist du einverstanden, wenn ich heute die Rechnung übernehme?«, fragte ich.
Monica überlegte kurz, nahm den Vorschlag dann aber mit einem Lächeln und einer Einschränkung an: »Nur, wenn wir die Summe teilen und ich die Hälfte übernehme. Du zahlst zusammen für uns beide und ich gebe dir meinen Anteil. Ist das Okay?«
Gut, das hätten wir also geklärt. Ich fand es peinlich wie nichts, wenn in Restaurants alle für sich selbst zahlten. So etwas ließ sich doch im Voraus absprechen und es erleichterte die Arbeit des Personals.
Wir bestellten uns Eisbecher mit verschiedenen Sorten und reichlich Obst und Sahne. Es schmeckte köstlich. Nektar und Ambrosia, wie ich mit vollem Mund mitteilte. Wir unterhielten uns prächtig über Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt, während wir aßen. Und es kam, wie es kommen musste, ich kleckerte mich beim letzten Bissen voll. Ich ging zu den Unisex-Toilettenräumen, um das Malheur wenigstens grob zu beseitigen.
Als ich an unseren Tisch zurückkehrte, hörte ich gerade noch, wie sich Monica in perfektem italienisch mit Luigi unterhielt und schließlich bei ihm zwei Espressi für uns bestellte: »Due caffè, per favore.«
»Huch, du kannst auch Italienisch?«, fragte ich Monica und war sehr beeindruckt. Das einzige, was ich perfekt in jener Sprache konnte, war dieser eine Werbespruch: Ma caffé é veramente perfetto solo con …. Ich wusste, dass Monica gut Französisch sprach, das hatte sie mir im Laufe unseres gemeinsamen Pendelverkehrs erzählt. Sie war im Elsass aufgewachsen, dort mehrfach im Grenzbereich mit der Familie umgezogen, sodass sie auch Deutsch gut sprach, dazu ein wenig Niederländisch – und Italienisch.
Wir rechneten ab, ich zahlte für uns, nachdem auch ich meinen Espresso ausgetrunken hatte. Monica war schon fertig und ging sich noch frischmachen, bevor wir den Heimweg antraten.
Wir nahmen die Abkürzung durch das kleine Waldstück. Irgendwie fanden sich unsere Hände, als wir nebeneinander gingen. Wie weich die Haut ihrer Finger war. Monica lächelte und sah mich immer mal wieder von der Seite an.
»Das war sehr schön, wieso haben wir das nicht schon längst mal gemacht? Ich möchte mehr davon. Mehr von dir, anscheinend«, leitete Monica das Gespräch auf dem Rückweg ein. »Ich komme direkt zum Punkt. Möchtest du vielleicht am Samstag zum Brunch zu mir kommen? Ich möchte mich für die Einladung revanchieren. Und unsere Gespräche fortsetzen. Einen Film schauen vielleicht. Sehen, was sich entwickelt. Magst du?«
»Samstag? Morgen?«, fragte ich verdattert zurück. Das warme Gefühl für Monica, das ich heute die ganze Zeit zunehmend spürte, flutete mich. Was meinte sie wohl mit was sich entwickelt? Ich war aufgeregt, als wäre ich wieder 17 Jahre alt und frisch verliebt. Naja, stimmte ja auch. Wenn auch keine 17 mehr, so war ich allem Anschein nach doch dabei, mich in diese Person zu verlieben. Aber so richtig. Und was hatte sie gesagt? Sie wolle mehr von mir? Ich schluckte, mein Herz schlug plötzlich etwas schneller.
»Morgen natürlich, ich war ungenau, verzeih, ich bin etwas aus der Übung mit Romantikdingen. Oder ist dir in einer Woche lieber? Entschuldigung, ich überfalle dich, das ist wohl zu kurzfristig, non?«
Sie sah nicht besonders zerknirscht aus, aber ihre Hand in meiner, vermutlich unbewusst, drückte nun etwas stärker meine Finger. Monica war anscheinend ebenso aufgeregt und befangen wie ich.
»Nein, das bekomme ich für morgen eingerichtet. Sehr, sehr gerne. Brunch also. Hm, sollte ich etwas mitbringen? Welche Uhrzeit?«, fragte ich, mich zunehmend für die Idee begeisternd.
Sie legte schelmisch den Kopf schief. »Sollte ich 10:30 Uhr sagen, damit du pünktlich um 11:00 Uhr da wärst?«
»Eyh!«, tat ich gespielt empört. Zu oft hatte ich in den vergangenen Monaten den Bus nur noch knapp erwischt. Sie hatte schon recht mit ihrer Frotzelei.
Monica sagte weiter: »Du brauchst gar nichts mitzubringen. Oder, vielleicht doch, wenn es dir nicht zu viel Mühe macht, diese Gemüsebällchen vielleicht. Falls nicht, ist es nicht schlimm, wir werden nicht verhungern, dafür sorge ich schon.«
Wir gingen ein paar Schritte, da fiel ihr noch etwas ein: »Kleider-Ordnung! Wir werden gemütlich auf dem Sofa abhängen, also unbedingt etwas Leger-bequemes. Jogginghosen, Schlabber-Shirt, so etwas.«
Brunchen
Am nächsten Morgen stand ich fünf Minuten vor der Zeit an Monicas Haustür und wartete grinsend die volle Stunde ab, bevor ich klingelte. Ich war gegen alle Erwartung pünktlich und wollte dies demonstrieren.
