von Goldzahn
Zum
Tierarzt fällt mir folgende Story ein: die Tochter hatte mal einen
Kanarienvogel (war ihr von einer libanesischen Mitschülerin als Geburtstagsgeschenk
überreicht worden). Uns tat das Tier in seinem winzigen Käfig-Gefängnis
leid, und wir kauften gleich am nächsten Tag einen geräumigeres Verlies.
Er schien sich auch ganz wohl darin zu fühlen. Doch eines Morgens
höre ich ein ganz klägliches Gepiepse und sehe ihn in der Käfigecke
hängen mit eingeklemmtem und schon halb abgerissenem Beinchen, Blutstropfen
überall.
Ich rufe hb und schreie nach einer Zange. Er springt daraufhin schlaftrunken
hoch, sucht seinen Werkzeugkasten, findet die kleine Zange, biegt
die Stäbe auseinander. Vogel plumpst runter, das Beinchen hängt nur
noch an einem Faden. Nun war auch noch Sonntag, also aus der Zeitung
den Tiernotarzt rausgesucht, Vogel vorsichtig in einen Karton gesetzt,
damit er im Käfig nicht so rumflattert, und hb fährt los. Ich
beseitige die Blutspuren und bin froh, dass die Kinder noch nicht
wach sind.
Nach Stunden erscheint hb wieder, die Kinder stehen schon aufgeregt
an der Haustür. Piepmatz ist ein einziges kleines Verbandknäuel und
wird auf seinen Käfigboden gesetzt. Die Kinder halten ihm ständig
Wasser hin, weil sie denken, er müsse sonst jeden Moment verdursten,
aber er döst nur vor sich hin. Irgendwann wird uns das Zusehen dann
zu langweilig und wir kümmern uns nicht mehr groß um den Vogel, bis
wir plötzlich ein furchtbares Geflattere und Gepiepe hören. Alle rennen
wir hin und sehen den Vogel, befreit von allen Verbänden, aber nur
noch mit einem Bein! Die Kinder fangen an zu heulen, hb sucht das
Bein in den Verbandsfetzen. Ich sage: ab mit dem Vogel zum Tierarzt
und einschläfern lassen! Nix da, hb findet das Bein, nimmt Vogel und
Bein und legt beide auf seinen Schreibtisch. Er sucht und findet Sekundenkleber.
Da schwant uns, was er will. Die Gören rennen schreiend in ihre Zimmer,
schmeissen sich in ihre Betten und heulen. Ich sage: "Du willst
doch nicht wirklich?" Er: "Na klar!" Ich kann es nicht
glauben, aber er beginnt tatsächlich mit der Operation.
Der Kanari wehrt sich und hält nicht still. hb fordert mich auf, Assistenzärztin
zu sein, aber ich weigere mich und gehe ins Wohnzimmer. Von da aus
höre ich die Kinder weinen und hb stöhnen: "Ach - nun halt doch
still! Mist - schon wieder ab! So wird das doch nichts!"
Ich schleiche mich vorsichtig wieder an und sehe, wie hb eine leere
Filmdose nimmt und sie dem Kleinen über den Kopf stülpt, damit er
ruhig hält. Das zeigt anscheinend Wirkung, denn der Vogel ist still.
hb klebt das Bein an, seufzt erleichtert auf, nimmt die Fotohülse
ab - und sagt: "Oh no! Exitus!"
Ende eines Vogellebens. *schnüff*
Goldzahn