von Ed Home
Eigentlich ein
Beitrag fürs Deprizentrum, aber bitte, wer sich meine wirren Ausführungen
antun möchte:
Ich glaube, ich drehe durch, wenn ich jetzt nicht schreibe. Ich
habe soeben das wortmax logbuch gelesen (und viele, viele andere
Artikel und Meinungen zu diesem Thema). Heute ist Sonntag und seit
Dienstag hält mein Schrecken nach den Terrorakten in den USA an.
Bei mir ist eine Grenze erreicht, ich kann emotional keinen Fernsehbericht,
keinen Zeitungsartikel mehr zum Thema ertragen. Und doch kann ich
nicht abschalten, innerlich. Die Bilder und Gedanken verfolgen mich.
Ich muss meine Frustration wegschreiben, meine Gedanken und Gefühle
ordnen.
Wiederholt wird der Gewaltakt in Amerika mit dem Angriff auf Pearl-Harbour
verglichen, diese Aussage macht mit zunehmend wütend. Damals war
Krieg, die Amerikaner in ihrer Arroganz waren schlicht nicht vorbereitet,
und obwohl sie erst danach offiziell in den Zweiten Weltkrieg eintraten,
hatten sie vorher eindeutig durch Taten Stellung bezogen. Ich beklage
die damaligen Opfer, wie ich die Opfer von Kriegen und Gewalt auf
der gesamten Welt beklage. Aber warum wird immer nur der Vergleich
mit Pearl-Harbour, einem militärischen (!) Stützpunkt gezogen? Warum
wird nie Hiroshima oder Nagasaki erwähnt? Angriffe der USA auf japanische,
zivile Städte. Warum mischt sich die US-Regierung immer nur ein,
wenn es für Amerika selbst um wirtschaftliche Interessen geht? Wieso
geschieht Völkermord in Tibet? Seit Jahrzehnten. Und die Medien
und Politiker schweigen. Wieso müssen immer noch Menschen zu Hunderten
und Tausenden sterben, weil sie schlicht nicht einmal Wasser oder
Essen haben, und die westliche Welt schaut zu? Warum wird in mindesten
50 Gebieten der Erde immer noch in Kriegen gekämpft, sogar in Europa
und dem modernen Sowjetstaaten?
Es macht mich wütend, dass in den Nachrichten überhaupt erwähnt
wird, ob Deutsche zu Schaden gekommen wären. Sind die anderen Opfer
nicht erwähnenswert? Zum Beipsiel: Shelter now. Es ist anscheinend
wichtiger, zu erfahren, ob und wann die Deutschen heimkommen, dass
den einheimischen Mitarbeitern die Todesstrafe droht, ist nicht
ganz so wild. In USA gab es auch deutsche Opfer, sind die anderen
etwa weniger tot?
Und überhaupt, die Medien: Angeekelt und fasziniert zugleich habe
ich die Schreckensbilder verfolgt. Habe zwischen den einzelnen Sender
gezappt und erhebliche Unterschiede in der Qualität der Übermittlung
festgestellt. Meine Bewunderung den Nachrichtensprechern, die dieses
Geschehen so professionell und distanziert moderierten. Auf den
Privaten Sendern wurde mehr Wert auf Sensationsbilder gelegt, und
immer und immer wieder wurden die besonders entsetzlichen Szenen
gezeigt, anstelle von Fakten. Auf den anderen, seriöseren Sendern
konnte ich dann endlich erfahren, wieso es technisch möglich war,
dass die Häuser zusammenstürzten, wieso es möglich war, die Flugzeuge
zu entführen etc.
Amerikanische Menschen. Da bin ich doch sehr verwirrt. Einerseits
lehne ich dieses amerikanische nationale Getue aus tiefstem Herzen
ab; man bedenke, wer da Präsident ist, und wie die Handhabung mit
Gesetzen und deren Exekutive abläuft (Bootcamps, Todesstrafe), schlicht
die allgemeine Menschenverachtung und Oberflächlichkeit der Amis.
Andererseits kenne ich Amerika nur aus Hollywoodfilmen und den Medien.