Die genaue Adresse hatte ich gestern Abend noch per Messanger angefragt, darüber hatten wir gar nicht geredet, ich wusste bisher nur ungefähr, wo sie wohnte. In der Hand hielt ich eine Dose mit nicht mehr ganz so knusprigen, kalten Bällchen, da ich sie schon am Vorabend gebacken hatte. Dazu hatte ich drei Sorten Dip-Soßen gemacht.
Die Tür wurde geöffnet. Vor mir stand eine fremde Person. Hatte ich an der falschen Wohnungstür geklingelt? Verwirrt schaute ich auf das Namensschild neben dem Lichtschalter. Doch, der Name stimmte. Dann fiel mir ein, dass Monica mal erwähnt hatte, dass sie zu einem Polykül gehörte und mit einer Beziehungsperson aus diesem amourösen Netzwerk zusammenlebte.
»Du musst Bente sein, magst du reinkommen?«, sagte die Person mit einer angenehm tiefen Stimme, zog die Tür ganz auf, damit ich eintreten konnte und machte selbst einen Schritt zurück an die Garderobe. »Ey ist da!«, rief die Person ins Innere der Wohnung.
Nur am Rande meiner Aufmerksamkeit bekam ich mit, dass im Hintergrund Monica den Kopf aus einer Tür steckte und mich winkend begrüßte, bevor sie wieder in dem Raum dahinter verschwand. Ich vermutete, die Küche, auch wenn ich es nicht sicher wissen konnte. Jedenfalls war ich erst einmal vom Anblick meines Gegenübers gefesselt und nahm den Gesamteindruck in mich auf: Langes schwarzes, glattes Haar, mit einer einzelnen blau gefärbten Strähne darin – so etwas wollte ich auch im Haar, beschloss ich spontan –, ein hageres Gesicht mit einem sauber gestutzten Bart, Kajal um die Augen, ein langärmeliges schräg gestreiftes Kleid mit raffinierter Schnürung und Highheels. Einige dezente Ringe und eine interessant verschlungene Halskette vervollständigten das Bild.
Ein alarmierter Gedanke in meinem Hinterkopf versuchte vergebens meine Manieren zu erinnern, dass Leute es vielleicht gar nicht so gerne mochten, derart angestarrt zu werden.
Aber andererseits starrte die Person auf ähnliche Weise auch mich von oben bis unten prüfend und durchdringend an.
Der Zauber dieses gefühlt endlosen, gegenseitigen Bewunderns, jedenfalls von meiner Seite war es tiefste Bewunderung, wurde von Monica gebrochen, die nun doch aus der Küche kam, die Hände an einem Geschirrtuch abtrocknend. Sie trug ihr Haar heute unter einem magentafarbenen Tuch, mit einem wabenförmigen Muster in türkis, das im Farbton zu ihrer Schürze passte.
Förmlich stellte sie uns einander vor: »Ralph, das ist Bente. Bente, das ist Ralph. They fährt zu theirem Herzmenschen, damit wir uns hier ohne Störung ein schönes Wochenende machen können. Oder zumindest einen schönen Samstag«, schränkte sie ein, mir die Optionen offen lassend, den Sonntag ebenfalls mit ihr zu verbringen.
Ralph hatte während der kurzen Vorstellung einen wadenlangen Mantel übergezogen und theire kleine Reisetasche über die Schulter gehängt. Mit einem innigen Kuss verabschiedete they sich von Monica, drehte sich zu mir und fragte: »Ist es okay für dich, wenn ich dir zur Begrüßung, die ja eigentlich ein Abschied ist, zwei Wangenküsse gebe? Nur angedeutete natürlich.«
»Let’s give it a try«, brachte ich kaum heraus, fasziniert, wie ich von Ralph war.
Ralph stand inzwischen dicht vor mir, beugte sich nun mit dem Oberkörper vor und hauchte nah an meinen Wangen, diese kaum berührend, rechts und links die zwei Küsse in die Luft. Ein Hauch von Wildrose und einem etwas herberen Duft, den ich nicht identifizieren konnte, kam mir in die Nase. Fast wollte ich die Augen schließen.
»Ich wünsche euch beiden eine schöne Zeit.« Ralph wandte sich zum Gehen.
Monica fragte mich rasch, ob das in der Dose die gewünschten Bällchen wären und als ich genickt hatte, rief sie Ralph hinterher: »Soll ich dir welche von eys Gemüsekugeln übrig lassen für morgen?«
»Auf jeden!«, hörten wir Ralph draußen rufen, dann waren wir allein. Ich schloss langsam die Tür.
Monica nahm mir die Dose ab, damit ich meine Schuhe ausziehen und unter die Garderobe stapeln, sowie meine Jacke an einen freien Haken darüber hängen konnte. Gemeinsam gingen wir in den Raum, aus dem Monica gekommen war. Es war tatsächlich die Küche der Wohnung.
»Das also war Ralph«, sagte ich unnötigerweise.
