La bella Luna

von Sandmann

Rom 1998

"Also, wenn wir draußen sind, sucht ihr euch das nächste helle Licht und umkreist es, denn das gehört sich so. Habt ihr alles verstanden?", fragte der Motten-Vater seine Kinder. Die Jungen waren recht aufgeregt. Denn es war ihr erster Ausflug in die Nacht. Kaum waren sie aus dem Unterschlupf, in dem sie geboren waren, herausgeflogen, steuerten sie, wie es ihr Vater ihnen erklärt hatte, die nächste Strassenlaterne an und umschwirrten sie zusammen mit vielen anderen Motten und Nachtfaltern. Nur eine der jungen Motten erblickte auf dem Weg zur Lampe ein viel größeres und schöneres Licht und schwenkte ab, zur grossen Lichtquelle hin.

"Das muss etwas ganz besonderes sein", dachte die junge Motte während sie flog und schlug noch schneller mit den Flügeln, um möglichst bald dort anzukommen und die Quelle dieses silbernen Lichtes zu umschwärmen. Doch so sehr sie auch flog und sich bemühte, sie schien dem Licht nicht näher zu kommen. Ermattet machte sie Rast auf einem hohen Baum und blickte nach oben.

Als der Morgen dämmerte und alle Motten wieder nach Hause flogen, waren sie stolz und erzählten, wie viel Spass es ihnen doch gemacht habe, um das Licht zu tanzen; nur die eine Motte war ganz still. Der Motten-Vater tröstete sie und sagte, dass sie in der nächsten Nacht doch auch um die Laterne fliegen solle. Doch das wollte die Motte nicht. Sie wollte ihr Licht erreichen. Und sie versuchte es jede Nacht vergeblich aufs Neue, dorthin zu kommen.

Der Mottenvater war schwer enttäuscht von seinem wohl verrücktem Kind, und seine Geschwister spotteten über es, wenn es jede Nacht auf den Zweigen des Baumes saß und erschöpft davon träumte, wie es wohl dort bei dem großen Licht sein würde.

Der Sommer verging. Der Motten-Vater hatte sich in einem Spinnennetz unter einer Laterne verfangen, und die Geschwister hatten sich Flügel oder Beine an den heissen Glühbirnen verschmort -, einer der Brüder war sogar in einer Kerzenflamme verbrannt. So kam es, daß es jede Nacht allein in die Dunkelheit flog und irgendwann erschöpft und müde auf einem Zweig anhielt, um zum Mond aufzuschauen.

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