Berichte von spontaner Hilfsbereitschaft und einem Zusammengehörigkeitsgefühl
der New Yorker und Amerikaner sagen etwas anderes aus. Das hat mich
sehr beeindruckt. Viele flüchten sich in ihren Glauben. Da ich weder
religiös noch gläubig bin, sehe ich von meiner objektiven Warte,
dass sich derselbe Glaube, auf den sich viele Amis berufen, in eben
den selben Wüstengegenden entstanden ist, die diese religiösen Fanatiker
beheimaten, dass dort die Wurzeln und die Ursprünge auch der westlichen
Religion liegen.
Es ist so krank, dass die Menschen mit dem Namen desselben Gottes
auf den Lippen, ihre verschiedenen Weltanschauungen rechtfertigen.
Dabei handeln beide nach dem biblischen „Auge um Auge“ Prinzip.
Die tanzenden und jubelnden Menschen in Nahost haben mich doch zunächst
einigermaßen verstört. Aber ich versuche auch immer andere Meinungen
zu verstehen, und so denke ich, es wird Gründe für die amerikafeindlichen
Ansichten geben.
Die letzten 50 Jahre der amerikanischen Außenpolitik waren ein ständiges
Einmischen in Belange anderer Staaten, Stellvertreterkriege gegen
das andere Feindbild (das eine ist die Religion), den Kommunismus
personifiziert in der UdSSR. Und für viele dieser Staaten ist es
nicht so gut gelaufen, Korea, Vietnam und Deutschland waren danach
geteilte Länder, war das so gewollt oder nicht gekonnt? Und wie
sieht es mit den Meinungen der Menschen in anderen Ländern aus?
Wenn Juschka schon in Fanzel nichts mehr vom Weltgeschehen mitbekommt,
wie sehen die Menschen in anderen Ländern die Ereignisse? Oder ist
das gar nur für die westliche Welt so wichtig? In Indien und China
sterben jedes Jahr Hunderte von Menschen durch Überschwemmungen,
in Afrika verrecken Tausende an AIDS und anderen Krankheiten. Kriege
und Naturkatastrophen in der Dritten Welt interessieren die hiesigen
Medien allenfalls auf Seite 8 der Tageszeitung, auf welcher Seite
stehen die jüngsten Terroranschläge in diesen Ländern, mal eine
Zeitung vorausgesetzt?
Für mich sind die wahren Schuldigen die Menschen, die hinter den
Anschlägen stehen. Das schließt für mich auch die Politiker ein,
die Medien und die Priester, die solange ihre Dummheit ausposaunen,
bis genug Leute daran glauben und lieber der Allgemeinheit folgen,
als selbst nachzudenken. Das Kriegführen mag einerseits in der Natur
des Menschen liegen (sogar unsere nächste Verwandtschaft, die Schimpansen
praktizieren Feldzüge und Jagd), andererseits hat sich unser Verstand
(hoffentlich) weiterentwickelt und Dinge wie die friedliche Koexistenz
zwischen schwarzen und weißen Südafrikanern, Amis und Russen sind
möglich geworden. Schließlich bin ich in Zeiten des kalten Krieges
aufgewachsen, die Bedrohung eines Dritten Weltkrieges war immer
real. Da es also möglich ist, nichtmilitärische Lösungen zu finden,
hatte ich wieder Hoffnung in den Fortbestand der Menschheit. Es
war jahrzehntelang nicht die Frage ob die Bombe fällt, sondern wann,
und dann kamen die Abrüstungsvertäge, die westliche Welt hat aufgeatmet.
Ich sehe als Fazit mein Geschreibsel als gescheiterten Versuch an,
das für mich so unfassbare Geschehen vom letzten Dienstag zu verarbeiten.
Es ist mir lediglich gelungen, meine kreisenden Gedanken für eine
Weile in etwas geradere Bahnen zu zwingen. Seit dem Erdbeben in
der Türkei hat mich keine Nachricht so sehr verstört wie die Anschläge
in New York. Und das Säbelrasseln vom Bush jun. schürt meine Befürchtungen
ebenso wie die Übergriffe auf islamische Mitbürger. Die Attentäter
haben ihrer Sache (welcher eigentlich?) einen schlechten Dienst
erwiesen, hoffentlich müssen nicht noch mehr Unschuldige und Unbeteiligte
darunter leiden. Die Frage ist, braucht die Welt einen Bruce Willis
oder einen Mahatma Gandhi, um diese Krise zu überstehen?
Ed am Sonntag