Monica kicherte etwas. »Du schienst sehr fasziniert von them zu sein.«
»They hat eine unglaubliche Ausstrahlung, und ist zudem wunderschön«, gab ich meiner Bewunderung Ausdruck.
Monica bestätigte: »Das ist they.«
Monica packte einige Gemüsekugeln mit Dips in eine Schale und stellte diese in den Kühlschrank. Dann schafften wir die restlichen Dinge, die Monica bis eben noch in der Küche vorbereitet hatte, ins Wohnzimmer, wo schon ein Tisch mit reichlich Leckereien gedeckt war.
Wir fläzten uns bequem aufs Sofa und futterten uns plaudernd und sehr gemütlich einmal quer durch die Kulinarien. Einige der empfindlicheren Dinge packten wir später zusammen und stellten sie sicherheitshalber in den Kühlschrank, damit sie nicht verdarben. Alles andere verblieb auf dem Tisch und wir naschten gelegentlich entspannt, während wir uns unterhielten.
»Ralph hatte schon Angst, they könnte dich verpassen. They wollte dich unbedingt kennenlernen. Ich habe them von dir vorgeschwärmt.«
»Da hat they mir vielleicht etwas voraus, ich weiß eigentlich gar nicht so viel von them.« Hätte ich fragen sollen? Andererseits würde ich Ralph gerne persönlich kennenlernen und mir nicht nur ein unvollständiges Bild von them machen, das ich über einige wenige Interna durch Monicas Text-Nachrichten künstlich konstruieren würde.
»Die paar Haltestellen, da reicht die Zeit nicht für intensivere Dinge, und vor allem nicht in der Öffentlichkeit. Es hat sich irgendwie nie ergeben.«
»Stimmt auch wieder«, gab ich zurück, »und morgens so private Gespräche zu führen, ist seltsam. Ich bin zu der Stunde definitiv nie wach genug dafür.«
Auch jetzt merkte ich, wie der volle Magen mich allmählich schläfrig machte. Vergebens versuchte ich, ein Gähnen zu unterdrücken.
Wir saßen nebeneinander auf dem Sofa, den Tisch mit den Brunch-Sachen vor uns. Monica zuppelte eine Fernbedienung aus einer Kissenansammlung und fragte: »Wollen wir es uns nun gemütlich machen, Film schauen?«
»Was liegt drin? Der Film, über den wir getextet haben?«, fragte ich. »Underworld?«
»Genau der. Soll ich starten?«
Ich nickte, und Monica drückte die Abspieltaste.
Leider dauerte es nicht lange und mir fielen andauernd die Augen zu. Das ging doch nicht. Es war mir fast peinlich, aber Monica lehnte sich ebenfalls zurück, gähnte und versicherte mir, dass ein Vormittagsschläfchen nun das Richtige wäre. Den Film ließen wir weiterlaufen.
Ich merkte noch, wie Monica mich vorsichtig zu sich heranzog, meinen Kopf auf einem Kissen auf ihrem Schoß bettete und flüsterte: »Du kannst die Füße hochlegen, wenn du möchtest.« Sie streichelte sanft über meine nackten Arme.
Ich legte die Beine über die breiten Armlehnen, kuschelte meinen Kopf tiefenentspannt an Monicas weichen Bauch und schlief ein. Was für ein merkwürdiges zweites Date.
Erholt wachte ich einige Zeit später wieder auf, weil Monica sich gähnend reckte, die Arme hoch über ihrem Kopf.
»Woah, das hat gut getan!«, sagte sie und war dabei, ihr T-Shirt, das ihr hochgerutscht war, wieder runterzuzutzeln.
»Das erinnert mich an meine Kindheit«, sagte ich zu ihr, mit Blick auf die wundervolle Weichheit vor meinen Augen. »Bauch-Knutscher-Knatter-Pupse!«, sagte ich bedeutungsschwer.
Monica sah verwirrt auf mein Gesicht hinunter. »Was für Knutscher? Bussi auf Bauchi? Meinst du so etwas?«
»Mitnichten. Es ist ein Ding, das mit den Lippen gemacht wird. Auf dem Bauch, und dann knattert es. Wie laute Pupse.«
»Glaube, das kenne ich aus meiner Kindheit. Bin mir nicht sicher. Zeigen!«, verlangte Monica und hob den Saum des Hemdes wieder an.
Ich drehte meinen Kopf soweit, dass meine Lippen auf der warmen Haut ihres Bauches auflagen, holte tief Luft und ließ ausatmend die Lippen flattern. Ich variierte dabei Länge und Winkel. Es knatterte, wie es sollte. Ein wenig war ich stolz auf mich. Solche Dinge verlernt eins nicht.
Monica bekam sich fast nicht mehr ein vor Lachen, steckte mich damit an, sodass ich ebenfalls losprustete. Irgendwann richtete ich mich japsend wieder auf. »Wollen wir den Film zu Ende schauen? Spul mal zurück, bitte.«
Ich sagte immer noch spulen. Als wäre es ein Filmstreifen und keine DVD, oder anderenfalls eine Datei vom Streamingdienst. Monica hatte ein paar mal so etwas gesagt, wie: sie wolle das Licht oder das Handy abdrehen, fiel mir dabei ein. Auch so ein alter Begriff, der geblieben war, obwohl es heutzutage keine solchen Drehschalter mehr gab. Ich teilte meine philosophischen Gedanken Monica mit, wir kamen vom Hundertsten ins Tausendste, und wieder verpassten wir fast den Inhalt des Films, diesmal, weil wir uns so angeregt unterhalten hatten.
