Beim Tierarzt II

von Goldzahn

Zum Tierarzt fällt mir folgende Story ein: die Tochter hatte mal einen Kanarienvogel (war ihr von einer libanesischen Mitschülerin als Geburtstagsgeschenk überreicht worden). Uns tat das Tier in seinem winzigen Käfig-Gefängnis leid, und wir kauften gleich am nächsten Tag einen geräumigeres Verlies. Er schien sich auch ganz wohl darin zu fühlen. Doch eines Morgens höre ich ein ganz klägliches Gepiepse und sehe ihn in der Käfigecke hängen mit eingeklemmtem und schon halb abgerissenem Beinchen, Blutstropfen überall.

Ich rufe hb und schreie nach einer Zange. Er springt daraufhin schlaftrunken hoch, sucht seinen Werkzeugkasten, findet die kleine Zange, biegt die Stäbe auseinander. Vogel plumpst runter, das Beinchen hängt nur noch an einem Faden. Nun war auch noch Sonntag, also aus der Zeitung den Tiernotarzt rausgesucht, Vogel vorsichtig in einen Karton gesetzt, damit er im Käfig nicht so rumflattert, und hb fährt los. Ich beseitige die Blutspuren und bin froh, dass die Kinder noch nicht wach sind.

Nach Stunden erscheint hb wieder, die Kinder stehen schon aufgeregt an der Haustür. Piepmatz ist ein einziges kleines Verbandknäuel und wird auf seinen Käfigboden gesetzt. Die Kinder halten ihm ständig Wasser hin, weil sie denken, er müsse sonst jeden Moment verdursten, aber er döst nur vor sich hin. Irgendwann wird uns das Zusehen dann zu langweilig und wir kümmern uns nicht mehr groß um den Vogel, bis wir plötzlich ein furchtbares Geflattere und Gepiepe hören. Alle rennen wir hin und sehen den Vogel, befreit von allen Verbänden, aber nur noch mit einem Bein! Die Kinder fangen an zu heulen, hb sucht das Bein in den Verbandsfetzen. Ich sage: ab mit dem Vogel zum Tierarzt und einschläfern lassen! Nix da, hb findet das Bein, nimmt Vogel und Bein und legt beide auf seinen Schreibtisch. Er sucht und findet Sekundenkleber. Da schwant uns, was er will. Die Gören rennen schreiend in ihre Zimmer, schmeissen sich in ihre Betten und heulen. Ich sage: "Du willst doch nicht wirklich?" Er: "Na klar!" Ich kann es nicht glauben, aber er beginnt tatsächlich mit der Operation.

Der Kanari wehrt sich und hält nicht still. hb fordert mich auf, Assistenzärztin zu sein, aber ich weigere mich und gehe ins Wohnzimmer. Von da aus höre ich die Kinder weinen und hb stöhnen: "Ach - nun halt doch still! Mist - schon wieder ab! So wird das doch nichts!"

Ich schleiche mich vorsichtig wieder an und sehe, wie hb eine leere Filmdose nimmt und sie dem Kleinen über den Kopf stülpt, damit er ruhig hält. Das zeigt anscheinend Wirkung, denn der Vogel ist still. hb klebt das Bein an, seufzt erleichtert auf, nimmt die Fotohülse ab - und sagt: "Oh no! Exitus!"

Ende eines Vogellebens. *schnüff*

Goldzahn