Bahnfahren für Fortgeschrittene

von Sveste

Bahnfahren für Fortgeschrittene oder Konzert der Eintönigkeit

In einer Studie der Deutschen Bahn AG, wenn es denn eine gibt, muss beschrieben sein, wie wenig seines Hirnschmalzes der mit der Bahn Fahrende benutzen muss. Hirnschmalz ist übrigens ein verschönerndes Wort, wenn auch kaum mehr benutzt. Denn es klingt doch viel schöner, wenn einer sagt: " Mensch, benutz doch mal deinen Hirnschmalz" anstatt "Scheiße, bist du doof".

Auf jeden Fall muss in dieser Studie stehen: 1.) Der mit der Bahn fahrende Bundesbürger oder ausländische Staatsgast bemerkt nicht, dass er jedes Jahr mehr bezahlt für seine Bahnfahrt, aber dafür immer weniger in Anspruch nehmen kann. Stimmt doch. Auf dem Bahnhof jener wunderschönen niedersächsischen Stadt, die ich meine Heimat nenne, kann weder ich noch der arme zappelnde Mitreisende neben mir seine nötige Notdurft verrichten. Das macht hier nur jemand, der keine Scham kennt und mittemang auf die Gleise püscht. Was ja übrigens die Frauen ganz schön a.) diskriminiert und b.) gefährdet. Davon abgesehen komme ich auch nicht mehr in den Genuss, mal einen Schaffner zu sehen. Außer natürlich, meine Monatskarte ist mal abgelaufen. Dann ruft sofort ein Mr. Murphy auf dem Privathandy des zuständig Kontrollierenden an und teilt ihm mit, dass laut seines, also Mr. Murphys Gesetzes, er sofort durch den Zug zu eilen hat, bis er den Bösewicht, also mich, antrifft. Funktioniert immer. Jetzt kann der Leser natürlich sagen: "Nun tu mal nicht so. Das passiert mir auch immer." Aber ich bestehe darauf, dass der ominöse Anruf nur auf mich zutrifft.

Zudem muss da stehen: 2.) Der Reisende, der für ein Appel und ein Ei unsere schönen Züge beschmutzt, ist ein Gewohnheitstier und nicht in der Lage, einen Bahnhof zu erkennen, geschweige denn, den zum Bahnhof gehörigen Bahnsteig. Nun fahre ich ja jeden Tag mit der Bahn. Darauf bin ich nicht stolz. Aber so ist es nun mal. Jeden Tag fährt der Zug zur selben Zeit, also fünf Minuten später, ab. Lustigerweise komme ich nie zur selben Zeit an. Das liegt daran, dass das mich befördende Transportmittel unerklärlicherweise auf freier Strecke stehen bleibt. Der Mann von Welt denkt sich natürlich: "Aha, wahrscheinlich kommt uns ein Zug entgegen, der es eiliger hat. Oder der Zugführer telefoniert mit seinem Handy und muss solange stehenbleiben." Ich für meinen Teil sehe nie einen vorbeifahrenden Zug. Außerdem gibt's da, wo ich hinfahre, Gleise genug. Und wenn der Herr Zugführer telefonieren will, dann soll er sich doch gefälligst eine Zugfestsprecheinrichtung kaufen. Vielleicht verrichtet auch nur gerade jemand seine Notdurft auf den Gleisen, und aus Pietät wartet man solange. Ich kenne niemanden, der sowas weiss.

Was mir aber am meisten gefällt ist, dass der Zug immer mal wieder - abweichend von der Normalität - auf einem anderen Gleis hält. Was zu größter Verwirrung führt, wenn dieses Gleis auch noch auf der falschen Seite liegt. Zum Beispiel: Ich muss auf der linken Seite aussteigen statt wie gewohnt auf der rechten. Nun hat sich der Deutsche-Bahn-Studienanfertiger gedacht: "So eine Scheiße, dann stürzen alle wie die Lemminge auf der rechten Seite aus dem Zug, fallen zwei Meter tief tierisch auf die Schnauze, und wir werden verklagt, dass der Sau graust". Deshalb wird, wenn der Fall eintrifft, mindestens dreimal durchgegeben, dass der Bahnsteig heute mal auf der linken Seite liegt. Ich finde das aus zwei Gründen beleidigend. Erstens bin ich durchaus in der Lage zu sehen, "hoppla - heute gar kein Bahnsteig da", und würde automatisch auf der anderen Seite aussteigen, sofern ich mich vergewissert habe, dass da eben jener Bahnsteig ist. Und zweitens, wenn ich schon so trandösig bin, dass ich das nicht bemerke, habe ich es bestimmt bei der ersten Durchsage schon kapiert. Dreimal innerhalb von zwei Minuten ist nur für Leute mit einem IQ knapp über Zimmertemperatur, und die haben halt Pech gehabt, sollen zwei Meter tief auf die Schnauze fallen und die Bahn verklagen.

Trandösig ist übrigens auch ein schönes Wort. Mir gefallen überhaupt Wörter, bei denen mein Textprogramm keine Synoyme findet.

Sveste