Inzwischen war es Nachmittag geworden – und so satt wir am Vormittag gewesen sein mochten – nun kam der Appetit zurück. Wir machten uns über den leckeren Kuchen her, den Ralph gestern für uns gebacken hatte.
»Ist dir auch so nach Bewegung? Spazierengehen?«, fragte Monica.
Ich konnte nur zustimmen, ein wenig draußen herumlaufen und frische Luft, um die Verdauung anzuregen, wäre nicht verkehrt. Monica schlug vor, einmal um das Viertel zu wandern. Sie schränkte damit gleich die Reichweite ein. Große Strecken mochte und konnte sie nicht bewältigen. Es war mir recht, ein achtsames Gehen passte einfach zum heutigen ruhigen Tag.
Monica hatte eine ganze Kollektion von verschiedenfarbigen Gehstöcken. Der blaue, den sie aussuchte, passte farblich zu ihren blauen Sneakers und hatte ein Ringelmuster in Gold.
Wir bewunderten die Blumenteppiche der Krokusse in manchen Vorgärten, machten zwischendurch Pausen auf Parkbänken. Streichelten die Katze, die hier durch alle Grundstücke revierte und uns begrüßte, indem sie sich an unseren Beinen rieb. Sie ließ sich willig von Menschen streicheln, die ihr nicht Böses wollten. Ich hatte keine Ahnung, woran das Tier dies einschätzte.
Monica sah mich nachdenklich von der Seite an, als wir auf dem Rückweg waren.
»Ist das in Ordnung, wenn ich dir eine direkte Frage stelle? Du musst auch gar nicht darauf antworten.«
Ich musste etwas lächeln. Wie sollte ich wissen, ob ich die Frage beantworten konnte und wollte, bevor ich sie kannte? Aber ich war neugierig und so bat ich Monica, mir die Frage zu stellen.
Monica sagte: »Übernachtest du gelegentlich bei Menschen, die du vielleicht noch nicht so gut kennst? Also, bei mir zum Beispiel?«
Das war eine interessante Frage, die ich mir heimlich auch schon gestellt hatte, weil wir ja möglicherweise ein ganzes Wochenende zusammen verbringen würden. Aber wie meinte Monica das nun? Sexuell womöglich? Es schien mir durchaus naheliegend, denn ich wohnte ja nun wirklich nicht weit entfernt und hätte durchaus die Wegstrecke nicht als Kriterium genommen. Da war ein kurzer Abstecher, um zu mir nach Hause zum Schlafen zu gehen, realistischer, als bei ihr auf der Couch zu nächtigen, wenn es nur das reine Schlafbedürfnis wäre. Jedoch ging mein sexuelles Interesse an Menschen nahe Null. Ausgiebiges Kuscheln und Streicheln mochte ich, jederzeit. Aber was darüber an Körperlichkeiten hinausging, war eine Welt, die sich mir nie erschlossen hatte. Ich sollte das zur Sicherheit klarstellen, auch wenn Monica das vielleicht gar nicht gemeint haben könnte. Und das tat ich umgehend.
»Solange keine sexuellen Handlungen, die über Streicheleinheiten hinausgehen, stattfinden sollen, bin ich sehr dafür. Für den Fall, dass du mit Übernachten meinst, dass dies gemeinsam in einem Bett passiert. Anderenfalls wäre ich auch damit einverstanden, allein auf dem Sofa zu schlafen. Oder eben nach Hause zu gehen und vielleicht morgen wiederzukommen.«
Monica nickte. »Ja, gemeinsam, in einem Bett. Ralph ist ja heute nicht da, und ich hatte die ganze Zeit mit dem Gedanken gespielt, dass du über Nacht bleiben wollen könntest. Also, ich würde das sehr gerne wollen.«
Sie sah mich von der Seite an, als würde sie noch etwas beschäftigen. Ich ermunterte sie.
Unsicher fragte Monica: »Bist du generell nicht an Sex interessiert, nur nicht mit mir oder hast du da bestimmte …«, sie zögerte, »Vorlieben? Ist das so korrekt ausgedrückt? Ich will dir nicht zu nahe treten, entschuldige, wenn ich dich mit meinen Fragen bedränge. Wenn du nicht willst, vergessen wir das Gespräch und reden nie wieder darüber.«
Diese neue Frage war tatsächlich außerordentlich persönlicher als die nach Übernachtung bei Bekanntschaften. Ich kicherte trotzdem, allein wegen der Unmöglichkeit, Gesagtes bewusst wieder zu vergessen und das sprach ich dann auch laut aus: »Vergessen dürfte nicht einfach werden, da das Thema nun schon angesprochen ist. Sex ist grundsätzlich kein Bedürfnis bei mir. Aber ich liebe es, mit Menschen zu kuscheln, die ich mag. Und gelegentlich Herzmenschen zu küssen.«
Monicas leichte Befangenheit schlug in Albernheit um. »Auf den Mund oder auf den Bauch?«
»Dies bedarf einer sofortigen Demonstration« alberte ich zurück. Und dann, ernst werdend, hatte ich tatsächlich das Verlangen, diese vollen Lippen an meinen zu spüren. Wir waren beide stehengeblieben.
»Darf ich?«, fragte ich leise.
Monica beugte einladend den Kopf vor, und ich legte zart meine Lippen auf ihre. Leicht streifte ich darüber, küsste die Oberlippe, den Mundwinkel und abschließend ihre Wange.
»Ich würde sehr gerne bei dir übernachten.« sagte ich an ihrem Ohr, dann zog ich mich zurück.
Monica lächelte mich versonnen an, als würde sie der Zartheit des Kusses noch hinterherfühlen. »Das war ja mal schön.«
Wir gingen langsam weiter.
Monica sagte: »Dann ist es also abgemacht.« Sie freute sich ganz offensichtlich.
Hand in Hand legten wir die letzten Meter bis zu ihrem Wohnblock zurück. Wir waren wieder hier angelangt, ohne es genau zu merken.
~
Immer noch pappsatt von der Völlerei des Tages knabberten wir nur ein paar Chips zum zweiten Teil des Films und tranken Tee. Es war eine ganze Film-Serie mit fünf Teilen. Da ich nun hierblieb, hatte ich beinahe die berechtigte Hoffnung, alle Teile anschauen zu können. Den dritten schafften wir auch noch, aber dann hatten wir genug Vampire, Werwölfe und Action gesehen.
Wir versuchten uns noch halbherzig an ein paar Gesellschaftsspielen, aber eigentlich waren wir bettreif. Monica legte mir Handtücher und eine Ersatzzahnbürste ins Bad, und während ich mich duschte, bezog sie das Kissen neu, auf dem Ralph sonst schlief.
Als ich ins Badetuch gewickelt zu ihr ins Schlafzimmer trat, fragte sie mich: »Pyjama oder Nachthemd?«
Ich deutete auf das knielange Nachthemd, es war wohl eines von Ralphs. Mit Pyjamas fühlte ich mich meist zu eingezwängt.
Monica ging ebenfalls kurz duschen und ich streifte mir das Hemd über. Es war ein wenig eng und spannte an meiner Hüfte. Aber es war ansonsten okay.
Wir hatten gar nichts im Wohnzimmer abgeräumt, fiel mir ein. Aber das hatte wohl auch bis morgen Zeit, jedenfalls hatte Monica das vorhin so erwähnt, und ich wollte in diesem Haushalt nichts durcheinanderbringen. Ich jedenfalls konnte es nur sehr schwer akzeptieren, wenn Dinge, die bei mir alle einen festen Platz hatten, von Leuten woandershin sortiert würden. Die fand ich einfach nicht wieder, wenn sie nicht am gewohnten Ort waren. So etwas verwirrte mich sehr, weil ich eigentlich überwiegend wusste, wo die Teile zuletzt waren, sie dort aber nicht standen. Ich wusste nicht, ob Monica und Ralph es ebenso hielten und riskierte lieber nichts. Aber da kam Monica auch schon vom Duschen zurück.
Ungeniert legte sie kurz das feuchte Handtuch über den Stuhl, zog sich das eigene Nachthemd über und brachte eben noch unsere feuchten Handtücher ins Bad zurück, um sie dort zum Trocknen auszubreiten, bevor sie zu mir ins Bett kroch.
Gestern noch waren wir zwei Zufallsbekanntschaften gewesen, die sich gelegentlich im Bus unterhielten, ab und zu per Messanger texteten, nun lagen wir hier, zusammen in einem Bett, dachte ich staunend. Es war schon sehr aufregend. Monica klatschte laut in die Hände, das Licht ging aus. Ein Klatschschalter? Ich klatschte ebenfalls. Das Licht ging wieder an. Eine Weile klatschten wir das Licht an und aus und kicherten wie Kinder. Bis es vernehmlich an der Wand klopfte. Die Nachbarschaft hinter diesen dünnen, hellhörigen Wänden hatte wohl genug von unseren Albernheiten. Wir kicherten noch einmal, allerdings leiser, ließen das Klatschen aber sein und das Licht blieb jetzt aus. Ein halber Mond schien zu uns herein. Es war also nicht stockfinster.
Etwas unsicher, wie es nun weitergehen sollte, fragte ich in die fahle Dunkelheit neben mir: »Kuscheln?«
Monica hob einladend ihre Bettdecke etwas an. Ich rückte näher zu ihr.
»Iiieks. Du hast kalte Füße«, beschwerte ich mich. Ich angelte ihre Füße näher zu mir, wärmte sie mit meinen Beinen. Sie rückte mit dem Körper nach, bis wir Haut an Haut lagen, oder zumindest Nachthemd an Nachthemd. Ganz dicht, warm und noch unvertraut. Monicas Körper fühlte sich an wie eine Wolke. Eine weiche, trockene und warme Wolke. Es war aufregend und gleichzeitig sehr gemütlich. Ich streichelte über ihren Nacken und den Rücken.
»Gute Nacht«, wisperte ich und statt einer Antwort küsste mich Monica, sehr zart, sehr flüchtig. Sehr schön.
Sonntagsgefühle
Als ich im grauen Morgenlicht knapp vor Sonnenaufgang aufwachte, schlief mein linker Arm noch. Er lag unter Monicas Kopf. Das würde sicher prickeln, wenn das Blut in die abgequetschten Gefäße zurückströmte, aber das war es mir wert. Monica atmete ruhig und tief, schlief also vermutlich noch. Wir hatten uns im Schlaf anscheinend in eine Löffelchenstellung manövriert. Monica lag mit dem Rücken zu mir und ich hatte meinen freien Arm um sie gelegt, meine Hand auf ihrem Unterarm, meine Knie in ihren Kniekehlen. Ich betrachtete, was ich von ihr sehen konnte.
Die Morgensonne, die sich nun am Horizont zeigte, schien durch das Fenster und bedachte Monicas offenes Haar im Gegenlicht mit einer Korona in den Spitzen. Sie hatte es nach dem Duschen gestern einfach trocknen lassen und es bildete inzwischen einen perfekten, ästhetischen Afro, plus dieser Licht-Aura. Ein warmes Gefühl für diese Person in meinen Armen durchflutete meinen Körper. Glückshormone mit einem schweren Anteil Sympathie, vielleicht sogar mehr als das. Ich hauchte einen Kuss auf ihren Nacken, vergrub mein Gesicht wieder an ihrem Hals und schlief noch einmal ein.
Eine Stunde später waren wir beide wach. Wie erwartet brauchte mein Arm eine Weile, bis ich ihn wieder bewegen konnte. Ich jammerte ein wenig, weil die Blutgefäße so unglaublich stachen und versuchte gleichzeitig, Monica zu trösten.
»Es tut mir schrecklich leid. Kann ich etwas tun, die Hand massieren?«, fragte sie besorgt.
»Nicht!«, japste ich schnell. »Nicht anfassen. Geht gleich wieder.« Fast hätte ich trotz der Schmerzen gelächelt. Weil Monica so unglaublich schön war, wie sie da saß, nein, eher kniete, leicht verzweifelt und aufgelöst, ein Kissen knetend anstelle meines Arms, durch den gerade eine Armee Feuerameisen mit glühenden Nadeln raste.
»Das ist wie bei einem Tunnelspiel, da muss ich durch«, versuchte ich sie zu beruhigen. Ihr fragender Blick verriet mir, dass sie wenig mit dem Begriff anfangen konnte. Ich erklärte: »Bei BDSM-Rollenspielen gibt es Praktiken, bei der Substanzen benutzt werden, die, einmal in Gang gesetzt, nicht mehr aufgehalten oder abgebrochen werden können. Bis es eben von selber abflaut.« Ich wackelte mit meinen Fingern. »Siehst du, es wird schon besser. Es ist ein guter Schmerz. Das sagt mir, dass mein Arm noch lebt.«
»Diese BDSM-Sache klingt sehr gefährlich«, warf Monica zweifelnd ein.
»Alle Seiten müssen einverstanden sein, alle Risiken vorher besprochen werden. Dann ist es eigentlich überschaubar.«
Das Prickeln ebbte soweit ab, dass ich Monica, die immer noch nicht wusste, wohin mit ihren Händen, aufforderte, mich nun doch anstelle des Kissens massieren zu dürfen, wenn sie das noch wollte. Ihre Finger streichelten die letzten Ameisen heraus und mein Arm gehörte wieder zu meinem Körper. Mehrmals setzte Monica zu Fragen an, brauchte aber eine Weile, bis sie formuliert hatte, was sie beschäftigte.
»Erstens schließe ich aus deiner Bemerkung, dass du BDSM-Sex praktizierst?«, sagte sie endlich.
Ich schüttelte erst einmal verneinend den Kopf, gespannt darauf, was ihre zweite Frage sein würde. Auf meine Art zu spielen käme ich vielleicht später zurück. Das war etwas komplizierter auszuführen, wenn sie kein Vorwissen hatte.
»Ah, okay, ich wunderte mich schon, weil das in meiner Vorstellung nicht übereinkam, weil du ja gesagt hattest, dass du Sex nicht so magst.« Monicas Stirn entrunzelte sich wieder.
Ich seufzte nun doch innerlich, ein wenig. Wo anfangen?
»Es passt bei manchen Leuten trotzdem gut zusammen. Das a-sexuelle Spektrum ist weit. Es gibt durchaus aspec Menschen, die gerne Sex praktizieren, manche gelegentlich, manche sogar oft. Und dass dabei BDSM eine Rolle spielen kann, schließt sich nicht aus. Zumal BDSM nicht immer eine sexuelle Komponente beinhalten muss. Ich spiele gerne, aber ich habe dabei keinen Sex. Ja, es ist Spiel, ein Role play, es kann Dominanz und Hingabe bedeuten, aber es ist so, so viel mehr. Wichtig ist mir persönlich dabei Absprache und vor allem Konsens. Wobei – letztere beide Punkte eigentlich Gültigkeit für alle sozialen Kontakte haben sollten.«
Hinter Monicas Stirn arbeitete es.
»Hast du Fragen?«, versuchte ich zu helfen.
Monica schüttelte nachdenklich den Kopf. »Im Moment dazu nicht. Ich habe mich nur noch nie damit befasst. Du solltest mir vielleicht jetzt nicht alles erklären müssen, da käme ich mir ausnutzend vor. Ich verspreche, ich werde mich grundlegend selber weiter informieren und jene Informationen insgesamt erst mal sacken lassen. Darf ich dann darauf zurückkommen, wenn mir etwas unklar ist? Oder wenn mir gleich noch Dinge einfallen?«
»Klar. Ich wüsste ja gerne noch das Zweitens, das du mich noch nicht gefragt hattest«, neckte ich ein wenig, um die Frage aus ihr herauszukitzeln. Ich war doch so neugierig und wollte unbedingt wissen, was die Frage gewesen wäre.
»Das Zweitens«, begann Monica, »wäre gewesen, was ein Tunnelspiel ist. Das kann ich vermutlich auch irgendwo nachlesen. Es ist ja bestimmt nicht alles, was da so gespielt wird? Was gäbe es sonst noch? Könnten wir …? Ich meine, ich weiß gar nicht, was ich gerade wissen will. Ich habe keine Ahnung, wo ich anfangen soll.« Das Thema hielt sie anscheinend nun doch gedanklich gefangen.
Mir kam eine Idee. »Darf ich eine vergleichende Erklärung dazu einschieben? Wenn du mir die Zweitens-Frage genussvoll nicht gleich verraten gewollt hättest, wäre das in meinem Verständnis auch schon eine Form von BDSM. Weil ich absehbar ohne dieses Wissen schrecklich, ganz schrecklich, leiden würde und das Leiden dabei genießen würde, sowie du es genießen würdest, mich leiden zu lassen, weil du wüsstest, dass ich darauf stünde. Genießend, mir dabei zuzusehen, wie ich leidend genieße«, sagte ich theatralisch übertreibend und hoffte, dabei nicht allzu verheddert zu klingen.
Verstehend blitzten Monicas Augen auf. Sie antwortete, mein Spiel lächelnd mitmachend: »Dann verrate ich dir eben nicht, dass ich Einzelheiten zum Tunnelspiel wissen wollte. Leiden gehörte für dich zum Genuss, also? Leidest du gerne?«
Ich verneinte. »Das war nur ein Beispiel. Ich persönlich lasse lieber leiden, wenn Mitspielende einvernehmlich leiden wollen würden.«
»Das möchte ich genauer wissen«, verlangte Monica.
Der Glanz in ihren Augen forderte mich heraus. Womöglich wurde ich nun eine Spur zu unvorsichtig, als ich sie fragte, ob sie in ein kleines Spiel einwilligen würde, die Theorie überspringend. Entgegen meiner sonstigen Besonnenheit diesbezüglich, ohne konkrete Absprachen, mit einem Newbie.
»Darf ich dir kurz zeigen, was ich mag und meine? Ein Dominanzspiel zum Beispiel, mit Beutemachen, wobei ich dich packen und kurz festhalten würde. Ich unterbreche sofort, wenn es dir unangenehm wird oder wenn du sagst, dass du aufhören möchtest. Versprochen.«
Neugier und Vertrauen lag in ihrem zustimmenden Lächeln, als sie sagte: »Ja. Das interessiert mich sehr. Zeig es mir bitte.«
»Okay, es geht los«, warnte ich sie etwas vor. Mit einer fließenden Bewegung richtete ich mich halb sitzend auf, stützte mich mit dem Ameisenarm ab, griff mit meiner anderen Hand dabei nach ihrem Daumen, verdrehte ihr den Arm auf den Rücken, zog sie daran fest an mich und drückte sie mit meinem Gewicht in die Kissen, meine Knie an ihre Hüften gepresst. Erschrocken, aber nicht ängstlich, keuchte sie auf. Am liebsten hätte ich sie für diese Reaktion nun auf den Mund geküsst, erinnerte mich aber rechtzeitig daran, dass ich noch keine Zähne geputzt und ich daher bestimmt Mundgeruch hatte. Also richtete ich mich auf, meine wunderschöne Beute betrachtend.
Sicherheitshalber fragte ich nach: »Ist dir irgendetwas hiervon unangenehm?«
»Das ist auf eine erotische Art sehr erregend. Oh.« Monica brach unsicher ab. »Ist das okay, wenn ich sage, dass es mich sexuell erregt? Weil du doch sagtest, du magst keinen Sex?«
Ich lächelte beruhigend auf sie hinunter. »Ich genieße es auf meine Art. Schau, du sagst mir, dass du erregt wirst, wenn ich dich derart dominiere. Das ist für mich wunderschön. Weil deine Reaktionen durch mich ausgelöst werden. Dieses Keuchen eben, der Ausdruck in deinen Augen, als ich dich gefangen hatte. Allein dadurch, dass ich dich bespiele. Und hauptsächlich, weil ich sehe, dass es dir gefällt.«
Monica begann nun doch unruhig zu wirken und sofort gab ich meine Stellung über ihr auf, gab sie frei, setzte mich neben sie und half ihr, sich wieder aufzurichten.
»Ich glaube«, sagte sie, »ich beginne zu verstehen, was du dabei empfindest. Vermute ich. Funktioniert das bei mir auch? Darf ich das bei dir einmal probieren?«
»Um ein Gefühl dafür zu bekommen? Bin dabei. Eins noch, ich spiele eigentlich nur mit sogenannten Safewords: Wenn ich zum Beispiel Reicht! sage, ist das Spiel zuende. Sofort. Das Safeword garantiert allen Beteiligten einen Spielabbruch, falls es notwendig wird. Es gibt noch andere Absprachen, aber vielleicht reicht dir diese Information erstmal?«
Monica sagte: »Logisch, das verstehe ich. Geht klar.«
»Okay. Versuch es, krieg mich!«, forderte ich sie launig auf.
Wir kabbelten uns spielerisch eine Weile, bis sie meine Handgelenke zu fassen bekam. Ich weiß gar nicht mehr genau, wie sie es machte, aber plötzlich lag ich auf dem Bauch, mit den Händen hinter dem Rücken, festgehalten von Monica und Monicas Gewicht auf mir.
»Ergibst du dich?«, wollte sie grinsend wissen.
Ich zappelte. Ich bin nicht gerne submissiv. Langsam wurde es mir zu viel. Aber ich musste gar nichts mehr sagen, Monica hatte mich bereits losgelassen und sich neben mich gelegt. Sie lächelte nicht mehr, sah sogar etwas besorgt aus. Ich rappelte mich hoch und schnaufte erst einmal tief durch.
Sie streichelte meine Wange, als sie mir sagte: »Ich glaube, andersherum gefällt mir das besser. Ich hatte einen winzigen Moment eine Art Triumphgefühl, dich besiegt zu haben, aber es war nicht dasselbe wie vorhin. Du schienst es nicht zu mögen. Das ergibt keinen Sinn für mich. Kein Vergleich mit dem, was ich empfand, als du mich in der Gewalt hattest. Das war krass.«
Ich brauchte noch einen Moment, bis ich soweit war, ihr zu antworten: »Du hast recht. Ich mag es absolut nicht, festgehalten zu werden, oder wenn irgendetwas meine Atmung behindert. Du hast den Augenblick gesehen, als es mir zu viel wurde?«
Monica nickte. »Sehr deutlich. Was wäre passiert, wenn ich dich weiter festgehalten hätte?«
Ich schluckte, weil ich mir das gar nicht so genau vorstellen mochte. Es war ein riskantes Spiel gewesen, für mich. Zu riskant vielleicht. »Ich hätte das Spiel mit dem Safeword abgebrochen. Ansonsten hättest du bei Nichtbeachtung nun ein ziemlich panisches und überhaupt nicht dominantes Bente hier im Bett.«
Monica schluckte. Dann fragte sie: »Können wir das mit dem Spielen für Jetzt beiseite tun? Etwas anderes machen? Gegenseitiges Kraulen vielleicht?«
»Du stellst die richtigen Fragen. Ich bin total unterkrault. Du auch?«, sagte ich.
Eine ganze Weile knäulten wir auf dem Bett herum und streichelten uns, bis wir genug gekuschelt hatten für den Moment. »Frühstück?«
»Frühstück!«
~
Wir machten uns Kaffee in der Küche, holten uns ein paar Essensdinge auf ein Tablett und beschlossen, im Bett zu frühstücken. Dabei machten wir Pläne für die nächsten Stunden. Der Sonntag war noch lang.
Kreisdenken
So war das damals mit Monica und mir. So hat das alles angefangen. In den Sommerwochen, die folgten und im Herbst darauf habe ich in vielen weiteren Nächten in ihrem Bett geschlafen. Manchmal war auch Ralph dabei und wir kuschelten zu dritt. Eine Überlegung war außerdem aufgekommen, nämlich, ob ich mit zu ihnen ziehen sollte, als Teil ihres Polyküls. Aber ich mochte meine Unabhängigkeit. So gerne ich Monica hatte und immer noch habe, und wie fasziniert ich von Ralph war und bin, ich mag einen Freiraum für mich haben. Wobei mir sowohl frei als auch Raum sehr wichtig sind. Das ändert ja nichts an meinen Gefühlen für sie. Oder ihren zu mir.
Die Novembersonne dringt heute kaum durch die dicken Wolken. Eben ist mir bewusst geworden, dass ich Monica das erste Mal an einem Novembermorgen traf. Nicht ahnend, wie sehr sie Teil meines Lebens werden würde und ich des ihren.
Nachdenklich nippe ich an meinem Tee, der schon fast kalt geworden ist. Akzeptiert zu sein, mit allen Facetten und Befindlichkeiten ist ein sehr schönes Lebensgefühl.
Meine Tasche mit Übernachtungssachen ist gepackt. Gleich werde ich aufbrechen, um bei Monica zu übernachten. Ralph wird da sein und their Herzwesen ebenfalls. Wir werden Käsefondue essen, Filme schauen, kinky Dinge ausprobieren, und möglicherweise planen wir einen gemeinsamen Urlaub am Meer im nächsten Jahr.
~ Ende ~